Mord bei den Festspielen. Sibylle Luise Binder

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Название Mord bei den Festspielen
Автор произведения Sibylle Luise Binder
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839262887



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sein Kinn. »Na ja, du könntest natürlich auch Frau Leodorescu oder die Sekretärin deines Intendanten fragen. Die scheint sehr an dir interessiert zu sein.«

      Er schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Brrr – ich glaube, vorher gewöhne ich es mir ab.« Er ging zum Barschrank und nahm eine Flasche Cognac heraus.

      »Hallo, du hast ja Cognac hier! Warum hast du dem Herrn Manager vorher einen vom Zimmerservice bestellt?«, wunderte ich mich.

      »Na ja«, Lucas hob die Flasche, »das hier ist ein alter Napoleon – sehr gut, sehr teuer. Ich dachte, für Merlato, der ihn eh bloß runtergießt, wäre auch ein Remy gut genug – wenn nicht gar ein Asbach Uralt. Aber so was Profanes haben sie in diesem vornehmen Haus gar nicht.« Er goss sich ein Glas ein.

      »Musst du dir Mut antrinken, bevor du mir nähertrittst?«, feixte ich.

      Er trank einen Schluck und ließ den Cognac über seine Zunge rollen. »Klar brauche ich einen Schluck, bevor ich mich mit dir einlasse. Ich kann nämlich immer noch nicht glauben, dass sich eine so hübsche, junge Frau auf meine Wampe, die Falten und die Geheimratsecken eingelassen hat.«

      Ich kämmte mit gespreizten Fingern durch sein grau meliertes Haar. »Falsch, mein Schnurzel. Als ich mich für dich entschieden habe, warst du noch ein Jüngling mit lockigem Haar. Aber ich ahnte damals schon, dass aus dir ein sehr imposanter älterer Herr werden wird und dass ich dich dann immer noch lieben werde. Außerdem«, ich prüfte seinen Haaransatz, »sind die Geheimratsecken noch nicht so schlimm.«

      Lucas trank sein Glas aus, stellte es auf dem Tisch ab, streckte mir die Hand hin und zog mich in seine Arme. »Ab ins Bett, mein Hase. Und …« Er wurde ernst und senkte die Stimme. »Danke.«

      »Wofür?« Ich schaute zu ihm hinauf und in seine schönen Bernsteinaugen.

      »Dafür, dass du mich liebst.« Sein Mund landete auf meinem und meine Knie wurden so weich, dass ich mich an ihm festhalten musste.

      *

      Mit dem Tod eines Menschen konfrontiert zu werden, erinnert einen unweigerlich daran, wie zerbrechlich und kostbar das Leben ist. Und dann feiert man es, dann will man es intensiv spüren und will sich mit einem anderen verbinden. Und so saß ich in unserem Bett, die Arme um meine Knie geschlungen, den Rücken am Kopfende und schaute auf meinen Liebsten, der neben mir schlief, sein Gesicht mit der Patriziernase entspannt, ein kleines Lächeln um seinen hübschen Mund.

      Das Letzte, was er vor dem Einschlafen, schon gähnend, gesagt hatte, war: »Ach, geht’s mir gut mit dir!« Und damit hatte er mich daran erinnert, wie müde und ausgelaugt er gewesen war, als wir uns nach unserer jahrelangen Trennung und unseren zwischenzeitlich »abgelebten« Ehen wiedergefunden hatten. Wir hatten in der Zeit beide Federn gelassen, aber während ich mich nett in meinem Single-Dasein eingerichtet hatte, war Lucas beim Versuch, seine zweite Ehe zu retten, in eine Depression hineingerutscht. Es hatte einige Monate gebraucht, bis er sich berappelt hatte, aber nun war er wieder der Lucas, den ich einst kennen und lieben gelernt hatte: energiegeladen, kreativ, an allem interessiert, lebhaft und meist gut gelaunt.

      Ich aber war jetzt vor allem verschwitzt. Die Sommernacht war immer noch schwül und wir hatten die Klimaanlage nicht eingeschaltet, weil die trockene Luft bei mir Erkältungen und bei Lucas Heiserkeit verursachte. Das Dumme ist nur: Wenn ich mir erst einmal bewusst geworden bin, dass mir zu heiß ist, habe ich keine Chance mehr, ohne Abkühlung einzuschlafen. Aber noch mal duschen würde meiner Haut bestimmt nicht bekommen. Also begnügte ich mich damit, die »kritischen« Stellen zu waschen, schlüpfte in saubere Wäsche, Jeans und ein T-Shirt und ging ins Wohnzimmer. Auf meinem Schreibtisch fand ich Block und Stift, also bekam Lucas einen Zettel: »Brauche frische Luft, bin in den Garten gegangen. XOX – Vic«. Ich ging nicht davon aus, dass Lucas aufwachen würde, bevor ich wieder zurück war, aber ich wollte sicherstellen, dass er sich in dem Fall keine Sorgen um mich machte.

      Im Flur sprang automatisch die Beleuchtung an, als ich aus der Tür trat, doch den Aufzug holte die Anlage noch nicht. Ich musste einen Augenblick warten, fuhr nach unten und ging durch die jetzt leere Halle, wo der Nachtportier Zeitungen in die Ständer sortierte. Er grüßte freundlich, ich winkte zurück, verließ das Hotel und genoss die kühle Nachtluft.

      Ich ging um das Gebäude herum und durch eine kleine Pforte von oben in den Park. Meine Schritte knirschten auf dem Kiesweg, als ich an der übermannshohen Hecke entlang strich. Im Mondlicht konnte ich erkennen, dass rote Beeren am Busch neben mir hingen. Aber warum piksten die Ästchen hier so? Weiter vorne waren sie weich und elastisch gewesen.

      Ich schaute den Busch genauer an, tastete die Zweige entlang und entdeckte, dass auf einer Fläche von ungefähr einem Meterquadrat alle Zweige an der Spitze gekappt worden waren.

      Mein Großvater und meine Mutter haben begeistert in ihren Gärtchen gearbeitet und gegraben und am liebsten hätten sie sämtliche Familienmitglieder zum Unkrautrupfen angestellt. Bei mir hat das zu einer Abneigung gegen Gartenarbeit geführt. Dementsprechend habe ich wenig Ahnung davon. Dennoch war ich mir fast sicher, dass Hecken nicht im Hochsommer geschnitten werden, und vor allem – wer schneidet nur ein kleines Stück aus einer großen Fläche?

      Aber vielleicht hatte jemand Füllmaterial für einen Blumenstrauß gebraucht? Die Zweige mit den saftig grünen Nadeln und den becherförmigen roten Beeren waren hübsch und ich konnte sie mir gut in einem Blumenstrauß vorstellen. Vielleicht kombiniert mit weißen und gelben Dahlien oder Chrysanthemen? Oder mit einer Rose wie die, die Lucas mir am Samstag bei einem Straßenhändler gekauft hatte? So ein Zweig würde sie aufwerten und die Hecke war dicht genug, dass sie es verkraften konnte, wenn ich auch noch einen Zweig abbrach.

      Mit dem Ästchen bummelte ich zum See hinunter, der friedlich im Mondlicht lag. Ein Segelboot dümpelte vor dem Strand des Hotels. Es hatte an einer Boje festgemacht und schwoite im leichten Wind. Am Segelboot hing, wie ein Entenküken an der Mutter, ein Schnellboot.

      Ich kann nicht segeln, aber ich weiß, dass Lucas es als Bub gelernt hat. Wir hatten immer mal wieder davon gesprochen, dass wir mal einen Segelurlaub machen würden, wobei mir da allerdings eher nach Meer als nach Bodensee gewesen wäre. Meer, mit gutem Wetter und dann irgendwo, wo keine anderen Schiffe vorbeikommen, Lucas an Deck lieben und den Wind und die Sonne auf der Haut spüren, beschattet von den weißen Segeln.

      Am Bodensee frischte der Wind gerade auf. Mir wurde kalt – ich hatte keine Jacke mitgenommen, außerdem wurde ich zunehmend müde und musste morgen um zehn pünktlich zur Probe antreten.

      Immer noch mit meinem Zweig ging ich zurück ins Hotel. Der Nachtportier war mit seinen Zeitungen fertig, nun polierte er seinen Tresen und lächelte mich an. »Hatten Sie einen schönen Spaziergang?«

      Ich blieb vor ihm stehen und gähnte hinter vorgehaltener Hand. »Ja – und jetzt habe ich die nötige Bettschwere.«

      Er deutete auf den Zweig. »Die Eibe ist hübsch mit ihren roten Beerchen, nicht?«

      »Ich habe am Samstag eine rote Rose bekommen, da wollte ich sie dazu stellen«, erzählte ich.

      »Das sieht bestimmt nett aus. Und sie haben ja keine Kinder oder Haustiere, also müssen Sie da auch nicht aufpassen.«

      Ich klopfte mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Klar, das ist Eibe – und Eibe ist giftig.« Ich wandte mich dem Portier zu. »Ich pass auf! Gute Nacht!« Ich eilte zum Aufzug, dabei dachte ich an meinen heißgeliebten Großvater, mit dem ich so gerne spazieren gegangen war. Einmal war er vor einer Eibenhecke stehen geblieben, hatte einen Zweig zu sich gezogen und ihn mir gezeigt: »Schau dir das genau an: die Nadeln, die sich gegenüberstehen, die aber weicher als zum Beispiel Fichtennadeln sind. Aber mit Eiben musst du aufpassen. Die Nadeln, die Rinde und die Samen sind so giftig, dass eine Handvoll ein Pferd – und natürlich auch einen Menschen – umbringen kann.«

      Der Aufzug war oben angekommen und ich rannte über den Flur zu unserer Suite. Eine Idee geisterte durch meinen Kopf und ich wollte sie so schnell wie möglich überprüfen.

      Angekommen, an den Schreibtisch. Ich zappelte vor Ungeduld, während der Computer bootete und sich im WLAN des Hotels anmeldete. Erst einmal Wikipedia