Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross

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Название Scheidung kann tödlich sein
Автор произведения Andrea Ross
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967525380



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hätte. Und Gisa vermutlich auch nicht. Es war eigentlich immer so gewesen, dass wir alle eine KumpelBeziehung untereinander hatten. Romanzen gab es nicht. Wir hatten Spaß in der Kneipe, auf Ausflügen oder vor allem bei Rockkonzerten. Es spielten fast alle auch selber Instrumente, ich hierbei genau wie Sandi einen Elektrobass. Aber nun war plötzlich alles anders. Was erblickten also meine entsetzten Augen?

      Der fette Stephan griff mit seinen unsäglichen Wurstfingern nach Gisa, packte sie unsanft und zog sie auf seinen Schoß. Die ließ es willenlos geschehen, traute sich nicht, etwas entgegenzusetzen. Hierdurch ermuntert fing Stephan unverzüglich damit an, die arme Gisa überall zu befingern. Doch Gisa tat immer noch nichts, guckte nur einerseits verängstigt, andererseits sagte ihr Blick: »Hurra, ich hab doch einen abgekriegt!«.

      Was Stephan anging, so bezweifelte ich, dass er zu romantischen Gefühlen überhaupt fähig war. Vermutlich hatte er einfach beschlossen, dass er nun endlich mal ein Weib haben wolle, und Gisa war eindeutig das wehrloseste Opfer. Damit hatte er allerdings Recht, denn bei mir hätte er deftige Prügel kassiert, das Kuli-Muli hätte ihn auch abgewiesen. Auf den Schoß setzen, ja. Alles andere, nein.

      Die anderen Freunde, die mit mir in Stephans Zimmer saßen, guckten ebenso überrascht und entsetzt wie ich, ihnen hatte es schlicht und einfach die Sprache verschlagen. Als wir dann von Stephan recht unhöflich aufgefordert wurden, uns jetzt langsam einmal zu verdrücken, wussten wir Bescheid. Der wollte die Gisa wohl noch ganz woanders befummeln, und da konnte er uns nicht brauchen. Wir gingen, und ich warf Gisa noch einen bedeutungsvollen Blick zu. So nach dem Motto, komm, hau mit ab, wenn Du das hier nicht willst.

      Doch Gisa blieb tapfer lächelnd auf Stephan sitzen, auch wenn das Lächeln mehr einen gequälten Charakter annahm. Ich durfte gar nicht daran denken, dass Stephan jetzt seine 160 Kilo wohl auf Gisa wälzen würde. Die anderen äußerten sich ähnlich. Von diesem Tag an war Gisa auch eine Art Kuli-Muli, sie hieß nun

      »das Gisalein«. DAS. Gut, sie war so alt wie ich. Wenn sie sich nicht wehrte, konnte man ihr nicht helfen. Prompt fing Stephan auch an, sie nach seinen Wünschen zurechtzubiegen. Die riesige Brille wurde durch Kontaktlinsen ersetzt, und Gisa durfte ihre Lieblingsgruppe ABBA nicht mehr hören. Sie wurde gewissermaßen zwangsmetallisiert, denn seine Freundin hatte gefälligst Heavy Metal zu hören.

      So kam es, dass wir nun mit Stephans orangefarbenen Citroën zu einem Konzert nach Erlangen fahren. Er kennt den Konzertveranstalter, somit dürfen wir wieder zum Bühneneingang hinein. Das ist auch gut so, denn am Haupteingang der Erlangener Stadthalle hatten wir zuvor schon mal ein negatives Erlebnis, als die Glastüren des Einganges der herandrängenden Masse nicht standhielten, zerbrachen und ein Blutbad anrichteten. Wir hatten zum Glück einen Meter weiter hinten gestanden, fielen somit auf die bedauernswerten Leute, die vor uns ihrerseits auf den Glassplittern landeten. So etwas drohte bestimmt heute erneut. Im Citroën sitzen vorne Stephan und Gisa, hinten ich, M.W. und Sigi. Wir freuen uns auf die Show, denn jemand hatte erzählt, der Sänger würde regelmäßig den nackten Hintern in die Menge halten. Das verspricht neben der guten Musik witzig zu werden. Der Wintertag ist klirrend kalt, doch da wir ja dank Bühneneingang nicht lange draußen sein werden, haben wir alle nur eine dünne Jeansjacke angezogen. Kommt auch nicht gut, wenn man zu einem Rockkonzert mit dicker, wattierter Winterjacke anrollt. Wir genießen das Konzert, und tatsächlich bekamen wir den behaarten Hintern von Djangozu sehen. Wie immer ist es viel zu schnell vorbei, verschwitzt bahnen wir uns den Weg zum Ausgang. Wir beschließen, auf der Heimfahrt noch an einer Autobahnraststätte Station zu machen, um das Erlebnis Revue passieren zu lassen.

      Doch es kommt ganz anders. Hände reibend sitzen wir zur Abfahrt bereit im Auto, denn selbst der kurze Fußweg zum Fahrzeug, das am Straßenrand in der Nähe der Halle geparkt ist, lässt uns bei minus 21 Grad vor Kälte zittern. Stephan prahlt mal wieder damit, dass sein Fahrzeug mit einer Hydraulik ausgestattet ist, wodurch Schneehäufchen kein Problem bei Ausparken sein werden. Er dreht den Zündschlüssel, und es passiert – nichts. Der Anlasser orgelt vor sich hin, doch das Fahrzeug denkt gar nicht daran, anzuspringen. So lange nicht, bis die Batterie nahezu leer ist. Anfangs witzeln wir noch über das tolle Auto, das zwar eine Hydraulik hat, aber scheinbar keinen Motor. Doch das vergeht uns schnell.

      Stephan wird sichtlich sauer. Er haut seinem ansonsten geliebten Auto auf das Armaturenbrett und ergeht sich in übelsten Flüchen, die Gisa auf der Stelle rot werden lassen. Sie handeln davon, dass das Auto wohl bei einer amourösen Beziehung seiner Mutter mit einem Hund entstanden sein müsse. Aber auch das veranlasst das Fahrzeug nicht dazu, sich in Gang zu setzen.

      Schließlich müssen wir es einsehen: mit diesem Auto werden wir jetzt, nachts um 1 Uhr, wohl nicht nach Hause fahren. Es ist Brainstorming angesagt. Keiner hat mehr nennenswerte Geldbeträge einstecken, keiner kann eine Abholung organisieren. Zimmer mieten ist nicht. Im Auto schlafen auch nicht, erstens vollgestopft und zweitens saukalt. Ich kann nicht daheim anrufen, weil ein Herzkasper meiner Mutter unter Garantie die Folge wäre. Was also tun? Die dickeren Jungs stecken die Kälte eindeutig leichter weg, und so ziehen sie erst einmal einen vorbereiteten Joint, der eigentlich für die Konzertbesprechung bestimmt war, aus dem Handschuhfach. Gisa und ich genießen es ausnahmsweise, zwischen Stephan und Sigi eingekeilt zu sein. Die sind wenigstens eine gute Kältedämmung. Mitrauchen wollen wir aber nicht, die Stimmung ist uns verhagelt. Ganz besonders mir, denn morgen um 10 Uhr ist meine theoretische Führerscheinprüfung angesagt. Die Vorzeichen für das Bestehen derselben verschlechtern sich nun stündlich, ich bin, gelinde gesagt, recht fertig mit der Welt. Sigi hat der Joint derart selig und wurstig gemacht, dass er beschließt, im Auto zu pennen. Was wir machen, sei ihm Banane. Wir anderen hingegen verlassen fluchend das Gefährt, um eine Polizeistation zu suchen. Wir wollen erstens eine Auskunft bekommen, wo wir kostenlos schlafen könnten, und zweitens die Adresse der ortsansässigen Citroën-Werkstatt. Die gedenken wir am nächsten Morgen aufzusuchen und hoffen, dass die dort die Reparaturen auch ohne Bargeld vornehmen werden, nur nach einem Blick in unsere treuherzigen Augen und der Beteuerung,

      dass wir die Rechnung schon bezahlen werden.

      Wir haben relatives Glück. Da ist tatsächlich eine Polizeistation, und wir stören die Belegschaft beim abendlichen Smalltalk. Ein Beamter kommt widerwillig an den Tresen und fragt nach einem abschätzenden Blick auf unsere Outfits und die Körperfülle von Stephan, was denn unser Begehr sei. Um diese Zeit. Wir schildern aufgeregt unser Problem, nur um hören zu müssen, dass die Polizei uns da auch nicht helfen könne. Wir sind schon so verzweifelt, dass ich den Polizisten frage, ob wir nicht wenigstens in einer Ausnüchterungszelle übernachten dürfen. Uns sei schon alles egal, nur nicht erfrieren wollen wir. Zu meinem Entsetzen lässt er sich nun darüber aus, dass das etwas koste. 20 D-Mark pro Zelle. Und die haben wir nicht. Meine Güte, warum muss alles so kompliziert sein. Der Bankräuber darf umsonst rein, wir nicht. Armes Deutschland.

      Wir diskutieren, ob wir jetzt da vorne bei der Bankfiliale einen Überfall machen sollen, um kostenlos in die Zelle zu dürfen. Da erbarmt sich Unser ein anderer Polizist, der soeben durch Schichtwechsel seinen Dienst antritt und etwas freundlicher ist. Ja, gegen die Preise könne er auch nichts machen. Aber er könne wenigstens anbieten, dass wir im Wartebereich auf den Stühlen auf den Morgen warten dürfen. Da sei es nicht so kalt wie draußen. Die Freude hierüber währt nur kurz, denn die Stühle sind aus Holz und somit Garanten für Bandscheibenschäden. Jede andere Stellung des Rückens als die kerzengerade ist unweigerlich mit Schmerz verbunden. Zudem befindet sich direkt neben dem Wartebereich die Eingangstür, und die geht ständig auf und zu. Jedes Mal erreicht uns ein eiskalter Luftschwall, was sehr unangenehm ist. Nun gut, Sigi hat es im Auto auch nicht besser, da bin ich sicher. Er bestätigt es am nächsten Morgen, liegt mit steifen Gliedern auf der Rückbank. Alle sind wir uns einig, dass dies eindeutig die beschissenste, kälteste und auch längste Nacht unseres Lebens war. Und der lustige Problemreigen ist damit noch nicht beendet, wir sind noch nicht bei der Werkstatt, die hat sich auch noch nicht bereit erklärt, irgendwas mit dem Auto zu tun, und ich bin noch nicht rechtzeitig bei meiner Führerscheinprüfung. Ganz zu schweigen von der zu erwartenden Reaktion meiner Mutter, welche mich wohl ohnehin vierteilen würde. Gut, dann wäre zumindest die Führerscheinprüfung vom Tisch.

      Zunächst aber wartet was extrem Unangenehmes. Wir müssen die doofe Karre nach einem neuerlichen Startversuch, der dem Motor nur ein klägliches Ächzen