Die Lilie im Tal. Оноре де Бальзак

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Название Die Lilie im Tal
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955013370



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ihre Blicke umschleierten sich. Ach! was hätte ich nicht unternommen, um diese Anrede ›Lieblinge‹ zu verdienen. Es ging mir wie den Kindern: mir war weniger warm, als sie nicht mehr da war. Mein Name schien die Gesinnung des Comte gegen mich umgewandelt zu haben. War er vorhin kalt Und herablassend gewesen, so wurde er nun, wenn nicht gerade herzlich, so doch höflich und zuvorkommend. Er zeichnete mich aus und schien hocherfreut, mich bewillkommnen zu können. Mein Vater hatte sich ehemals aufgeopfert, um unsern Herren große, aber unauffällige Dienste zu leisten. Es war ein gefährliches Unternehmen, das aber gewichtige Erfolge haben konnte! Als dann durch Napoleons Aufstieg zur höchsten Gewalt alles verloren schien, hatte er sich, wie viele geheime Verschwörer, in die Ruhe der Provinz und des Privatlebens zurückgezogen und war genötigt gewesen, ebenso harte wie unverdiente Anschuldigungen über sich ergehen zu lassen. Denn darin besteht der unausbleibliche Lohn der Spieler, die ihr alles dranwagen und verlieren, nachdem sie die Haupttriebkraft einer politischen Unternehmung gewesen sind. Da ich nichts von den Verhältnissen, von der Vergangenheit und den Aussichten meiner Familie wusste, waren mir auch die Einzelheiten dieser gescheiterten Existenz verborgen, deren Comte de Mortsauf sich erinnerte. Gewiss, das Alter meines Namens, die wertvollste Auszeichnung in den Augen eines solchen Mannes, rechtfertigte schon allein die verwirrende Hochachtung, womit er mich begrüßt hatte; aber den wirklichen Grund dafür erfuhr ich erst später. Vorläufig nahm mir dieser plötzliche Umschwung alle Scheu. Als die Kinder sahen, dass die Unterhaltung zwischen uns dreien wieder in Fluss gekommen war, löste sich Madeleine aus der Liebkosung ihres Vaters, blickte nach der offenen Tür und glitt hinaus wie ein Aal. Jacques folgte ihr. Beide liefen zur Mutter, und ich hörte, wie sie sich rührten, und vernahm ihre Stimmen, die in der Entfernung dem Summen der Bienen um ihr geliebtes Haus glichen.

      Ich musterte den Comte und versuchte, mir ein Bild von seinem Wesen zu machen. Aber einige Hauptzüge fesselten mich so lebhaft, dass ich über eine oberflächliche Betrachtung seiner Physiognomie nicht hinauskam. Kaum fünfundvierzigjährig, schien er nahe den Sechzigern zu sein, so schnell war er gealtert in dem großen Schiffbruch, der das achtzehnte Jahrhundert beschloss. Der Haarkranz, der, nach Mönchsart, seinen kahlen Hinterkopf umsäumte, lichtete sich an den Schläfen, wo spärliche Büschel schwarzen, graumelierten Haares saßen. Sein Gesicht erinnerte entfernt an das eines weißen Wolfes, der Blut an der Schnauze hat. Seine Nase war rot angelaufen wie die eines Mannes, dessen Lebenskraft in ihren Tiefen erschüttert, dessen Magen geschwächt ist und den Krankheiten auf immer verdorben haben. Seine flache Stirn war zu breit für sein spitz zulaufendes Gesicht, und von unregelmäßigen Querfalten durchfurcht. Es verriet seine Gewohnheit, im Freien zu leben, und zugleich den Mangel an geistigen Anstrengungen, es zeugte von der Last ständigen Unglücks und vom fehlenden Willen, seiner Herr zu werden. Seine vorspringenden Backenknochen stachen als braune Punkte aus den fahlen Tönen seines Teints heraus und bekundeten einen Knochenbau, stark genug, ihm ein langes Leben zu sichern. Sein heller Blick richtete sich auf den Beschauer, gelb und hart, wie ein Strahl der Wintersonne, leuchtend ohne Wärme, unruhig ohne Gedanken und misstrauisch ohne einen bestimmten Grund. Sein Mund war leidenschaftlich und gebieterisch, sein Kinn eckig und lang. Mager und von hoher Gestalt, hatte er das Auftreten eines Edelmannes, der sich auf seinen gesellschaftlichen Wert stützt, der sich von Rechts wegen über andere erhaben, in der Wirklichkeit ihnen unterlegen fühlt. Der Schlendrian des Landlebens hatte ihn dazu gebracht, sein Äußeres zu vernachlässigen. Sein ganzer Aufzug war der des Krautjunkers, an dem die Bauern ebenso wie seine Nachbarn nur noch den Grundbesitzer schätzten. Seine braunen, sehnigen Hände zeigten, dass er nur zu Pferde oder sonntags, um zur Messe zu gehen, Handschuhe trug; sein Schuhwerk war grob. Obwohl die zehn Jahre Emigrantentum und zehn Jahre Landwirtschaft ihre Spuren in seinem Äußern zurückgelassen hatten, war ihm doch ein Rest von aristokratischen Bewegungen geblieben. Der gehässigste Liberale – das Wort war aber damals noch nicht geprägt – hätte ihm gewiss seine kernhafte Ritterlichkeit angemerkt, dazu die unerschütterlichen Überzeugungen eines unentwegten Lesers der ›Quotidienne‹. Er hätte in ihm die Stütze von Thron und Altar gesehen, den Mann, der leidenschaftlich für seine Sache eintritt, der aus seiner politischen Gesinnungstüchtigkeit kein Hehl macht, der zwar selbst unfähig ist, seiner Partei zu dienen, aber sehr wohl fähig ist, sie zu gefährden, und der im übrigen der französischen Verhältnisse durchaus unkundig war. Der Comte war in der Tat einer jener aufrechten Männer, die sich zu nichts eignen und sich überall eigensinnig in den Weg stellen, immer bereit, die Waffe in der Hand, auf dem ihnen zugewiesenen Posten zu sterben; aber geizig genug, ihr Leben lieber als ihr Geld zu opfern. Während des Mahles bemerkte ich auf seinen hohlen, welken Wangen und in gewissen Blicken, die er verstohlen auf seine Kinder warf, die Spuren peinlicher Empfindungen, deren Aufzucken an der Oberfläche erstarb. Wer ihn so sah, verstand ihn, und jeder hätte ihm vorgeworfen, seinen Kindern diese armseligen, leblosen Körper vererbt zu haben. Wenn er sich selbst verurteilte, so wollte er damit den andern das Recht absprechen, dasselbe zu tun. Herb wie jede Gewalt, die sich im Unrecht weiß, aber ohne genügend Seelengröße oder Liebenswürdigkeit, um die Summe von Leiden, die er in die Waagschale gesenkt hatte, wieder aufzuwiegen, wies er in seinem Privatleben die Rauheiten auf, die man aus seinen eckigen Zügen und dem allzeit unruhigen Blick herauslesen konnte. Als seine Frau eintrat, gefolgt von den beiden Kindern, die sich an sie klammerten, überkam mich die Ahnung einer Familientragödie, wie der Fuß, der über ein Kellergewölbe hinschreitet, gewissermaßen die Tiefe ermisst. Wie ich diese vier Personen vereint sah, meine Blicke von einem zum andern gingen und ich ihren Ausdruck und ihr Verhalten zu verstehen suchte, fielen schwermutvolle Gedanken auf mein Herz, wie feiner grauer Regen eine liebliche Landschaft nach einem strahlenden Sonnenaufgang verschleiert. Als der Gesprächsgegenstand erschöpft war, rückte mich der Comte wieder auf Unkosten Monsieur de Chessels in den Vordergrund des Interesses, indem er seiner Frau Einzelheiten über meine Familie mitteilte. Ich selbst kannte sie nicht. Er erkundigte sich nach meinem Alter. Ich nannte es, und da gab mir die Comtesse mein Staunen über das Alter ihrer Tochter zurück; sie hielt mich, glaube ich, für vierzehnjährig. Dies war, wie ich seither erfuhr, das zweite Band, das sie so stark an mich knüpfte. Ich las in ihrer Seele. Ihr Muttergefühl erbebte freudig, erhellt von einem späten Hoffnungsstrahl. Wie sie mich, den gut Zwanzigjährigen, so schmächtig, so zart und doch so sehnig sah, schrie es vielleicht in ihr: ›Sie werden leben!‹ Sie betrachtete mich neugierig, und ich fühlte, dass in diesem Augenblick das Eis zwischen uns schmolz. Es war, als wollte sie tausend Fragen an mich richten, aber sie behielt sie alle für sich.

      »Wenn das Studium Sie krank gemacht hat«, sagte sie, »so wird die Luft unsres Tales Ihnen die Gesundheit wiedergeben.« – »Die moderne Erziehung ist ein Verderb für die Kinder«, fiel der Comte ein. »Wir pfropfen ihnen den Kopf voll Mathematik, wir bringen sie um mit Keulenschlägen von Wissenschaft, wir machen sie vor der Zeit alt. Sie müssen sich hier ausruhen!« sagte er zu mir. »Sie sind erdrückt von der Ideenlawine, die über Sie weggefegt ist. Welch ein Jahrhundert wird uns der Unterricht bereiten, der jetzt jedem zugänglich ist, wenn man nicht dem Übel entgegenarbeitet und den Unterricht wieder geistlichen Orden in die Hand gibt!«

      Diese Worte stimmten durchaus überein mit dem, was er eines Tages bei den Wahlen sagte, als er einem Manne seine Stimme versagte, dessen Talente der royalistischen Sache hätten von Nutzen sein können. ›Ich werde immer Misstrauen gegen außergewöhnlich kluge Leute hegen‹, antwortete er dem Wahlvermittler ... Er schlug uns vor, einen kleinen Gang durch den Garten zu machen; damit erhob er sich.

      »Der junge Herr ...«, sagte die Comtesse. »Nun, und, meine Liebe?« antwortete er und wandte sich um, mit der herrischen Schroffheit, die besagte, wie sehr er absoluter Herr im Hause sein wollte und wie wenig er es dann war. »Der junge Herr ist von Tours zu Fuß gekommen. Monsieur de Chessel wusste nichts davon und hat ihm die Umgegend von Frapesle gezeigt.« – »Sie haben eine Unvorsichtigkeit begangen«, sagte er zu mir, »obwohl in Ihrem Alter ...« Und er schüttelte zum Zeichen des Bedauerns den Kopf.

      Die Unterhaltung wurde wieder aufgenommen. Ich merkte alsbald, wie empfindlich er in seiner Königstreue war und wie vieler Schonung es bedurfte, um nicht mit ihm zusammenzugeraten. Der Diener, der schnell in seine Livree gefahren war, meldete das Diner. Monsieur de Chessel führte Madame de Mortsauf zu Tisch, und der Comte nahm mich lachend beim Arm, um ins Esszimmer zu gehen, das in der Anordnung der Räume des Erdgeschosses das Gegenstück zum Wohnzimmer bildete.

      Mit weißen, in der Touraine