Tausend Monde. Sebastian Barry

Читать онлайн.
Название Tausend Monde
Автор произведения Sebastian Barry
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958298170



Скачать книгу

und Indianer. Den einzelnen Menschen nehmen sie nicht wahr. Dass jeder von ihnen ein Kaiser ist für die, die ihn lieben.

      An diesem Abend mussten wir Reste essen. Rosalee säuberte ihren Bruder von all dem Blut und ließ sich von Lige Magan dabei helfen, Tennyson in das schmale Schlafzimmer auf der Rückseite des Hauses zu bugsieren, in dem er schlief. Dort sollte er genesen. Ich sah, wie sie ihm das Haar mit etwas von der Pomade einrieb, die John Cole gehörte. Tennyson gab kein Wort von sich. Er war all seiner Worte beraubt. Sie flehte ihn an, ihr zu verraten, wer die Tat begangen hatte, doch er starrte sie nur an wie ein verängstigtes Kind. Wo mit einem Werkzeug auf seinen Schädel eingeschlagen worden war, sah ich einen langgestreckten Bluterguss, dunkel wie Erde, die gerade umgepflügt worden ist. Er wurde immer dunkler. Rosalee trug mir auf, die Blumenköpfchen der Hyazinthen zu zerdrücken, die sie im Frühling des Vorjahres gesammelt und getrocknet hatte und die sie mir immer verabreichte, wenn ich meinen Mond bekam. Etwas davon gab sie in das Wasser, mit dem sie Tennyson wusch, so dass er ein wenig nach Frühling roch. Sie versuchte, die Gewalt von ihm abzuwaschen.

      Jetzt war Rosalee die Traurige und ich die Suppenzubereiterin. Meine Fürsorge für Rosalee übte einen gewissen Reiz auf mich aus. Die Traurigkeit eines anderen Menschen kann die eigene ein wenig lindern. Habe ich festgestellt. Doch so seltsam ist das gar nicht, denn die Welt ist ohnehin mysteriös.

      Sie war bestürzt, ihren Bruder so malträtiert zu sehen. Es weckte Erinnerungen an die Schrecknisse früherer Zeiten, als sie nicht wussten, ob sie für immer in Knechtschaft gefangen oder frei sein würden. Trotz allem mussten sie bittere Wahrheiten schmecken, das war gewiss.

      Ich komme aus der traurigsten Geschichte, die es auf Erden je gegeben hat. Ich bin eine der Letzten, die noch weiß, was mir genommen wurde und wie es war, bevor es mir genommen wurde. Das Gewicht dieser Trauer hat schon so manchen Kopf zermalmt. Jemals einen betrunkenen Indianer gesehen, jemals einen Indianer in Lumpen gesehen? Das passiert, wenn ein König von Trauer überwältigt wird. Aber es ist nicht nur das. Wir glaubten, alles, was wir waren, sei Reichtum und Wunder. Wir wussten, dass dem so war. Wie sonst war es möglich, als Kind so glücklich gewesen zu sein? Eine Welt, die ein guter Ort ist für ein Kind, ist eine gute Welt. Es war ja nicht nur so, dass diese Welt beseitigt, sondern dass so oft der Befehl ergangen war: Tötet sie alle. Fragen Sie Thomas McNulty, er hatte ihn oft genug gehört. War losgezogen und hatte gehorcht. John Cole auch. Dieser wilde Bursche Starling Carlton. Sogar Lige Magan. Es kam nicht drauf an, ob’s ein Säugling war, ein Mädchen oder eine Mutter.

      Allein die Berührung eines weißen Mannes, schon sein Nahen war der Herold des Todes.

      Wir legten großen Wert auf jeden Einzelnen von uns. Aber der Wert, den die Weißen uns beimaßen, war nicht der gleiche. Wir waren ein Nichts – wenn man uns tötete, tötete man ein Nichts, und es bedeutete nichts. Es war kein Verbrechen, einen Indianer zu töten, weil ein Indianer nichts Besonderes war.

      Das alles weiß ich, deswegen schreibe ich es auf.

      Inzwischen war Tennyson Bouguereau jedoch eine Art Bürger, insofern war es vielleicht doch ein Verbrechen, ihn zusammenzuschlagen. Hatten sie den ganzen Krieg nicht genau deshalb geführt? Man sollte es meinen. Deshalb hatte der Dichter McSweny Thomas McNulty und John Cole dazu geraten, in den Kampf zu ziehen. Vielleicht hatte Thomas den Dichter McSweny aber einfach nur angesehen und erkannt, was für eine bemerkenswerte Menschenseele er war. Ich meine, auch er war ein König, wenn auch ein ziemlich trauriger, aber doch ein Mann, um dessen ergrautes Haupt ein goldener Lichtschein leuchtete wie auf Gemälden die goldene Scheibe hinter Jesus Christus. Der Dichter McSweny. Zu der Zeit waren Thomas und John Cole lange fort, und ich hätte ihre Nähe gebraucht. Damals war ich vom Leben noch nicht geheilt. Vielleicht bin ich’s auch jetzt noch nicht, aber damals ganz gewiss nicht. Doch der Dichter McSweny mit seinem dunklen, schmalen Gesicht und seinen Flusskieselaugen, der bemühte sich um mich, schulte mich und schimpfte mich und verrichtete das Werk einer Mutter.

      Wie kam es, dass ich das Glück hatte, Männer um mich zu haben, die so gut wie Frauen waren? Ich glaube, nur eine Frau weiß, wie man leben soll; ein Mann ist meist zu hastig, vorschnell. Diese Waffe mit schon halb gespanntem Hahn verwundet aufs Geratewohl. In meinen Männern dagegen fand ich unerschütterliche, lebendige Weiblichkeit. Welches Glück! Welche Fülle von wirklichem Reichtum!

      Selbst jetzt, wo Tennyson Bouguereau ans Bett gefesselt war, vielleicht sogar deswegen, waren die Männer im Freien und eggten das Erdreich, das zum Frühling hin schon lockerer wurde. Die Maultiere hatten ihr nahrhaftes Futter erhalten und waren vor das alte schwarze Zinkengerüst gespannt worden, und so zogen sie von einem Acker zum andern, um unsere dunkle Erde zu zerkrümeln. Mit einem Wanst voller Hafer ist ein Maultier ein glücklicher Gesell. Fast erwartest du, dass es lacht, so arbeitslustig sieht es aus.

      Natürlich war Lige der Einzige, der jetzt noch nach Paris fahren konnte, um Vorräte einzukaufen, zumindest für den Augenblick. Günstigerweise gab es in Paris gleich fünf Geschäfte für Trockenwaren, und so verlor Mr Hicks uns als Kunden.

      »Kann diesen schmierigen Jas Jonski einfach nich’ mehr sehn«, sagte Lige.

      »Weil du ihn umbringen könntest«, sagte John Cole ruhig.

      Ich war gerade draußen auf der Veranda, um Unterwäsche hereinzuholen, die ich für Rosalee getrocknet hatte, als ich auf der anderen Seite unseres noch brachliegenden Ackers einen Reiter erblickte. Furcht ergriff mich. Rosalee und Tennyson waren nicht die Einzigen, die schreckhaft geworden waren. Wenn’s irgendwo leichte Beute gab, dachte ich, dann waren wir diese Beute.

      Wer immer es war, er kam nicht allein. Ich sah einen Trupp anderer Männer, die auf ihren Ponys auf und nieder hüpften. Meine Männer hielten sich auf zwei großen Feldern weiter nördlich auf. Wenn ich aufs Dach geklettert wäre, hätte ich sie sehen können, ihre schwarzen Gestalten, klein wie Rüsselkäfer, und die schwarzen Maultiere im Miniaturformat. Tennysons Spencer-Karabiner lag immer im Wohnzimmer – abgesehen davon, dass es eine ausnehmend schöne Waffe war, hatte jemand auf das Verschlussstück den Namen Luther eingraviert, ein mysteriöses, aber charakteristisches Merkmal –, und den holte ich mir nun und nahm dann wieder meine Position auf der Veranda ein, mit dem Karabiner als Verbündetem. Ich wusste recht gut, wie man ein Gewehr abfeuert, auch wenn’s für ’n Mädchen ’ne ziemlich große Waffe ist.

      Der vorderste Reiter war Sheriff Flynn. Ich wusste nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Er war kein Mensch, den ich besonders gut kannte. In der Stadt hatte ich ihn manchmal vorbeigehen sehen, dann klackten seine Stiefel auf den Holzbrettern des Gehsteigs. Jetzt hatte er drei Männer dabei. Drei zottelige Typen. Er ritt lässig vorneweg. Hatte keine Eile, bei mir anzukommen. Ließ sich alle Zeit der Welt.

      Schließlich kam Sheriff Flynn aber doch bei mir an und befand sich, rittlings auf seinem Pferd, auf Augenhöhe mit mir, die ich auf der Veranda stand.

      »Du gehst rein und holst Elijah, Schatz«, sagte er.

      Noch nie in meinem Leben hatte ich jemanden Liges vollen Namen sagen hören. Noch nie in meinem Leben war ich Schatz genannt worden. Den Spencer-Karabiner schien er nicht zu sehen. Ich hielt ihn schräg in meiner Linken, doch er schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt geladen war. Ich dachte, vielleicht nicht, denn, nun ja, ich wusste es nicht. Ich wusste, dass die Burschen mich umstandslos erschießen würden, so wie man am Feldrain ein Kaninchen schießt. Und genauso schnell. Ich spürte, wie mir unter meinen Röcken die Pisse an den Beinen herablief. Ich wollte nicht, dass jemand es sah. Mein Körper hatte Angst, aber mein Herz war voller Mut. Der Groll, den ich wegen Tennyson empfand, nahm mir die Furcht, und in der Tat glaubte ich, dass Tennysons Gewehr eine geheime Kraft enthielt. Dass er es sein Eigen nennen durfte, war Tennysons ganzer Stolz, und allein es in den Händen zu halten verlieh mir Mut.

      Ich gab Sheriff Flynn keine Antwort. Weil ich nicht wusste, ob ich sprechen sollte oder nicht.

      Sheriff Flynn war ein dunkelhaariger Mann von rauem Äußeren, aber um seinen Schnurrbart herum waren seine Wangen glatt rasiert. Vermutlich war er um die vierzig, und die Frauen in der Stadt werden ihn wohl ziemlich attraktiv gefunden haben. Seine Hilfssheriffs waren eine Bande abgerissener Männer. Jetzt, wo ich sie aus der Nähe sah, erkannte ich einen von