Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Название Philosophische und theologische Schriften
Автор произведения Nicolaus Cusanus
Жанр Философия
Серия Kleine philosophische Reihe
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783843800983



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so folgt, daß alles in allem und jegliches in jeglichem ist. Das Universum geht nämlich als das Vollkommenste naturgemäß (ordine naturae) allen Dingen vorher, damit jedes in jedem sein kann. So ist das Universum in jedem Geschöpfe dieses Geschöpf, und jegliches nimmt alles in sich auf, so daß dieses in ihm konkret existiert. Da jedes einzelne nicht in Wirklichkeit (actu) alles sein kann, weil es beschränkt ist, so schränkt es alles in sich ein, auf daß alles dieses Einzelne sei (cum quodlibet non possit esse actu omnia, cum sit contractum, contrahit omnia, ut sint ipsum). Ist folglich alles in allem, so scheint alles dem Einzelnen vorherzugehen. Alles ist somit nicht die Vielheit, weil die Vielheit nicht dem Einzelnen vorhergeht. Alles ist daher ohne Vielheit jeglichem naturgemäß vorhergegangen. In jeglichem ist daher nicht die Vielheit in Wirklichkeit (actu), sondern alles ist ohne Vielheit eben dieses Einzelne. Da nun das Universum konkret in den Dingen ist, so ist jedes wirklich (actu) existierende Wesen eine konkrete Darstellung des Universums (contrahit universa), so daß dieses in Wirklichkeit das ist, was jenes Wesen ist. Jedes wirklich Existierende ist aber in Gott, weil er die Wirklichkeit von allem ist. Die Wirklichkeit (actu) ist Vollendung und Ziel der Möglichkeit. Da nun das Universum in jedem wirklich Existierenden konkret erscheint, so folgt, daß Gott, der im Universum ist, in Jeglichem sei und jedes wirklich Existierende unmittelbar in Gott wie das Universum. Jegliches ist in Jeglichem – heißt also soviel als: Gott ist durch Alles in Allem, und Alles ist durch Alles in Gott. Einem tieferen Nachdenken sind diese schwierigen Dinge ganz klar, sowohl: daß Gott ohne Verschiedenheit in Allem, weil Jegliches in Jeglichem, als auch, daß alles in Gott ist, weil Alles in Allem ist. Ein Beispiel. Bekanntlich ist die unendliche Linie – Linie, Dreieck, Kreis und Kugel. Jede endliche Linie hat ihr Sein von der unendlichen, die alles das ist, was sie ist. In der endlichen Linie ist daher alles, was sie ist, endliche Linie: Dreieck, Kreis, Kugel. Jede Figur in der endlichen Linie ist daher diese Linie; in ihr ist kein Dreieck, Kreis oder Kugel in Wirklichkeit (actu), weil aus mehrerem Wirklichen (ex pluribus actu) nicht ein Wirkliches wird, da nicht jedes Ding auch actu in jedem ist, sondern das Dreieck in der Linie ist Linie, der Kreis in der Linie ist Linie etc. Alles am Stein ist Stein, an der Seele Seele, am Leben Leben, am Gesichte Gesicht, an der Einbildung Einbildung, am Verstande Verstand, an der Vernunft Vernunft, an Gott Gott. Und nun betrachte, wie das Universum in Vielheit ist und die Vielheit in Einheit. Erwäge noch reiflicher und du wirst einsehen, daß jegliches wirklich existierende Ding darin seine Ruhe findet, daß alles in ihm es selbst ist, und es selbst in Gott – Gott. Wir bemerken eine wunderbare Einheit, eine staunenswerte Gleichheit und eine unbegreifliche Verbindung der Dinge, auf daß Alles in Allem sei. Die Verschiedenheit und Verbindung der Dinge entsteht auf folgende Weise: Da jedes Ding nicht in Wirklichkeit (actu) alles sein konnte, weil es sonst Gott wäre, und deshalb alles in Jedem auf die Art ist, wie es nach Dem sein kann, was es ist, so konnte nicht jedes in Allem dem andern ähnlich sein. Deshalb schuf Gott alles in verschiedenen Stufen, wie er denn auch jenes Sein, welches nicht zugleich unzerstörlich sein konnte, durch das zeitliche Nacheinander unzerstörlich machte, auf daß alles das sei, was es ist, weil es nun einmal nicht anders und besser sein konnte. Es hat daher alles in Jedem seinen Ruhepunkt, weil keine Stufe ohne die andere sein könnte, wie am Körper jedes Glied dem andern dient und alle Glieder in allen ihr Genüge finden (contentantur). Weil das Auge nicht Hand und Fuß und alle anderen Glieder in Wirklichkeit sein kann, so begnügt es sich, Auge, der Fuß begnügt sich, Fuß zu sein. Alle Glieder unterstützen sich gegenseitig, auf daß jedes auf die bestmögliche Weise das sei, was es ist. Die Hand ist nicht Hand, der Fuß nicht Fuß im Auge, sondern im Auge sind sie Auge, und so als Auge unmittelbar im Menschen. Ebenso sind alle Glieder im Fuße und als Fuß unmittelbar im Menschen, so daß jedes Glied durch jedes unmittelbar im Menschen und der Mensch oder das Ganze durch jedes Glied in jedem ist. Oder betrachtest du die Menschheit als ein gewisses absolutes, nicht zu vermengendes und einzuschränkendes Sein und dann den Menschen, in welchem die absolute Menschheit auf absolute Weise sich vorfindet, aus welcher die konkrete Menschheit – der Mensch – herstammt, so entspricht die absolute Menschheit Gott, die konkrete dem Universum. Die absolute Menschheit ist im Menschen nach der Priorität, und infolgedessen in jedem Gliede oder Teile. Die konkrete Menschheit ist im Auge Auge, im Herzen Herz etc., in jeglichem jegliches konkret. Auf diesem Wege ergibt sich die Ähnlichkeit zwischen Gott und der Welt und die Veranschaulichung alles dessen, was in den letzten zwei Kapiteln besprochen wurde, samt mehreren Folgerungen daraus.

      SECHSTES KAPITEL

      Über den Organismus (de complicatione) und die Stufen des konkreten Universums

      Wir haben gesehen, daß das Universum oder die Welt eines sei, aber eine Einheit in Vielheit. Ist die absolute Einheit die erste, so ist die des Universums die zweite. Da nun die zweite Einheit (wie in dem Buche über die Mutmaßungen gezeigt werden wird) die des Zehners (denaria) ist und zehn Prädikamente in sich begreift, so entfaltet das eine Universum die erste absolute Einheit in der konkreten Form des Zehners (denaria contractione). Im Zehner ist alles inbegriffen, weil es keine Zahl über ihn hinaus gibt. Wie nun der Zehner die Wurzel des Quadrats – Hundert – und des Kubus – Tausend ist, so ist die Einheit des Universums die Wurzel, aus der die quadratische Einheit als die dritte und die kubische als die vierte und letzte hervorgeht. So ergeben sich uns drei universelle Einheiten, die stufenmäßig zum partikularen Sein herabsteigen, in dem sie konkret werden, um actu dieses selbst zu sein. Die erste absolute Einheit umfaßt alles in absoluter, die erste konkrete in konkreter Weise; allein die Ordnung bringt es mit sich, daß die absolute Einheit die erste konkrete in sich zu fassen scheint, um mittelst ihr alles andere zu umfassen. Die erste konkrete Einheit scheint die zweite konkrete und mittelst ihr die dritte zu umfassen, um mittels ihr in das Gebiet des Partikularen herabzukommen. So sehen wir, wie das Universum in jedem partikularen Sein in drei Stufen sich konzentriert (contrahitur). Das Universum ist demnach die Gesamtheit von zehn höchsten Allgemeinheiten (quasi decem generalissimorum universitas), auf welche die Gattungen, dann die Arten folgen. Sie alle bilden, je nach ihren Stufen, die Universalien, welche gemäß der Ordnung der Natur (ordine quodam naturae) stufenweise vor dem Dinge, das ihr konkreter wirklicher Ausdruck ist, existieren (ante rem, quae actu ipsa contrahit, existunt). Da das Universum konkret ist und somit nur in Gattungen, diese nur in den Arten bestehen, und da das Universum nur in den Individuen zur Wirklichkeit gelangt, so existieren nach dieser Betrachtung die Universalien nur in der konkreten Wirklichkeit (universalia non sunt nisi contracte actu). In diesem Sinne sagen die Peripatetiker mit Recht, die Universalien hätten außer den Dingen keine Wirklichkeit, denn nur das Einzelwesen, in welchem die Universalien konkret es selbst sind, hat Wirklichkeit. Indessen haben die Universalien naturgemäß ein gewisses universelles Sein, das der singulären Ausgestaltung fähig ist (contrahibile per singulare), nicht als ob sie vor diesem Konkretwerden in Wirklichkeit (actu) anders, als gemäß der natürlichen Ordnung existierten, nämlich als ein der konkreten Ausprägung fähiges Universale, das nicht in sich besteht, sondern nur in seiner Verwirklichung (ut universale contrahibile, non in se subsistens, sed in eo, quod actu est), wie Punkt, Linie, Oberfläche nach der Ordnung der Progression dem Körper, in dem sie allein zur Wirklichkeit gelangen, vorhergehen. Wie das Universum deshalb, weil es in Wirklichkeit nur konkret existiert, noch keineswegs ein bloßer Verstandesbegriff ist, so sind auch die Universalien nicht bloße Verstandesbegriffe, wenn sie gleich außer dem Einzelwesen in Wirklichkeit nicht existieren, gleichwie Linie und Oberfläche, obschon sie außer dem Körper nicht vorkommen, dennoch nicht bloße Verstandesbegriffe (entia rationis) sind, weil sie im Körper ebenso sind wie die Universalien in den Einzeldingen. Der Verstand gibt ihnen jedoch durch Abstraktion ein Sein außerhalb der Dinge, und diese Abstraktion ist ein Verstandesbegriff, da ihnen doch ein absolutes Sein nicht zukommen kann. Denn das völlig absolute Universale ist Gott. Wie aber das Universale in unserem Geiste ist, werden wir im Buche von den Mutmaßungen sehen, wiewohl es schon aus dem Gesagten erhellen kann, da sie im Geiste nur Geist und somit auf geistige Weise konkret (intellectualiter contracte) existieren. Da das Denken des Geistes ein43 helleres und höheres Sein ist, so erfaßt es die Universalien, wie sie konkret in ihm und im anderen Sein existieren (cuius intelligere cum sit esse clarius et altius, apprehendit universalium contractionem in se et in aliis). Der Hund und andere Tiere derselben Art sind durch das in der Natur liegende Gemeinsame der Art, das in ihnen sich findet, zu einer Art verbunden, und dies wäre auch so, wenn auch