Название | Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band |
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Автор произведения | Gerhard Henschel |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783455005011 |
Auf dem Bürgersteig gegenüber lagen Backsteine, aus denen wir Türme bauten, bis der Eismann an der Ecke hielt und bimmelte. Ich suchte nach meinem restlichen Zeugnisgeld, das aber nicht reichte. Mama gab mir was dazu.
Im Wambachtal wollte ich Uwe die Quelle zeigen, aber dann stach mich eine dicke Bremse in den Arm und saugte noch weiter Blut, als ich sie schon halb totgeschlagen hatte. Eine andere stach Uwe ins Bein, und wir rannten schreiend weg, den ganzen Weg bis Vallendar, um die Bremsen abzuhängen.
Beim Saubermachen im Hobbyraum fand Mama mein Micky-Maus-Heft. Sie rief mich runter, legte mir die Hände auf die Schultern, sah mich ernst an und sagte: »Mir wäre es lieber, du würdest deine paar Kröten sparen, statt sie für solchen Schund auszugeben.«
Tarzan hatte als Dusche einen Wasserfall und konnte gut kraulschwimmen und mit bloßer Hand Fische fangen und Krokodile abstechen, aber am besten war eindeutig Dick und Doof. Das war das Lustigste, was es jemals im Fernsehen gegeben hatte. Wie sie zusammen in einer Hose über die Straße laufen, oder wie sie jemandem Farbe über den Kopf gießen. Da erstickte man fast vor Lachen. Für Dick und Doof kam selbst Papa aus der Garage hoch, was er normalerweise nur für die Tagesschau tat.
Als Gustav uns besuchte, wollte er wissen, wie wir das Vorschlußrundenspiel Deutschland gegen Italien gefunden hätten, aber davon hatten wir nichts mitgekriegt. Gustav zog eine Schnute und sagte, ihm sei durchaus bekannt, daß der Mallendarer Berg nicht der Nabel der Welt sei, aber daß wir hier derartig hinterm Mond lebten, das sei ihm neu. Dieser Umstand würde wohl auch ausgebildeten Geographen und Astronomen Rätsel aufgeben.
Als er sich die Zähne putzen gegangen war, bezeichnete Mama Gustav als Klugscheißer, und Papa sagte, das komme eben dabei raus, wenn ein Junge von seinen Großeltern erzogen werde. Da fehle der Wind von vorne.
Nach Jever wollte Volker dieses Jahr nicht mitkommen. Ihm sei es da nicht interessant genug. Ab und zu hatte Volker sonderbare Ansichten.
Renate und ich fuhren ohne ihn im Zug mit Gustav los.
Vorher noch die Flossen vorzeigen. Mama sagte, ich hätte Grabefäuste mit Trauerrändern. Die polkte sie mir mit der Nagelscherenspitze raus. »Weiter hierher, ins Licht! Und stillhalten!«
Wer schön sein will, muß leiden. Am bösesten war Renate dran mit ihren langen Haaren, die beim Kämmen so ziepten, daß sie fast heulen mußte.
»Und daß ihr euch ja manierlich benehmt in Jever!«
Ich lief jeden Tag in den Schloßgarten und suchte nach Pfauenfedern. In den Büschen am Hang hinter den Plumpsacksteinen fand ich eine und nahebei noch eine. Wenn ich ein ganzes Pfauenrad zusammenkriegte, könnte ich Karneval als Pfau gehen.
Oma weckte Pflaumen ein und hängte im Keller Bänder mit Gemüse auf. »Updrögt Bohnen«, sagte sie dazu, und Opa eierte auf seinem Rad zum Schloß, um Besuchergruppen die holzgetäfelte Decke im Audienzsaal vorzuführen. Opa war im Heimatverein.
Opa zeigte mir auch das Schlosser-Denkmal am Schlosser-Platz. Das stand da für den in Jever geborenen Schlosser aus Renates Volksbrockhaus. Wenn ich mich anstrengte, sagte Opa, würden die Leute ja vielleicht auch mal für mich ein Schlosser-Denkmal in Jever errichten.
Am besten im Schloßgarten.
Herr Kaufhold lehnte schon ganz lange am Gartentor und schüttelte den Kopf, das konnte man vom Balkon aus sehen. Gustav und ich gingen hin.
Auf der anderen Straßenseite standen zwei Langhaarige, die den Daumen raushielten und von einem Auto mitgenommen werden wollten. »Gammler«, sagte Herr Kaufhold und schüttelte wieder den Kopf. »Im schönen Jever!«
»Aus dem schönen Jever wollen die ja gerade w-w-weg«, sagte Gustav.
Zum Geburtstag kriegte Renate eine Mundharmonika, einen Helancapullover, einen Tischpapierkorb und süße Brezeln, die Jeversche Leidenschaften hießen.
Beim Fernsehkucken strickte sie sich eine Mantilla mit Fransen. Der Löwe ist los hatten wir sehen dürfen, aber Bugs Bunny fand Oma zu vulgär.
Stattdessen spielten wir Halma. Da mußte man versuchen, mit den Figuren durch Überhüpfen von einem Dreieck in das gegenüberliegende zu kommen. Gustav stellte seine Männchen immer so hin, daß sie Omas und meine Hüpfstraßen blockierten, und wenn Oma beim Hüpfen andere Männchen umschmiß, rief er: »Du hast Gichtfinger!«
Außer beim Reinblasen tönte die Mundharmonika auch, wenn man durch die Schlitze Luft holte.
Zusammen mit Tante Dagmar, die mit dem Zug gekommen war, fuhren wir nach Heidmühle ins Freibad. Tante Dagmar hatte mir eine Bermudabadehose mitgebracht, aber ich wollte lieber auf dem Handtuch sitzen, Eis essen und Drückeberger sein als Schwimmen lernen.
Im Flur war ein Holzschapp mit perforierten Lederhandschuhen drin und einer Hutnadel oder sowas Ähnlichem.
Während Kim, Pips, die Ziege und die Katze in der Augsburger Puppenkiste auf der Suche nach dem Kakadu Ka mitten auf dem Ozean dem ausgebrochenen Löwen begegneten, leitete Opa eine Busreise ins holländische Küstengebiet, mit 76 Teilnehmern, alles Rentner. Außer im Heimatverein war Opa auch in der LAB, der Lebensabendbewegung. Da war Opa ein hohes Tier.
Als wir abreisen mußten, brachte Tante Grete Renate und mich bis Sande. Von da aus fuhr ein Zug bis Koblenz durch.
Renate kannte zwei Eisenbahnwitze. Ein Mann findet im Gepäckfach einen Hut, in dem der Name des Besitzers steht: Willibald Reinsch. Mit dem Hut in der Hand geht der Mann dann durch den Zug und fragt überall: »Ist hier jemand, der Reinsch heißt?«
Der zweite Witz ging so, daß ein Schaffner einen stummen Passagier nach seinem Reiseziel fragt, und der Passagier zeigt sich auf den Mund, auf den Bauch und auf den Allerwertesten. Der Schaffner versteht das nicht, bis sich ein anderer Passagier einmischt: »Ist doch klar, der Mann will von Dortmund über Darmstadt nach Pforzheim.«
Auf der anderen Seite vom Mittelgang saß eine nasebohrende Frau. »Die soll uns mal ’ne Karte schreiben, wenn sie oben angekommen ist«, sagte Renate.
Am nächsten Bahnhof stieg die Frau aus. Als der Zug wieder abfuhr, sahen wir, daß sie ihre Handtasche vergessen hatte.
Renate ging rüber, machte die Handtasche auf, holte ein Portemonnaie raus und kam damit zurück.
Wir achteten darauf, daß uns niemand zusah von den anderen Leuten. Um das Geld in Ruhe zählen zu können, ging Renate mit dem Portemonnaie aufs Klo.
Ich hatte Bammel, daß einer die Handtasche sieht und die Notbremse zieht.
Nach einer halben Ewigkeit kam Renate wieder. Sie hatte das Geld in dem Münzenfach zuerst doppelt gezählt und gedacht, es seien acht Mark zwanzig in dem Portemonnaie, aber es waren nur vier Mark zehn drin und Scheine überhaupt keine. Das lohne sich nicht, sagte Renate, und dann setzte sie sich nochmal rüber und steckte das Portemonnaie zurück in die Handtasche.
Das war knapp, weil der Zug schon wieder anhielt und am Bahnhof ein Beamter einstieg, der genau nach dieser Handtasche suchte. »Na bitte«, sagte er, nahm sie mit und stieg wieder aus.
Volker hatte ein Mikroskop gekriegt, als Trostpflaster, weil er nachher doch lieber mit uns in Jever gewesen wäre. Mit dem Mikroskop untersuchte er Blut, Haare, Wassertropfen, Pflanzenläuse, Fliegenflügel, Ameisenfühler und Scheuerpulver. Zum Mikroskop gehörten auch Glasscheibchen mit Insektenbeinen.
»Du Schlappschwanz«, sagte Volker, als er erfuhr, daß ich in Heidmühle wieder nicht ins Wasser gegangen war.
Wäwäwä. Der Kakadu Ka aus der Augsburger Puppenkiste konnte nicht fliegen und war trotzdem gut.
Tante Doro hatte Papa für den Garten Erdbeerpflanzen und Blumenstauden geschickt: Glockenblumen, Veilchen, Sonnenhut, Margeriten, Tulpen und Narzissen.
Weil ich traurig war, daß die Ferien zuendegingen, holte ich mir aus dem