Rurschatten. Olaf Müller

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Название Rurschatten
Автор произведения Olaf Müller
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839258309



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Uhr zu golden, die Haare zu ölig. Alles an dem Mann missfiel dem Kommissar. Nicht dem ersten Eindruck hingeben, sagte er sich.

      Nein, warum Herr Rütters die 5.000 überwiesen habe, immerhin über zwei Jahre, vorher nur 4.000 und seit Mai dann wieder nur 4.000, da könne er sich jetzt keinen Reim drauf machen.

      »Gut, jetzt nicht, später schon«, sagte Fett, »Betriebsprüfung hilft bestimmt. Heimaufsicht plus Durchsuchungsbeschluss, ob die Presse davon Wind bekommt, kann ich nicht ganz auszuschließen.«

      »Moment mal«, stockte der Ölige, »doch, ja, jetzt kommt die Erinnerung.«

      Der Herr Rütters selig, der sei sehr sozial gewesen. Klar, warum habe er das nur vergessen.

      »Wir haben vor zwei Jahren einen Aufruf gemacht. Damals boten wir einigen schwererziehbaren Jugendlichen Jobs an. Dafür suchten wir Paten. Und Herr Rütters wurde Pate. Pate von Johnny.«

      »Johnny«, sagte Fett, »wer zum Teufel ist Johnny, was heißt Pate und was hat das mit der Knete zu tun?«

      »Nun ja, mit den 1.000 Euro zusätzlich wurde der Johnny gefördert, konnte sich eine Wohnung leisten, war sozusagen Resozialisierung«, meinte der Ölige.

      »Wo finden wir denn den Johnny? Warum hörte denn die Zahlung im Mai auf?«, grätschte Schmelzer in das Gespräch.

      »Herr Rütters, der wollte nicht mehr.«

      »Ach so, warum denn und wo ist Johnny?«

      »Moment mal. Schwester Irmgard, wo ist noch mal der Johnny Kaiser«, knurrte der Ölige ins Telefon. »Stimmt, hatte ich vergessen. Danke. Also«, setzte er an, »Herr Kaiser fehlt seit rund drei Wochen, genauer, seit das mit Herrn Rütters hier bei uns bekannt wurde. Vielleicht weil Rütters nicht mehr zahlen wollte, warum, warum. Keine Ahnung.«

      Fett spürte etwas hochsteigen. So aus dem Bauch nach oben. Wie beim Wasserkessel kurz vor dem Pfiff. Er zählte bis fünf. Eine Kombination aus Wut und Ärger. Er hatte etwas übersehen, und das ärgerte ihn. Zudem verbarg Strack-Zimmermann etwas. Und leise sagte er ihm ins Ohr: »Wenn Johnny auch nur irgendwas mit dem Mord zu tun hat, sind Sie am Arsch. Und zwar richtig. Behinderung, Vertuschung. Sie kommen nach Aachen, wo die schweren Jungs einsitzen. Die freuen sich auf so einen Öligen wie Sie. Und jetzt die Adresse, sonst fahren Sie noch heute ein.«

      Josef genannt Johnny

      In der Rütger-von-Scheven-Straße 319 stand »Kaiser« an einer Klingel in krakeligen Buchstaben geschrieben. Die Tür zum Block war offen. Oben roch es nach angebrannten Pfannkuchen. Johnny Kaiser öffnete. Ein ungewaschener junger Typ, dem man all seine Vorstrafen und Aufenthalte in Erziehungsheimen irgendwie ansah. Johnny rülpste seine Begrüßung wie nach drei Flaschen Wicküler.

      Über den Besuch der Polizei schien er nicht erstaunt, gehörte bei einem wie ihm wahrscheinlich zum Tagesgeschäft.

      »Morgen, Herr Kaiser, Fett, Mordkommission Aachen. Wie war denn Ihr Verhältnis zu Herrn Rütters?«

      »Was wollen Sie denn von mir?«

      »Blöd, so ein Mordfall. Und das direkt, nachdem die Knete nicht mehr kommt. Wo waren Sie denn am Feuerwerksfreitag der Annakirmes? Jaguarbahn, Schießbude oder Autoscooter? Oder Lust auf Geisterbahn? Wir kommen mal rein. Keine Umstände.«

      Josef Kaiser, genannt Johnny, hatte Erinnerungslücken. Nur, dass Rütters von heute auf gleich die Knete gestrichen hatte, das wurmte ihn. Die 500 Oschen von seinem Paten waren nötig.

      »500, ick glob ick spinne, sagen da die Berliner.« Fett wurde ungehalten.

      »1.000 mein Junge. Und dann Ende. Da kann man sauer werden.«

      »Ich höre immer 1.000. 500 kamen vom Stift rüber. Nix mit 1.000.«

      Johnnys Empörung wirkte ehrlich. Da hat der Ölige den Johnny beschissen. Fett wunderte nichts mehr. Vermittlungsprovision. Mal eben was über 12.000 Euro in mehr als zwei Jahren.

      »Was wollte Rütters von Ihnen? Klartext, Johnny. Sonst gibt’s nen Shuttle zum Souterrain in die Hubert-Wienen-Straße nach Aachen. Gefilterter Sonnenschein.«

      Herr Rütters

      und die jungen Mädchen

      Heraus kam, dass Rütters sich für Johnny einsetzte, ihm eine zweite Chance geben wollte. Dafür brachte ihm Johnny meistens am Sonntagabend Besuch ins Sankt Irmgardis. Girls aus der Szene. Drogenabhängige, Minderjährige, Obdachlose. Auch ihnen half Rütters. Auf seine spezielle Art, sagte Johnny. Sonntags, da kam Marie Utzerath nicht zu Besuch. Tennisstunden. Eben.

      »Wo warst du an dem Freitagabend?«

      Johnny wurde blass. »Hier.«

      »Und warum bist du nicht mehr zur Arbeit gegangen?«

      »Ich kann nicht mehr. Strack-Zimmermann ist ein Riesenarschloch. Er wollte noch mehr Geld von Rütters und hat gesagt, der Stundensatz für mich sei erhöht worden. Stattdessen hat Rütters aufgehört zu zahlen. Alles soll meine Schuld gewesen sein. Beide haben mich ausgebeutet. Beide. Johnny Kaiser glaubt doch niemand. Ich bin am Ende. Jetzt kann ich wieder in den Jugendvollzug. Scheiße.«

      »Wo warst du an dem Freitagabend? Genau. Mit Zeugen.« Fett wurde sauer.

      »Also, ich war, ich war hier.«

      »Genauer macht schlauer«, sagte Fett.

      »Mit meiner Freundin Jasmin, die kann es bezeugen. Wir waren hier. Wohin denn auch? Ohne Knete. Wir haben DVDs geguckt. Wirklich. Ich bring doch den Alten nicht um. Da schon eher Strack-Zimmermann, die Sau. Der beutet uns aus. Dieses Arschloch. Der kassiert für jeden Schwererziehbaren. Vom Jugendamt und von den Paten. Doppelt cash. Das hat der olle Rütters gemerkt. Der dachte, ich würde ihn bescheißen. Stimmt aber nicht. Trotzdem hat er keine Kohle mehr rübergeschoben. Wahrscheinlich rief er dann einen Escort-Service an. Knete genug hatte er ja. Oder die olle Hausbesorgerin musste ran. Die Tennislady. Einmal hat sie ihn mit einer Drogenabhängigen überrascht. Sie hatte sich beim Tennis verletzt und war ausnahmsweise am Sonntagabend mit ihrem Schlüssel in Sankt Irmi aufgetaucht. Affentheater. Scheiße. Ich bring den doch nicht um.«

      Fett neigte dazu, diesem armen Hund zu glauben. So jung und schon das ganze Leben verbaut.

      »Wir checken deine Freundin. Name und Adresse. Wenn das nicht stimmt, dann hast du ein Problem. Ein weiteres. Hier, meine Karte, wenn dir noch was einfällt.«

      Schmelzer und Fett gingen.

      »Der war es nicht«, sagte Fett. »Warum so ein komplizierter Mist mit Handy und Geisterbahn und ›Rurschatten‹? Der wäre beim Rütters am Sonntag eingestiegen. Doch nicht so kompliziert. Wir haben nichts. Nur Schatten, die Schatten von Herrn Rütters. Marie Utzerath, die soll mal mehr erzählen. Von dem feinen Herrn. Oder?«

      Fett knuffte Schmelzer in die Seite.

      »Jow, Chef.«

      Schmelzer hatte nicht die beste Laune. Sein Konto war fast leer. Die Sparkasse Aachen hatte die Raten abgebucht und die Inspektion des Volkswagen Passat war teurer als erwartet ausgefallen: neue Scheibenbremsen, neue Reifen, neuer Anlasser. Alles Käse, dachte Schmelzer.

      Aus einer anderen Welt

      Marie Utzerath öffnete am Mittwochmorgen, fast vier Wochen nach dem Mord, an einem milden Augusttag den Kommissaren lächelnd die Tür.

      »Guten Morgen, Frau Utzerath. Dürfen wir eintreten? Wir haben noch ein paar Fragen an Sie.«

      »Sicher, bitte gerne. Bitte kommen Sie in das Wohnzimmer. Kaffee, Tee, Wasser?«

      »Kaffee gerne«, sagte Schmelzer.

      Fett winkte ab. »Keine Umstände, Frau Utzerath, wir sind gleich wieder weg.«

      »Frau Utzerath, Sie haben doch Herrn Rütters regelmäßig in Sankt Irmgardis besucht?«

      »Ja, ich bin oft zu ihm gegangen. Wir haben Spaziergänge