Telefónica. Ilsa Barea-Kulcsar

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Название Telefónica
Автор произведения Ilsa Barea-Kulcsar
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990650219



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Das Motorengeräusch kam näher, es war ein alles durchdringendes Surren, aber noch kein Dröhnen. Manuel spannte alle Nerven auf das Hören und Ertragen der ersten Bombenexplosion. Als plötzlich ganz dicht neben der Telefónica ein Fliegerabwehrgeschütz losratterte, war es wie eine Enttäuschung. Schlechte Geschütze, nichts als ein besseres MG, dachte Manuel und setzte sich nieder, denn er war in den Knien so müde. In diesem Augenblick trat jemand ein, der sofort die Taschenlampe abknipste – das offene vorhanglose Fenster! – und scharf sagte: »Wer da?«

      »Hier Manuel García, mi comandante«, sagte der andere. »Entschuldigung, ich bin hier geblieben, weil du selbst dem Pepe erlaubtest, hinunterzugehen, und weil jemand beim Telephon bleiben mußte.«

      »Mach das Fenster zu, Genosse Manuel«, sagte Sánchez ruhig. Als der schwarze Vorhang gespannt war (eine schwierige Arbeit ohne Licht), knipste er eine sehr große Taschenlampe an, die wie ein Automobilscheinwerfer wirkte. »Setz dich dorthin, Genosse Manuel. Ist dein Stock in Ordnung?« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern sagte: »Es ist schwer mit den Mädchen seit dem letzten Bombardement gestern. Zu viele von ihnen haben nun Tote gesehen. Die meisten haben eine tolle Angst.«

      »Genosse Sánchez«, sagte Manuel, die Anrede wechselnd. »Ich wollte dir vorhin melden, daß ich anhand der letzten Granate hier im Stock feststellen konnte, daß die Faschisten einen neuen Schußwinkel haben.«

      »Ja. Der dreizehnte Stock hat es gemeldet. Danke, Manuel.«

      Manuel horchte auf das Motorensummen, das nun undeutlicher war. Er fühlte sich etwas enttäuscht, mit seiner Meldung zu spät gekommen zu sein. Genauso wie Agustín hielt er sich unbewußt außerhalb des grellen Lichtkegels der Taschenlampe, die auf dem Tisch lag und ihren Schein gegen die Tür warf.

      »Sie sind uns diesmal nicht nahe gekommen und haben keine Bombe abgeworfen«, sagte Agustín. Dann schwiegen beide. Sie warteten. Agustín hatte einen schlechten Geschmack im Mund – von der Begegnung mit seiner Frau. Sie hatte sich beim Alarm nicht aufgeregt: sie hielt den Keller für absolut sicher für sich selbst und die Kinder, und an andere dachte sie nicht. Aber sie hatte Agustín zurückhalten wollen, nicht weil sie Angst um ihn hatte, sondern … »Du kannst mich nicht allein lassen, ich bin doch deine Frau.«

      Und dann auf der Treppe ein Moment, in dem der Lichtkegel der Taschenlampe in Paquitas Gesicht gefallen war. Sie war nicht feige, sie hatte einen bösen Ausdruck gehabt, keinen aufgelösten wie viele andere. Aber als sie dem Lichtstrahl mit den Augen folgte und Agustín erkannte, hatte sie gerufen: »Tinito, komm, hilf mir. Ich falle«, und hatte ihr Gesicht wie eine Schauspielerin in Hilflosigkeit umgeändert. Merkwürdig, das so genau in diesem übermäßig harten, vergröbernden Lichtstreifen sehen zu können. Besser, nicht daran denken, besser, an die anderen denken. An die zwei Mädchen, die im fünften Stock an den Schaltbrettern sitzen geblieben waren, damit der Dienst weiterginge. An diesen Manuel, der mit ihm hier saß und wartete.

      »Willst du ein Glas Kognak, Manolo?« Der Funktionär war überrascht, vor allem über die freundschaftliche Koseform seines Namens. »Klar, Mensch!« Er wollte noch etwas hinzufügen, da ging das Telephon. Aus dem Ja, Nein des Kommandanten konnte er nichts schließen. Im Reflex des Lampenkegels, in diesem ganz blassen Licht, sah er die Züge Agustíns sich erhärten. Agustín drehte zweimal ganz wenig den Kopf hin und her, und die Flügel seiner schmalen Nase bewegten sich.

      »Ja.« Er hängte ab und drehte sich zu Manuel. »Sie kommen zurück. Es ist noch nicht vorüber. Sie werden auf uns losgehen. Ich kann nichts tun.« Er begann heftig zu fluchen, schön gewaltsame, barbarische Flüche, aber es war eine künstliche Explosion, die ihn nicht erleichterte. Er holte aus dem Schreibtisch eine Kognakflasche heraus und schenkte sich selbst und Manuel zwei kleine Gläser ein. »Zum Teufel mit den Deutschen!«

      Wieder ging das Telephon. Er fluchte wieder und hob den Hörer ab. Im Apparat ein »Hallo … Ausländer … Comandante Sánchez?« Eine Frau mit tiefer Stimme, sie sprach seinen Namen wie Sanches aus. »Sprechen Sie französisch?«

      »Ja. Was wollen Sie? Es ist Fliegeralarm«, sagte Agustín unfreundlich. Sicher Auslandspresse. »Wegen dem Alarm rufe ich Sie an«, sagte die fremde Frau mit einer sehr kühlen und sanften Stimme. »Hier spricht die Diensthabende der Zensur der ausländischen Presse.«

      »Dort gibt es keine Frau.«

      »Seit heute doch, Comandante Sánchez«, sagte die Frau in ihrem langsamen und korrekten Französisch. »Ich möchte, daß Sie mir die Information geben, wie es mit dem Fliegerangriff steht, damit ich das eventuell an die Berichterstatter weitergeben kann. Daß eine Bombe abgeworfen wurde, höre ich eben.«

      Während sie sprach, war jenes dumpfe Aufschlagen und das Zittern aller Fensterscheiben gekommen, das eine Bombe in mäßig großer Entfernung ankündigt.

      »Hat das nicht später Zeit? Jetzt habe ich keine Lust, Informationen an die Presse zu geben.«

      »Ich mache Dienst, Genosse Comandante, damit die Nachrichten über das Bombardement durchgegeben werden. Deshalb bin ich hier oben geblieben. Sie sollten mir die Zusammenarbeit nicht verweigern, das ist keine Privatsache.«

      Die Frau sprach noch immer kühl, aber ihre Stimme war noch tiefer und etwas heiserer geworden. Sie war wohl wütend – eine interessante Stimme –, sicher eine Deutsche. Agustín war mißtrauisch, aber er fühlte sich in die Ecke gedrängt.

      »Señorita (ich werde einer Unbekannten da unten nicht Genossin sagen). Ich werde hinunterkommen und mit Ihnen reden. Sie sind im fünften Stock, nicht? Sie werden sich mir gegenüber ausweisen.«

      Agustín hängte den Hörer auf und wandte sich zu Manuel, der vergebens versucht hatte, einzelne Worte zu verstehen: »Genosse García, bleib hier beim Telephon, und wenn etwas los ist, rufe mich in der Pressezensur im fünften Stock an. Da ist ein neues ausländisches Frauenzimmer. Ich muß sie mir näher anschauen. Die Sache paßt mir nicht.«

      Drei schmale Wendeltreppen, totenschwarz, die der Strahl der Taschenlampe durchsticht, ein langer Korridor, Türen, Tappen an den Wänden, bis man den Lichtkegel richtig dirigiert hat, ein leeres Zimmer, kleine Taschenlampe, schattenhafte Frau, Scheinwerferlicht in ihr Gesicht: »Sie haben eben mit mir telephoniert, Señorita?«

      Diese Frau hatte sehr helle Augen – grau wahrscheinlich –, deren Pupillen sich rasch verengten. Sie hatte harte Augenbrauen und einen blassen Mund – wenigstens nicht angestrichen –, der sehr gerade verlief. Sie war gar nicht hübsch. Um so besser.

      »Hier sollten Sie niemand mit Señorita anreden, Comandante«, sagte die kühle, ruhige Stimme. »Und wollen Sie nicht einen Moment lang Ihre Lampe so halten, daß ich zur Abwechslung Ihr Gesicht examinieren kann?« Ihr herber Mund vertiefte und veränderte sich zu einem fröhlichen und kameradschaftlichen Lächeln, das einem knabenhaften Grinsen sehr nahekam. Die Lippen waren voll; dieser Mund war nicht hart. Agustín blickte interessiert darauf, denn es schien ihm ein Phänomen von Licht- und Schattenwirkung zu sein.

      Aber er hielt die Lampe in einem anderen Winkel, so daß sie beide einander in einem schwachen Licht sichtbar wurden, und sagte ohne Gereiztheit: »Also gut, wer sind Sie eigentlich? Wissen Sie, daß bei Alarm der Keller sicherer ist?«

      Sie setzte sich. Er sah, daß sie das war, was er viereckig nannte, stark muskulös, wahrscheinlich Sportlerin. Mitte der Dreißig, keine üble Figur, aber zu männlich für ihn, vor allem in Gesichtsausdruck und Benehmen. Er nahm neben ihr am papierüberladenen Tisch Platz. Sie sah die Schatten unter seinen Backenknochen und an seinen Schläfen, die langen Glieder, die dünnen Nasenflügel, die Müdigkeit. Sehr spanisch, überzüchtete Rasse, sehr nervös, wahrscheinlich sehr anständig und sehr empfindlich, alles im Extrem, taxierte sie ihn. Sie nahm sich vor, seine Mitarbeit zu gewinnen.

      In diesem Augenblick kam Morton herein, der Korrespondent des »New York Telegraph«. Agustín kannte und mißachtete ihn, denn er hatte ihn oft in widerlichem Whiskyrausch in den Bars der Gran Vía gesehen; er hielt ihn für einen Faschisten und für einen unappetitlichen Fleischkoloß. Dem englischen Gespräch konnte Agustín nicht folgen, aber er sah, wie die Zensorin das Manuskript in einer, wie ihm schien, gewissenlos kurzen Zeit durchlas und billigte. Das mißfiel ihm, er fror