Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

Читать онлайн.
Название Philosophische und theologische Schriften
Автор произведения Nicolaus Cusanus
Жанр Философия
Серия Kleine philosophische Reihe
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783843800983



Скачать книгу

entsteht. Wiewohl die Gleichheit der Einheit aus der Einheit gezeugt wird und aus beidem die Verbindung hervorgeht, so ist doch Einheit, Gleichheit der Einheit und aus beiden hervorgehenden Verbindung eines und dasselbe, wie wenn man von demselben Gegenstande sagt: hoc, id, idem.

      Wenn unsere Kirchenlehrer die Einheit den Vater, die Gleichheit den Sohn, die Verbindung den hl. Geist genannt haben, so haben sie hierbei auf die Ähnlichkeit mit irdischen Verhältnissen Rücksicht genommen. Denn in dem Vater und Sohne ist eine gewisse Gemeinsamkeit der Natur, welche Eine ist (quaedam communitas naturae, quae una est), so daß der Sohn dem Vater in der Natur gleich ist. Denn es ist nicht mehr oder weniger Menschheit in dem Sohne, als in dem Vater (nihil enim magis vel minus humanitatis est in filio, quam in patre), und es besteht unter ihnen eine gewisse Verbindung. Denn eine natürliche Liebe verbindet den einen mit dem andern, wegen der Ähnlichkeit (similitudinem) derselben Natur, die vom Vater auf den Sohn übergeht. Deshalb liebt er den Sohn mehr als einen andern, der mit ihm in der Menschheit übereinstimmt (secum in humanitate convenientem).

      Dies ist meiner Ansicht nach, gemäß der pythagoreischen Forschung, die klarste Auffassung der Dreiheit in der Einheit und der Einheit in der Dreiheit.

      ZEHNTES KAPITEL

      Das Verständnis der Dreiheit in der Einheit geht über alle Begriffe

      Untersuchen wir nun, was Martianus wollte, wenn er sagte, eine Philosophie, die sich zum Verständnisse dieser Dreieinigkeit erheben wolle, müsse zuvor Kreise und Sphären aufgegeben haben (evomuisse). Es ist oben gezeigt, daß es nur ein einfachstes Größtes gibt. Es ist nicht die vollkommenste körperliche Figur – die Kugel, nicht Kreis, nicht Dreieck, nicht Linie, sondern über alles dieses hinaus. Man muß daher, was Sinn, Einbildung oder Verstand darbietet, aufgeben, um zu der einfachsten und abstraktesten Vernunfteinsicht (intelligentia) zu gelangen: Alles ist Eines; die Linie ist Dreieck, Kreis und Kugel, die Einheit der Dreiheit usf., das Akzidens Substanz, der Körper Geist, die Bewegung Ruhe etc. Dann erkennen wir, daß Jegliches in dem Einen Eines ist und das Eine Alles und folgerichtig Jegliches in ihm Alles. Namentlich hat man nicht vollständig Kugel, Kreis etc. aufgegeben, solange man nicht zur Einsicht gelangt, die größte Einheit sei notwendig dreieinig. Die Einheit des vernünftigen Erkennens (intellectus) besteht in dem Erkennenden, dem Erkennbaren und dem Erkennen. Willst du dich nun von dem Erkennenden zum absolut Größten erheben und sagen, es sei das am meisten Erkennende, dabei aber nicht beifügen, es sei auch das am meisten Erkennbare und das höchste Erkennen, so hättest du keine rechte Auffassung der größten und vollkommensten Einheit. Die Einheit schließt ferner die Unteilbarkeit, Unterscheidung und Verbindung in sich, da alle drei aus der Einheit stammen; die größte Einheit ist mithin alle drei zumal. Als Unteilbarkeit ist sie die Ewigkeit ohne Anfang, wie denn das Ewige von Nichts getrennt oder geschieden ist; als Unterscheidung ist sie aus der unveränderlichen Ewigkeit, als Verbindung geht sie aus beiden hervor. Folglich, indem ich sage: Die Einheit ist die größte, spreche ich damit die Trinität aus. Mit dem Worte: Einheit bezeichne ich den Anfang ohne Anfang (principium sine principio), mit dem Worte: »größte« den Anfang aus dem Anfange, mit der Kopula »ist« – das Hervorgehen aus beiden.

      Ich sagte oben, im Größten sei die Linie zugleich Oberfläche, Kreis und Kugel. Um nun deinen Geistesblick zu schärfen, will ich dich zu der Einsicht dieses Satzes erheben, die dir dann, wenn du dich von den (mathematischen) Figuren zur geistigen Wahrheit selbst erhebst, einen überaus großen Genuß gewähren wird, und du wirst auf diesem Wege in der Wissenschaft des Nichtwissens große Fortschritte machen.

      ELFTES KAPITEL

      Die Mathematik ist ein treffliches Hilfsmittel

      im Erfassen göttlicher Wahrheiten

      Alle unsere weisen und frommen Kirchenlehrer sagen einstimmig, die sichtbaren Dinge seien Abbilder der unsichtbaren Welt, der Schöpfer könne auf diesem Wege wie in einem Spiegel und Rätsel erkannt werden. Daß aber die geistigen, an sich von uns unerfaßbaren Dinge auf dem Wege des Symbols von uns erkannt werden, hat seinen Grund in dem oben Gesagten, weil alle Dinge in einem uns freilich unbekannten Verhältnis zu einander stehen, so daß aus allen das eine Universum sich herausstellt, und alles in dem einen Größten das Eine selbst ist. Und wiewohl jedes Abbild dem Urbilde ähnlich ist, so ist doch außer dem größten Abbilde, welches dasselbe, was das Urbild ist, in der Einheit der Natur kein Abbild so ähnlich oder auch gleich, daß es nicht unendlich ähnlicher oder gleicher sein könnte. Bedient sich nun unser Forschen des Abbildes, so darf natürlich hinsichtlich des Abbildes kein Zweifel obwalten, da der Weg zum Ungewissen nur durch das vorausgesetzte Gewisse geht. Nun bewegt sich aber alles Sinnliche wegen der in ihm überwiegenden materiellen Möglichkeit in einem gewissen beständigen Schwanken. Dagegen hat das Abstrakte (abstractiora istis), nicht als ob es der materiellen Zutat, ohne welche es sich nicht vorstellen läßt, ganz und gar entbehrte, große Festigkeit und Gewißheit, wohin die Sätze der Mathematik gehören. Daher haben die Philosophen in ihnen eine Anleitung zur philosophischen Forschung (exempla indagandarum rerum) gefunden; keiner von den berühmten Alten hat schwierige Untersuchungen anders als mittelst der Ähnlichkeiten, welche die Mathematik darbietet, angestellt. So lehrte Boëtius, der berühmte römische Gelehrte, niemand könne es in den göttlichen Dingen zu einer Wissenschaft bringen, der keine Übung in der Mathematik habe. Setzte nicht Pythagoras, der erste Philosoph dem Namen und der Tat nach, alle Untersuchung der Wahrheit in das Verständnis der Zahl? Ihm folgten die Platoniker und die ersten christlichen Philosophen in dem Grade, daß unser Augustin und nach ihm Boëtius behaupteten, die Zahl sei im Geiste des Schöpfers das Urbild der zu erschaffenden Dinge gewesen. Wie konnte uns Aristoteles, der durch Widerlegung seiner Vorgänger als einzig dastehen wollte, in der Mathematik anders die Differenz der Arten lehren, als indem er sie mit den Zahlen verglich? Indem er uns über die Gestalt der Naturwesen und wie eine in der andern enthalten ist, belehren wollte, nahm er zu den mathematischen Formen seine Zuflucht, wenn er sagte: Wie das Dreieck in dem Viereck, so ist das Niedere in dem Höheren enthalten, um nichts von unzähligen andern Vergleichungen zu sagen … Hat nicht die Lehre der Epikuräer von den Atomen und vom leeren Raume, eine Ansicht, die Gott leugnet und alle Wahrheit aufhebt, nur durch den mathematischen Beweis der Pythagoräer und Peripatetiker ihre Widerlegung gefunden, indem sie zeigten, man könne nicht auf unteilbare und einfache Atome kommen, die Epikur als Prinzip annahm? Auf diesem Wege der Alten also, mit ihnen vorgehend, sagen wir, daß wir uns, da man einmal zum Göttlichen nur mittelst der Symbole gelangen kann, der mathematischen Zeichen wegen ihrer unzerstörlichen Gewißheit am passendsten bedienen können.

      ZWÖLFTES KAPITEL

      Wie man sich der mathematischen Zeichen

      für den vorliegenden Zweck zu bedienen habe

      Da aus dem Früheren bekannt ist, daß das schlechthin Größte nicht zu dem gehört, was wir wissen oder erfassen, so muß man, wenn man es auf dem Wege des Symbols erforschen will, über die Ähnlichkeit hinausgehen (transilire). Da alle mathematischen Zeichen endlich sind, so muß man zuerst die mathematischen Figuren mit den Veränderungen, die sie zulassen (cum suis passionibus), als endliche betrachten, sodann die endlichen Verhältnisse entsprechend auf derlei unendliche Figuren übertragen, endlich diese Verhältnisse der unendlichen Figuren auf das schlechthin Unendliche, das von jeder Figur frei ist, übertragen. Dann wird unser Nichtwissen auf eine unbegreifliche Weise belehrt werden, wie wir, die wir in rätselhaftem Erkennen uns abmühen (nobis in aenigmate laborantibus), über das Höchste mit mehr Wahrheit urteilen können. So verglich der fromme Anselm die höchste Wahrheit mit der unendlichen Linie; nach seinem Vorgange bringe ich die Linie der Geradheit als gerade Linie in Anwendung. Andere haben die hochheilige Trinität mit einem Dreieck von drei gleichen Seiten und rechten Winkeln verglichen. Und weil ein solches Dreieck notwendig unendliche Seiten hat, so ist es ein unendliches Dreieck. Wir folgen auch dieser Auffassung. Wieder andere wollten die unendliche Einheit darstellen und nannten Gott den unendlichen Kreis. Diejenigen endlich, welche die höchste Wirksamkeit (actualitatem) Gottes darstellen wollten, bezeichneten Gott als die unendliche Kugel. Ich werde zeigen, daß sie alle zusammen eine richtige