Rurschatten. Olaf Müller

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Название Rurschatten
Автор произведения Olaf Müller
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839258309



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das wäre es gewesen. Warum ist er nicht zur Hundestaffel gegangen? Immer schön mit Bello durch die Wälder. Schnüffeln, draußen sein.

      »Wo steht die Jagdbude von dem Rütters?«

      »Irgendwo, Moment, hinter Einruhr.«

      »Einruhr. Kenn ich. Ich schau mir das mal an.«

      »Soll ich mitkommen, Chef?«

      »Ach, Schmelzer. Wenn’s der Wahrheitsfindung dient. Aber nicht erschrecken. Die Eifel ist hart, kantig. Und draußen nur Kännchen.«

      Die Fliegerin

      Fett und Schmelzer fuhren an einem heißen Mittwoch Ende August mit dem Opel Vectra raus nach Einruhr. Sie nahmen die Himmelsleiter, bogen hinter Roetgen nach Lammersdorf ab. Dann über Kesternich die Serpentinen hinunter nach Einruhr. Schmelzer lenkt, Fett denkt. Fenster auf.

      »Robert 35 von Zentrale.«

      »Robert 35 hört.«

      »Position?«

      »B 265 vor Einruhr. Mordfall Rütters. Ortsbesichtigung.«

      »Verstanden. Ende.«

      »Ende.«

      »Herr Fett, was machen wir hier eigentlich?«

      Schmelzer ruderte mit dem Lenkrad wie W. C. Fields in seinen besten Filmen.

      »Nachdenken, Schmelzer. Kaffee trinken. Wandern und nachdenken. Das ist kein einfacher Mord, Schmelzer. Hier steckt was dahinter. Etwas Geheimnisvolles.«

      Schmelzer sinnierte und schaltete einen Gang runter, oder umgekehrt. Der Opel sinnierte und Schmelzer schaltete ab. Fett sprach mehr zu sich als zu Schmelzer: »Es könnte ein einfacher Fall sein. Jemand rächt sich an dem Alten. Bestimmt wegen der Fabrik oder irgendeiner Schikane vor 20 Jahren. Der Täter weiß, dass der Alte mit seiner Tochter jedes Jahr zum Feuerwerk geht. Aber was steckt genau dahinter? Warum macht der Alte das alles mit? Dann der Profimord mit Schalldämpfer. Hier stimmt was nicht. Er hätte auch im Seniorenstift erschossen werden können. Warum so spektakulär in der Geisterbahn? Da abbiegen, Hotel ›Seemöwe‹. Auf den Parkplatz.«

      Schmelzer parkte ein.

      »Schön hier. Muss ich mal mit den Kindern herkommen. Wenn ich mal welche habe.« Schmelzer schaute sich um und griff die Gedanken von Fett auf.

      »Die Annakirmes bietet sich zur Flucht natürlich an. Wir können da keine Fahndung auslösen. Das wäre zu riskant gewesen. Ob mit dem Ort noch etwas signalisiert werden sollte? Geisterbahn, Schrecken, Grauen – aber alles nur künstlich. Sehr viel Lärm. – Wohin jetzt, Herr Fett?«

      »Zu Fuß raus aus dem Ort, Rurstraße entlang und dann am Ufer weiter. Jägersweiler, so heißt dieses Waldstück, da muss die Hütte stehen. Sie haben recht, Schmelzer. Zugleich wurde seiner Tochter ein großer Schmerz zugefügt. Der Täter wusste, dass Rütters nicht alleine auf dem Platz war. Darauf nahm er keine Rücksicht. Vielleicht sollte genau das erzielt werden. Am Abend der Freude erfolgt der größte Schmerz.«

      Beide gingen mit raschen Schritten und schweigend durch Einruhr. Vorbei am Freibad mit Holzverschlag als Eingang. Schmelzer schwitzte, Fett ging zügig voran.

      »Der Weg ist noch asphaltiert. Keine Müdigkeit vortäuschen. Los, Schmelzer. Machen Sie mir hier nicht schlapp. Die Rurmücken fressen Sie auf.«

      Schmelzer sah ein kühles Kölsch vor Augen. Fett schritt aus. Vorbei an der Kläranlage und der Behelfsanlegestelle auf die Wiesen zu.

      »Hier war früher mal Sperrbezirk, aber nicht, was Sie denken. Truppenübungsplatz. Vogelsang. Nicht vom Weg abkommen. Minen. Überall.« Fett lachte.

      »Da drüben ist Jägersweiler.«

      Sie sahen die Reste von zwei Häusern.

      »Das muss das Jagdhaus von Rütters gewesen sein. Wieso durfte der hier denn jagen? Sperrbezirk und mittendrin so ein Jagdhaus? Moment mal.« Fett zögerte. Irgendwas ging ihm durch den Kopf: »Liesel Bach.«

      »Wer ist denn Liesel Bach?« Schmelzer verdrehte die Augen.

      »Das da hinten, das ist das Haus von Liesel Bach. Und hier war das ehemalige Haus von Rütters.« Fett überlegte.

      »Ich hab darüber gelesen. Fliegerin. Eine der ersten und besten deutschen Fliegerinnen. Das war ihr Haus. Rütters, Bach, Einruhr.«

      Fett überlegte angestrengt.

      »Grundbuchamt. – Schmelzer, checken Sie das. Wann ist das Haus von Liesel Bach eingetragen worden und das von Rütters? Warum durfte der im Sperrbezirk bleiben? Hier, so nah am Obersee der Rur.«

      Ein lautes Tuten unterbrach seine Überlegungen. Die MS Aachen, ein Elektroausflugsdampfer, schipperte mit winkenden Niederländern in Richtung Einruhr. Fett konzentrierte sich.

      Das Haus war verfallen. Nur wenige Meter daneben das Haus von Liesel Bach, ebenso verfallen. Die Natur hatte alles zurückerobert, wie man so sagt. Nichts war mehr erkennbar. Die Jagdhütte lag wunderschön eingebettet und ruhig mit Blick auf den Obersee. Vielleicht lag das Geheimnis dieses Mordes weit zurück, vielleicht war hier in einem Sommer der 30er- und 40er-Jahre etwas passiert. Fett setzte sich einen Moment in das kniehohe Gras. Die Ruhe überwältigte beide. Sie kehrten wortlos zurück nach Einruhr.

      »Schmelzer, tragen Sie alles über Liesel Bach zusammen und über die Geschichte dieser Hütten. Wir müssen allen Spuren nachgehen.« Fett setzte sich auf den Beifahrersitz. Schweigend kehrten sie nach Aachen zurück. Am nächsten Tag trug Schmelzer vor.

      Die geheimnisvolle Hütte

      »Liesel Bach war eine Kunstfliegerin. Tolle Frau. Jahrgang 1905. 1992 in Frankreich gestorben. Hatte im Krieg Flugzeuge überführt. Nach dem Krieg flog sie durch Indien. Irgendwie unbeschadet aus der NS-Zeit rausgekommen. Die müssen sich gekannt haben. Vielleicht durch die Jagdhütte vom alten Rütters. Ach ja, dann wurde diese Jagdhütte von Rütters 1946 auf Goldbach, Düren, überschrieben. Nach dem Tod von Goldbach fiel es an Rütters zurück zur Nutzung, aber Eigentümer blieb Goldbach, Juwelier, Wirtelstraße. Der durfte auch drin bleiben während der Sperrzeit des ganzen Gebietes. Rütters, Goldbach und wieder Rütters.«

      »Goldbach, Juwelier in Düren?«

      Fett lief langsam auf Betriebstemperatur.

      »Marie Utzerath war bei dem Juwelier doch mal Haushälterin. Liesel Bach, Alexander Rütters, David Goldbach, der Juwelier und Marie Utzerath. Mensch, Schmelzer, langsam verliere ich den Überblick.«

      Diamantenfieber

      Schmelzer trug alle zugänglichen Informationen über David Goldbach zusammen. Daraus ergab sich folgendes Bild:

      David Goldbach, Jahrgang 1919, war mit Alexander Rütters zusammen ins Stiftische Gymnasium gegangen. Humanistische Bildung. Schmelzer tauchte wieder mal ab in Regesten, Archiven, Standesamtsakten. Der Name Goldbach hätte hellhörig machen müssen. Der Name klang nach einer jüdischen Familie. Davids Vater war hochdekorierter Weltkriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg. Die Eltern wurden 1943 deportiert, David ist irgendwie durch den Krieg gekommen. Die Goldbachs besaßen ein Juweliergeschäft und hatten beste Kontakte nach Antwerpen zu den dortigen Juwelieren.

      David überlebte. Schutzengel oder wie immer der jüdische Kollege hieß. Wo und wie David genau gelebt hatte, war nicht mehr zu ermitteln. Aber 1946 übertrug der Angestellte, ein gewisser Heinrich Gülpen, das Geschäft zurück an David Goldbach, der es weiterführte und 1999, mit 80 Jahren, bei einem Segelausflug auf dem Rursee einen Unfall hatte und ertrank. Junggeselle. Keine Familie. Schmelzer hatte alles recherchiert. Bei der Polizei Düren war 1999 Oberkommissar Kuckertz der Ansprechpartner.

      »Fragen Sie die Nachkommen, Schmelzer. Fragen, fragen, fragen. Wie gehören die alle zusammen? Kannten die Liesel Bach? Die war 15 Jahre älter als die beiden Burschen. Liesel Bach, fragen Sie mal nach, über sie gibt es Bücher. Vielleicht weiß jemand etwas über ihr Leben hier in der Eifel.«