Название | Gesammelte Werke von Johanna Spyri |
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Автор произведения | Johanna Spyri |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209026 |
»Nun, Juliette, willst du mir denn nicht ruhig erzählen, was da geschehen ist? Sieh, ich begreife nichts von allem!«
»Ja, ich glaub's wohl, daß Sie's nicht begreifen«, rief das Kind, außer Atem vor Aufregung; »niemand begreift's, aber es ist alles gekommen, wie ich's erwartete. Am Morgen früh setzte mich die Mutter schon hinaus, denn sie sollten alle früh aufs Feld und erst spät heimkommen; und sie ging noch einmal ins Haus. Und ich schaute nach den Felsen, wo die Sonne fortgeht, und dachte: Wie lange wird's währen, bis sie wieder dort ist! Aber an einem so langen Tag kann man auch etwas erwarten. Und so war ich wieder froh. Und auf einmal kam ein Mann von dort herauf mit großen, weißen Knöpfen auf dem Rock und einer blauen Kappe, und er zog einen Karren, und große, hohe Bündel waren darauf. Und er kam hier heran und fragte: ›Wo ist das lahme Kind?‹ Ich sagte: ›Hier sitze ich‹. Da sagte er: ›Das ist alles für dich!‹ und legte alle Pakete hier zu mir her, eins nach dem anderen. Und ich bekam so starkes Herzklopfen und fragte: ›Wer schickt mir's?‹ Er sagte: ›Das weiß kein Mensch und wird nie ein Mensch wissen.‹ Und er fuhr weg. Nun hatte ich es immer erwartet, es müsse einmal so kommen; aber wie es nun wirklich gekommen war, o da war's noch ganz anders! Und ich zitterte so, daß ich kein Paket aufmachen, nicht einmal der Mutter rufen konnte, so war es mir vor den Atem gekommen; aber sie kam bald, und hier! hier! das war alles in den großen Bündeln.«
Hedwig mußte nun alles besehen, Stück für Stück, immer entdeckte das glückselige Kind wieder etwas Neues. Einen solchen Festtag hatte es in seinem Leben noch nicht gehabt. Es ließ Hedwigs Hand nicht los, sie mußte dableiben, sie mußte all das wundervolle Spielzeug erklären, die Bilderbücher durchsehen; sie mußte sich mitfreuen, daß die Mutter ein schönes Tuch bekomme und Mariette eines und dann erst noch eins bleibe. Auch alle die Schachteln und Büchschen mußte Hedwig aufmachen – es nahm kein Ende.
Aber auf einmal legte sich das Kind in seinen Sessel zurück; es war plötzlich stille geworden, die Freude hatte seine Kräfte erschöpft. Hedwig brach zum Fortgehen auf, mußte aber versprechen, morgen wiederzukommen und nachher noch jeden Tag, da wäre ja immer noch was Neues wieder zusammen anzusehen, meinte das Kind. »Jetzt ist die Freude für immer«, sagte es dann, nachdenklich seine großen Augen auf Hedwig richtend. »Jetzt kommt jeden Tag die Freude an dem allen und zuletzt am Ende noch die große Freude vom Käthchen im Himmel.« Das Kind war wieder bleich geworden, aber seine Augen leuchteten fort in heller Freude.
Hedwig konnte nicht mehr an ihren Gang nach der Waldhöhe denken, sie kehrte zurück, den Weg entlang, wo sie heute früh den Baron gesehen hatte mit seinem hochbeladenen Handkarren. Sie wußte nun, wohin er diesen gesandt hatte und womit er beladen war. Ihm hatte sie von dem Kinde erzählt und von seinem täglichen, wie sie meinte, vergeblichen Erwarten. In welcher Weise hatte er daran gedacht! Ein wenig fühlte sie sich beschämt von ihm. Freilich, es ihm gleichtun konnte nicht jeder. Aber auch wenige, die es konnten, hätten es ihm gleichgetan. In dieses freudenlose Kinderleben einen solchen Sonnenschein zu werfen, dazu brauchte es vor allem ein warmes, teilnehmendes Herz, nicht nur das nötige Metall.
Dort stand der Baron im Garten. Er wollte wohl nicht, daß man ihn errate, er war ja so verlegen geworden bei ihrem Gruß am Morgen; aber Hedwig konnte nicht anders; sie lief zu ihm hin und streckte ihm bewegt ihre Hand entgegen.
»O hätten Sie das Fest mit ansehen können! Sie haben das freudenarme Kinderherz in Glückseligkeit getaucht. Das will ich Ihnen mein Leben lang nicht vergessen!«
Der Baron war ein wenig rot geworden, wohl vor Überraschung, daß er so schnell erkannt worden war; aber in seinen ehrlichen Augen lag ein Ausdruck großer Vergnüglichkeit. –
Im späteren Nachmittag, als die Sonne schon dem Berggipfel nahte, hinter den sie so früh sich niedersenkte, trat Hedwig aus dem Hause. Sie sah das Fräulein die Treppe des Nebenhauses herunterkommen, bereit zum verabredeten Gange nach dem Rebenhügel.
»Wohnen Sie hier im Nebenhaus?« fragte Hedwig verwundert.
»Jawohl«, war die Antwort, »und mein Fenster sieht zu Ihnen hinüber; ich bemerkte: es heute früh, als Sie hinausschauten.«
»Und ich habe gestern Abend Ihr Licht gesehen, ohne zu wissen, daß es das Ihrige war«, erwiderte Hedwig. »Wie spät erst haben Sie es ausgelöscht!«
»Ich kann nicht früher einschlafen, meistens auch dann noch nicht, wie spät ich das Licht auch auslösche«, bemerkte das Fräulein.
»So sind Sie krank?« fragte Hedwig teilnehmend.
»Ja, ich bin krank.«
Die Antwort war so kurz gegeben, daß Hedwig nicht weiter fragen mochte, wie groß auch ihre Teilnahme war. Sie waren nun am Hügel angekommen und stiegen schweigend den sonnenbeschienenen Weg hinan. Jetzt zeigte sich die Bank auf der Anhöhe. »Dort ist Ihre Bank«, sagte das Fräulein, »die meinige ist weiter weg und schaut nicht auf diesen bewohnten, lebendig bewegten Talgrund hinab. Die Aussicht ist sehr still dort oben und niemand kommt dahin.«
»Wir wollen doch zu Ihrer Bank hinaufgehen, wenn es Ihnen lieber ist.«
Die Wandernden setzten ihren Weg fort, erst eine Strecke weit über trockenes Weideland hin, dann in den Wald hinein, wo die noch blätterreichen Kastanienbäume dunkle Schatten über den moosbedeckten Boden breiteten. Dann führte der schmale Pfad wieder aus dem Walde hinaus, dem steilen Abhang zu, der auf das steinige Flußbett der wilden Gyronne niederschaut. Hier stand die Bank, im Angesicht der dunkel emporragenden Felsen der Dent du Midi, die rauh und zerklüftet nach dieser Seite hin wie drohende Gewalten sich erheben. Vom Abhang bis ins Tal hinunter schloß auf der einen Seite der dichte Wald die Landschaft ab, und sein tief tönendes Rauschen war der einzige Laut, der zu der einsam-stillen Höhe empordrang.
Die Frauen setzten sich auf die Bank nieder und blickten eine Weile schweigend auf die düsteren Felsenhöhen vor sich.
Hedwig war noch ganz erfüllt von dem Eindruck des heutigen Morgens. Sie erzählte dem Fräulein die Geschichte des lahmen Kindes und was sie heute mit ihm erlebt hatte. Das Fräulein hörte mit großer Teilnahme zu, und wie Hedwig zu der erfüllten Erwartung und dem überflutenden Glück des Kindes kam, da fuhr ein Freudenstrahl durch die traurigen Augen, der Hedwig einen Augenblick ganz von ihrer Erzählung abzog. Wie wunderbar konnten diese traurigen Augen aufleuchten! Die ganze Persönlichkeit war verwandelt dadurch.
»Könnte ich doch dem jungen Mann die Hand drücken, ich möchte ihm danken für seine Tat«, sagte das Fräulein mit Wärme; doch schon lag der alte Schatten wieder auf dem schönen Angesicht.
Hedwig bemerkte, es sei wohl besser, wenn weiter nicht von der Sache gesprochen werde und der Baron nicht höre, daß sie davon erzählt habe; er hatte so deutlich gezeigt, daß er unentdeckt bleiben wollte. Aber den Baron dem Fräulein vorstellen, wollte Hedwig sehr gerne, es würde ihm auch große Freude machen, das wisse sie. Gar zu jung sei er übrigens nicht mehr, setzte Hedwig hinzu, die bemerkt hatte, daß das Fräulein ihn fortwährend als jungen Menschen bezeichnete.
»Er macht mir einen sehr jugendlichen Eindruck«, erwiderte das Fräulein, »das mag ich gerade so gerne an ihm. Wenn ich ihn so herauslachen höre, oder wenn er