Schattenklamm. Mia C. Brunner

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Название Schattenklamm
Автор произведения Mia C. Brunner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839249604



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Langem schon kaputt, doch er hatte weder das Geld für eine Reparatur noch konnte er sich eine neue Jacke leisten. Zu Hause warteten drei kleine Kinder und eine Ehefrau, die selbst kein Geld verdiente. Sein Ältester war letzte Woche gerade vier Jahre alt geworden und alle drei Kinder brauchten noch intensive Betreuung und kosteten jede Menge.

      Doch bald würde es ihnen allen besser gehen.

      Noch immer fröstelnd, stapfte Klaus Vollmer über den leeren Parkplatz zu seinem alten Ford, der am äußersten Rand parkte und das einzige Auto in diesem Bereich des großen Platzes war. Er zog seine Zigaretten aus der Jackentasche, ein Feuerzeug aus der Gesäßtasche seiner dreckigen Jeans und blieb kurz stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Trotz der Flutlichtbeleuchtung war der Parkplatz um diese Uhrzeit bereits recht dunkel und umso weiter er sich vom Gebäude weg bewegte, umso schummriger wurde die Umgebung. Er parkte immer ganz am Rand und in dieser abgeschiedenen Ecke. Niemand sollte zu aufmerksam werden auf seine alte Rostlaube, die wirklich schon bessere Tage gesehen hatte, ihm aber treu und ohne Murren auch in ihrem hohen Alter noch ihren Dienst erwies. Doch bald würde er sich ein besseres Auto zulegen können. In der einen Hand seine brennende Zigarette, in der anderen seinen Autoschlüssel, ging er weiter auf den Ford zu. Er freute sich auf sein Zuhause, auf sein Sofa, das kalte Feierabendbier und das Abendessen.

      Dann bemerkte er neben der Fahrertür seines Autos die dunkle Gestalt. Wie lange stand sie schon dort?

      »Hallo? Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Klaus Vollmer ohne jeglichen Argwohn und hob zusätzlich grüßend die Hand mit dem Schlüsselbund.

      »Ja, das können Sie tatsächlich«, begrüßte ihn die Person an seinem Auto und hob ebenfalls zum Gruß die Hand. Die Stimme klang hohl, etwas arrogant und passte überhaupt nicht zu diesem Menschen. Sie war beinahe furchteinflößend. Bei diesen Gedanken schüttelte Klaus Vollmer lächelnd den Kopf. Natürlich würde ihm hier nichts passieren. Niemand hatte einen Grund, ihm etwas zu tun. Er sah nicht aus, als hätte er Geld und seine alte Karre war noch weniger wert als seine kaputte Jacke. Trotzdem blieb er erschrocken wie versteinert einige Meter vom Auto entfernt stehen, als er diesen Menschen eiskalt und verbittert lachen hörte.

      »Ja, Sie können mir tatsächlich behilflich sein, lieber Herr Vollmer«, wiederholte die Person dieses Mal flüsternd, doch nicht, um die Nachtruhe nicht zu stören, sondern um der eigenen Stimme Dramatik und eine unterschwellige Drohung zu verleihen. Beinahe theatralisch hob die dunkle Gestalt beide Hände gen Himmel und seufzte.

      Klaus Vollmer kroch die Angst fröstelnd und unaufhaltsam über seinen Rücken, seinen Nacken und direkt in sein Gehirn. Dieser Mensch, der ihm gegenüberstand, war durch und durch böse. Er konnte die Augen nicht erkennen, denn sie lagen im Schatten eines dunklen Hutes, doch der etwas schief zu einem hämischen Grinsen verzogene Mund flößte ihm Panik ein.

      »Was … wie kann ich Ihnen helfen?« Er wählte die Worte mit Bedacht und hoffte, er könne mit Ruhe und Selbstbeherrschung nicht nur seine Furcht bekämpfen, sondern auch die Situation zu seinen Gunsten ändern. »Ich habe absolut nichts, was Sie interessieren könnte«, fügte er hinzu und bereute sogleich seine Aussage, denn sein Gegenüber lachte erneut, dieses Mal beinahe belustigt, doch eiskalt.

      »Oh doch, Herr Vollmer. Sie haben etwas, das mir gehört, und ich lasse mir nichts wegnehmen«, sagte die Stimme ruhig und bedächtig. »Niemals würde ich so etwas zulassen. Sie sind mir im Weg, Herr Vollmer. Sie … müssen weg!«

      Als Klaus Vollmer sich auf dem Absatz umdrehte und zu rennen begann, wusste er im ersten Moment noch nicht, warum er so reagierte. Sein Verstand versuchte krampfhaft, ihm Gründe für diese merkwürdige Begegnung zu geben, doch ihm fiel absolut nichts ein, das ihm derartige Reaktionen verständlich machen konnte. Seine Flucht war eine absolut instinktive Handlung und auch diese Reaktion vermochte er nicht zu deuten. Bereits wenige Schritte später hallte die hämische Lache seines Angreifers erneut in sein Ohr und würde ihn verfolgen, bis er wieder nahe genug am Gebäude des Baumarktes und damit in Sicherheit und im Licht war. Schall war schneller, als er jemals würde laufen können, doch auch dieser gottverlassenen Stimme versuchte er zu entkommen und rannte jetzt noch schneller. Dann plötzlich dröhnte die Luft um ihn herum donnernd und brüllend und übertönte alles andere. Alle Lichter um ihn herum erloschen schlagartig und er hatte plötzlich das Gefühl zu fliegen, abzuheben und endlich frei von jeder Angst zu sein. Danke, er war gerettet.

      Trotz der zwei Personen mehr im Haus verliefen die nächsten Tage ruhig und entspannt. Das lag vor allem daran, dass Susanne ihre Eltern, so oft es nur ging, zu Ausflügen mit den Kindern überredete und die Nachmittage deshalb immer still und friedlich waren. Jessica verbrachte diese freien Momente meist auf dem Sofa vor dem Fernseher. Im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte sie für den Besuch ihrer Eltern keinen Urlaub genommen. Sie war noch in der Probezeit und durfte um freie Tage noch nicht bitten, wenn sie ihren Job behalten wollte.

      Heute verbrachte die Groth’sche Familie den Nachmittag im Augsburger Zoo. Alle fünf waren, gleich nachdem Svenja aus der Schule kam, losgefahren und würden vermutlich erst gegen Abend wieder in Kempten sein. Jessicas Schicht begann bereits um 19 Uhr und sie glaubte nicht, dass sie ihre Schwester und den Rest heute noch sehen würde. Sie liebte ihre Nichte und ihren Neffen sehr, doch es war ausnahmsweise auch einmal schön, keine kleinen Kinder um sich herumwuseln zu haben. Solche Momente waren selten genug, also genoss Jessica die vermutlich letzten warmen Sonnenstrahlen des Oktobers, warm eingepackt in eine Wolldecke, auf einem Liegestuhl auf der winzigen Terrasse. Ihr Vater hatte am Samstag im Baumarkt nicht nur die Sandkiste für seine Enkelkinder gekauft, sondern seinen beiden Töchtern zum Einzug gleich noch zwei teure Holzliegen spendiert, zwei wunderbare Teile ganz ausgezeichneter Qualität. Wenn Herbert Grothe etwas kaufte, dann musste es gut sein und sehr lange halten. Jedenfalls war Jessica mehr als dankbar für dieses herrliche Geschenk. Wenn es nach ihr ginge, würde sie jede freie Minute im Freien verbringen, egal in welcher Jahreszeit und bei welchem Wetter.

      Gerade hatte sie sich eine Tasse heißen Kakao aus der Küche geholt, ihn auf das kleine Tischchen gestellt, das eigentlich neben das Sofa im Wohnzimmer gehörte, und sich wieder auf die Liege gelegt, als es an der Tür läutete. Genervt warf sie die Wolldecke beiseite, erhob sich erneut von der Liege und betrat das Wohnzimmer durch die Terrassentür. Dann ging sie am Esstisch vorbei und schritt durch den kleinen Flur. Vor der mattierten Glasscheibe der Haustür konnte sie zwei dunkle Umrisse erkennen. Vermutlich waren das irgendwelche unangenehmen Vertreter von Staubsaugern oder merkwürdigen Glaubensformen, die ihr gleich mit Dreck auf dem Fußboden oder Blödsinn aus den verdrehten Gehirnen auf die Nerven gehen würden. Solchen Leuten musste man sofort zeigen, dass sie nicht willkommen waren. Also setzte Jessica eine betont ärgerliche Miene auf und öffnete die Tür.

      »Da stehen zwei Namen an der Tür, Chef«, stellte der junge Beamte fest, als er die Haustür noch vor seinem Vorgesetzten erreichte und den Klingelknopf betätigte. Er verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und baute sich neben dem Briefkasten auf. Hätte er nicht so zappelig und nervös sein Gewicht immer wieder von dem einen auf den anderen Fuß verlagert, dann wäre seine Körperhaltung beinahe majestätisch gewesen. Kommissar Berthold Willig war groß und schlaksig, überragte seinen Kollegen um einen ganzen Kopf und machte seinem Namen alle Ehre. Er war willig bemüht, aber bisher konnte Hauptkommissar Florian Forster noch keine außergewöhnlichen Talente an seinem Untergebenen feststellen. Er schien loyal und ehrlich zu sein, aber auch tollpatschig und scheinbar wenig intelligent. Florian Forster war es ein Rätsel, warum der Junge unbedingt zur Kriminalpolizei wollte, doch er behielt seine Meinung für sich.

      »Hauptsache ist, der Name ›Reuter‹ steht auf dem Klingelschild«, sagte er sarkastisch. »Sonst stehen wir vorm falschen Haus!«

      »Ja«, bestätigte Berthold Willig und beugte seinen Oberkörper weit hinab, um das Schild neben der Tür noch einmal ganz aus der Nähe zu betrachten, nickte dann und wiederholte seine Aussage. »Ja, Chef. Wir sind richtig. Hier wohnt aber auch noch ein Herr oder eine Frau Grothe.«

      »Nicht ›Chef‹, Berthold. Wir hatten uns doch geeinigt, uns zu duzen.« Hauptkommissar Forster setzte ein charmantes Lächeln auf und sah zu seinem Kollegen auf. Auch daran würde er sich gewöhnen müssen. Sein vorheriger Kollege und Partner war mit ihm wenigstens auf Augenhöhe. Dabei