Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross

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Название Scheidung kann tödlich sein
Автор произведения Andrea Ross
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967525380



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wenn ich Ann nach der Arbeit dort abholte, doch fehlten mir die Alternativen. Nach drei Jahren war die Scheidung endlich durch, aber der Ärger mit Klaus-Werner hat lange Jahre nicht aufgehört.

      Zermürbt von alledem wollte ich damals nur noch eines: endlich einen Menschen um mich haben, der mich um meiner selbst willen liebt. Mit dem ich einfach nur leben kann, der meine Tochter mag und uns als Doppelpack akzeptieren würde. Da setzte man mir im Sozialamt einen Kerl mit Pferdeschwanz ins Zimmer, der irgendwie selbst gestrickt aussah und der oft rührend hilflos wirkte. Ach, dachte ich mir, der würde mir bestimmt nichts zuleide tun. Es gab zwar einige unterschiedliche Ansichten und zugegeben – er war auch etwas langsam im Denken und in seinen Handlungen auch nicht sehr entscheidungsfreudig – aber ich glaubte, hiermit leben zu können.

      Ich übernahm alles für Theo, was er nicht auf die Reihe brachte. Nach einem halben Jahr mit guten Gesprächen und Freizeitaktivitäten wagten wir den Schritt, uns gemeinsam in einer Wohnung aufzuhalten, entweder in seiner Eigentumswohnung, oder am Wochenende in meiner Mietwohnung in Emtmannsberg. Das ging recht gut, er mochte auch Ann und befasste sich mit ihr. Manch komisch anmutenden Handlungsweisen von ihm schob ich auf die Tatsache, dass er halt lang alleine gewesen sei und sich an eine Familie und alles, was dazugehört, erst gewöhnen müsse. So brauchte er unbedingt ein bis zweimal in der Woche eine »Auszeit« von uns, die er dann alleine in seiner Wohnung verbrachte.

      Günther kannte ich damals auch schon, das war ein FußballKumpan von Theo. Ich verstand mich prima mit ihm, machte Fahrradtouren, begeisterte mich wie er für Ägypten und konnte sehr gut über gelegentliche Probleme mit Theo mit ihm reden. Er war mir ein guter Freund geworden, und ich machte im Gegenzug seinen Kummerkasten. Er sah sich immerzu als tragische Figur, wegen seiner Schmerzen und seiner nicht vorhandenen Freundin. Die letzte hatte ihn eiskalt abserviert, ihm nicht einmal die Gründe genannt.

      Ich stellte Günther später meiner Cousine Uschi vor, weil er immer hilfsbereit war und auch stets gern neue Leute kennen lernte. Er half dort zunächst den Zaun reparieren und verfrachtete schließlich sein Lager in die Garage, die zum Haus meiner Cousine und deren Ehemann gehörte. Er arbeitete für einen Nahrungsmittel-Konzern und musste als Außendienstvertreter stets Proben und Werbematerial lagern, das er dann in die Supermärkte mitnahm. So brachte er seine Sachen unter, und Uschi hatte ab und an Unterhaltung.

      Theo und ich beschlossen eines Tages, dass ein Imperiums-Erbe her müsse. So im Scherz bemerkte er, dass sonst die KurzenmeyerLinie bei ihm enden würde, und wem sollten dann die Häuser seines Vaters vererbt werden? Das war aber eigentlich doch kein Scherz, Theo konnte die Geburt eines Kindes wirklich so sachlich sehen. Also wurde ein Söhnchen geboren, und Theo war anders als Klaus-Werner auch sichtlich stolz darauf und kümmerte sich um den Burschen. Zumal das Babybübchen auch noch haargenau aussah wie er selbst. Zum Verwechseln ähnlich, wenn man ihn mit Papas Kinderfotos verglich.

      Bei Axels Taufe lernte ich Attila kennen, den meine Cousine in München geheiratet hatte, und diese beiden hatten ein fast gleichaltriges Baby: Solveig. Stundenlang schob ich mit Uschi den Kinderwagen durch Bayreuth und hörte mir erste Schimpftiraden über ihren Mann und über Exvermieter in Grafing an, von dort waren sie zugezogen. Angeblich war er aggressiv und bekam unangemessene Wutanfälle, wenn sie etwas nicht richtig machte. Ich konnte diese Informationen nicht recht einordnen, so sagte ich nicht viel dazu.

      Fast schon dachte ich, jetzt könne für mich alles gut werden. Ich war verheiratet und hatte zwei Kinder, Axel war ein wirklich pflegeleichtes Kerlchen. Meine Finanzen hatten sich inzwischen erholt, die Schulden waren abbezahlt. Aber die Geschichte sollte sich wiederholen. Nur mit dem Unterschied, dass Theo durchaus Interesse für sein eigenes Kind zeigte, dafür aber nach und nach überhaupt nicht mehr für Ann. Die war wegen des ImperiumsErben nun überflüssig. Es wurde nur noch an ihr herumkritisiert, sie konnte Theo nichts recht machen.

      Ann ihrerseits wurde immer verschlossener, zog sich zurück und ärgerte ihn manchmal absichtlich, so nach dem Motto »wenigstens negative Aufmerksamkeit«. Sein Verhalten mir gegenüber änderte sich auch ins Negative, wenn nicht gar in Sadismus, außerdem gingen mir seine Langsamkeit, sein stets zögerndes Verhalten und seine Ungleichbehandlung der Kinder immer mehr auf die Nerven. Ich steuerte ständig dagegen, erntete aber nur Unverständnis und Wutausbrüche. Die Kluft zwischen uns wurde immer tiefer, ich saß ja zwischen ihm und meiner Tochter vollkommen zwischen den Stühlen. Kann man jemanden noch wirklich lieben, der die leibliche Tochter hasst?

      Es kam, was kommen musste. Ich versuchte ständig, etwas zu verbessern, schon Axel zuliebe. Dazu gehörten auch der Kauf des Reihenhauses und die Eheschließung 1999, weil ich hoffte, dass Theo dann endlich akzeptieren könne, dass wir in der vorliegenden Besetzung zusammengehörten und uns nicht bekämpfen dürften. Gleichzeitig hatte ich das unbestimmte Gefühl, einen Fehler zu machen. Aber ich nahm das in Kauf und dachte mir, dass ich dann eben lebenslänglich für meinen Sohn leiden müsse, wenn das schief ginge. Selbst schuld, ich hätte den Braten eben riechen müssen. Ich saß hinten im Hochzeitsauto und heulte auf dem Weg zum Standesamt. Theo dachte vermutlich, ich täte es aus Rührung oder Sentimentalität und fragte gar nicht danach. Und, oh, Wunder, für ein paar Wochen war nach der Hochzeit die Beziehung tatsächlich etwas besser geworden, bis sich die alten Zustände in den Alltag zurückschlichen.

      Ann bekam schließlich eine Neurose in Form einer Zwangskrankheit, mit Anfällen, bei denen sie starr auf dem Boden lag, die Decke anstarrte und nicht mehr ansprechbar war. Das machte eine kinderpsychologische Behandlung notwendig. Zeigte Theo Einsicht, änderte er sein Verhalten? Nein. Im Gegenteil.

      Dafür zeigte Klaus-Werner urplötzlich Interesse, das über McDonalds-Besuche und Urlaube mit Ann hinausging. Er war eifrig hinterher, mir klar zu machen, Ann müsse unbedingt zu ihm und seiner neuen Lebensgefährtin ziehen, damit es ihr besser ginge. Nachdem Klaus-Werner aber schon immer sehr am Besitz von Geld interessiert war und von Anfang an auch unglücklich darüber war, dass er für Ann Unterhalt zahlen musste, war mir sofort alles klar. Da wollte jemand von seiner Unterhaltspflicht befreit werden, seinerseits welchen erhalten und das Kind tagsüber seiner Lebensgefährtin zur Betreuung übergeben oder bei der Oma lassen, wodurch sich sein eigener Stress damit in Grenzen halten würde. Klaus-Werner setzte alle Hebel in Bewegung, um dieses Ziel zu erreichen. Er spielte in der Praxis der Kinderpsychologin den verständnisvollen, treusorgenden Vater, und Ann beeinflusste er auf eine Art und Weise, die mich schier verzweifeln ließ. Ich wusste noch sehr genau, wie er sie zuvor links liegen gelassen hatte. Es folgte ein Tag, den ich nie wieder vergessen werde. Ich, Klaus-Werner und Ann vor dem Schreibtisch der Kinderpsychologin. Diese fragte, ob Ann zum Vater ziehen wolle. Ann war total nervös und unsicher, sah mich überhaupt nicht an und blickte unsicher zum Vater. Dann: ja, sie will umziehen. Breites Grinsen bei Klaus-Werner, betretener Blick bei Ann und Freude bei der Psychologin, dass sie diesen Fall endlich vom Tisch hatte. Wie ich an diesem Tag nach Hause gekommen bin, entzieht sich vollkommen meiner Kenntnis. Ich muss wohl so etwas wie einen Filmriss gehabt haben, stand unter Schock. Und Theo? Der freute sich. Er war das lästige Kuckuckskind los. Es steht ja wohl für jeden Menschen, der ein Fünkchen Gefühl in sich birgt fest, dass eine solche Beziehung allenfalls pro forma aufrechterhalten werden kann, wenn sich derartige Dinge ereignet haben.

      Und ich hielt sie tapfer aufrecht. Ich litt, ich musste fast kotzen, wenn Theo mich auch nur anfasste. Ich ließ mich beschimpfen, versuchte meinen Sohn zu erziehen und ging nebenbei zur Arbeit. Kein Mensch merkte, was bei uns los war, weil ja alle nur den Anschein einer Beamtenfamilie mit zwei Kindern wahrnahmen, der es ja so gut geht in ihrem neuen Häuschen.

      Selbstverständlich merkte auch meine Mutter absolut nichts, sie hatte ja nie etwas von meinem Seelenleben mitbekommen – mangels Interesse. Ich versuchte, mich mit Nähen, Lesen, Malen und langen Spaziergängen im Wald psychisch auf die Reihe zu bekommen. Vergeblich, mein Unterbewusstsein dankte es mir mit Panikattacken, die Krankenhausaufenthalt, Angstzustände und schließlich die ständige Einnahme von Tabletten zu meinen Begleitern machten. Ein Vierteljahr traute ich mich so gut wie nicht aus dem Haus, Autofahren durfte ich sowieso nicht. Bei einer anschließenden Psychotherapie, die mir neuen Mut und neue Kraft gab, reifte in mir der Wunsch, neben einem Leben ohne Theo auch eine Ausbildung als Psychotherapeutin zu beginnen. Günther, auf den ich zwischenzeitlich auch immer wieder getroffen war, gab mir neue Zuversicht.

      Eben