Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Название Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band)
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027203710



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      Aus dem Dunkel

       Inhaltsverzeichnis

      »Die Weiber sind billig hier, jetzt während des Krieges.«

      »Ja, – unter pari, Herr Aufsichtsrat.«

      »Sie machen sich wohl gern über mich lustig, Herr – Kunstmaler?«

      »Nein, ungern. – Übrigens betrachten Sie einmal diese Fülle von Seegras. Liegt es nicht da wie nasses Frauenhaar?«

      »Frauenhaar?«

      »Nun ja, abgeschnittenes, beträntes Witwenhaar, vom Meere mit dem Rufe ›Wohlfeil‹ ans Ufer geworfen.«

      »Sauerkraut sieht auch so aus. Das sind Künstlermeinungen. Besteht die Hauptaufgabe der Kunst darin, alle Dinge zu verwechseln? Eine Träne für eine Perle, eine Perle für eine Träne anzusehen, ein Orgelspiel für Meeresbrausen – – ahh! In gelber Seide! Die Dame mit dem Echo!«

      »Sie geht zu Jantzen, – soupieren.«

      »Steigen wir ihr nach. Wollen wir ein wenig schlemmen, Herr Künstler?«

      »Gut, um uns in vertauschten Rollen zu präsentieren. Auf denn! Es dunkelt schon. Aber auf die Gelbe zählen Sie nicht. Ihr Herz klopft lediglich für die Marine.«

      »Weiß wohl; sie leidet am Blauen-Tuch-Koller. Heute ein Kapitän, morgen ein ganz gemeiner Matrose und als neuestes sogar eine Strandpromenade mit dem Herrn Admiraaal.«

      »Warum lassen Sie sich nicht ebenfalls blaue Knöpfeaufnähen?«

      »Um später als Krüppel vollständig außer Konkurrenz gestellt zu sein, danke.«

      »Ich habe einen Verdacht auf die Echodame – übrigens: warum nennt man sie so?«

      »Weil ihre Stimme ...«

      Damit hatte sich das Gespräch hörweit von dem leergewordenen Strandkorb entfernt. In dessen unmittelbarer Nähe hinter einem der von Kindern gebauten Sandkrater, die dem Strande das Aussehen einer Mondlandschaft leihen, richtete sich nun mit einem schwachen Seufzen oder Räuspern ein Matrose vom abendfeuchten Boden auf. Unbeholfen erhob er sich, trat in der Dämmerung vorsichtig drei Schritte vorwärts und blieb, die hohe Brust und das Gesicht nach der See gerichtet, etwa eine halbe Stunde unbeweglich stehen.

      Er wandte sich auch dann nicht, als zwei späte Spaziergänger, junge, aus gelangweiltem Frohsinn kichernde und tuschelnde Damen, im Gleichschritt heranmarschierten, die, umschlungen, sich auf den Laufplanken von Seite zu Seite drängten und schließlich hinter dem Seemann einen Korb besetzten.

      »Friedel, schau mal den!«

      »Hui, ein schneidiger Kerl. Welche Heldenbrust.«

      »Und der Wuchs; wie eine Statue. Das ist das echte Prototyp eines Matrosen. Deutschland zur See, übers Meer Ausschau haltend. – Gelt, die Marineuniform ist doch schön? – Ich könnte solche Idealgestalt ...«

      »Willst du dich etwa verlieben, Mirzl?«

      »Hab schon – – o Gott! ...«

      »Pfui. Deine Idealgestalt kratzt sich. Und schau nur! Schau nur! Wie steif er sich niederläßt ...«

      »Lach doch nicht so – das hängt vielleicht – ha ha – mit dem Kratzen zusammen.«

      »Pst! er hört alles. Komm, wollen ihn mal fragen, was das dort für ein Schiff sei.« –

      »Verzeihen Sie. Können Sie uns wohl sagen, was das dort für ein rotes Licht ist?«

      Er stand nicht auf vor den Damen. Die begeisterte Meinung der zum Lachen geneigten Freundinnen sank ein wenig und gleich darauf bedeutend, als der deutsche Seemann gutmütig bieder zurückfragte: »Das Lichd? Uff'n Wasser dord? Das rode Lichd?«

      »Ja.«

      »Das is' ä Dorbedopoot.«

      »So, ein Torpedoboot.« Mirzl stieß heimlich Friedin an. »Ich glaubte, es sei die Fähre.«

      »Nee, ä Dorbedopoot.«

      »Sie sind gewiß auch auf einem Dorbedo ...« Mirzls Frage blieb in einem Lachausbruch stecken.

      »Ich war. Jetz bin ich zor Erholunk hier.«

      »Aber Mirzl, nu meckere doch nicht in einem fort über die alte Geschichte. – Meine Freundin hat nämlich so was Komisches erlebt. – Also zur Erholung? Dann haben Sie wohl schon Seegefechte mitgemacht?« –

      »Eens, ä kleenes.«

      »Das muß furchtbar sein. Erzählen Sie uns doch davon. Auf welchem Schiff waren Sie denn? – – Sie erlauben wohl, daß wir uns auf einen Moment hierhin gießen? ...«

      »Nu nadierlich. Aber 's ist feichd. Wolln Se sich nich uff meene Jagge setzen?«

      »Nein, danke bestens.«

      Mirzl zögerte noch. Es schien ihr doch ein bedenklich kühnes Abenteuer, sich im Finstern neben einem fremden Matrosen zu lagern. Jedoch im Grunde fühlte sie sich über seinen Charakter im Klaren.

      »D'n Namen von dem Schiff darf ich nich verraden. Das Gefächd war ooch egendlich gee Gefächd. Ä Greizer dauchde bletzlich uff un warf ä baar Granaden an Bord ...«

      »Nein, ist so was möglich?«

      »Ja. Gerade middags in d'n Hammelgohl.«

      »Sie speisten also zu der Zeit? Haben Sie denn die Schüsse erwidert?«

      »Ja, wir feierden ooch riewer, aber der Greizer rikde aus.«

      »Aber Friedl, da ist doch nichts Lächerliches bei. Stelle dir einmal vor, du müßtest im Granatenhagel mit solcher donnernden Kanone hantieren.«

      »Ach, das is garnich so schlimm wie mer dengd. Iwrichens hawe ich gar nich mid geschossen.«

      »Sie waren jedenfalls unten an der Maschine beschäftigt?«

      »Nee, ich bin Schduard; ich ging gerade mid vier Dellern Hammelgohl über Deck.«

      »Nun, das ist ja alles eins – Mirzl, nimm dich endlich einmal zusammen; jeder tut dort seine Pflicht, wo er hinpostiert wird. Und die Gefahr droht allen.«

      »Na ä'm. Bei der Marine gann mer sich de Arweed nich aussuchen.«

      »Nein, das meinte ich auch. Sie konnten ebenso leicht getroffen werden wie die Leute an den Kanonen.«

      »Mich had's ooch erwischd. Ä Granadschblidder haude mir alle vier Deller um die Nase ...«

      »Still! Mirzl, da kommt jemand. Wir sind also nicht die einzigen Nachtschwärmer.«

      »Das is ä Landoffizier mid der Echodame; mer heerd's.«

      »Wie? Kennen Sie die auch?«

      »Nur vom anheeren. Ich genne se alle; ich sitze hier alle Awende.«

      »Aber in bezug auf das rote Licht haben Sie sich doch geirrt; es ist die Fähre von Dänemark.«

      »Ach ja, de Fähre von Dänemark; das deischd manchmal.«

      In der anspruchslosen Frohlaune, worin sich die Damen befanden, blieb ihnen die Unterhaltung mit dem Sachsen noch länger amüsant. Nur bedauerten sie, daß die Dunkelheit sein Gesicht verbarg.

      »Rauchen Sie nie? Rauchen Sie uns doch bitte was vor.«

      »Nee, ich rooche jetz nich.«

      »Sie haben gewiß schon das Eiserne Kreuz?«

      »Ja, das is ooch bei mir hängen gebliem.«

      »O bitte, zeigen Sie doch mal!«

      »Das gann mer jetz nich sehen.«

      »Warten Sie, wir haben Feuerzeug. Friedl!«