Название | Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band) |
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Автор произведения | Joachim Ringelnatz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027203710 |
Da trieb ein Hund; er hatte an Bord dem Oberfeuerwerker gehört und uns oft zur Kurzweil gedient. Dieses Tier und ein Leutnant schwammen einander entgegen, ganz nahe von uns, so daß mir deutlich der Ausdruck in beider Augen auffiel: der Leutnant in einer fast tierischen Gier etwas zu packen, was ihn über Wasser hielte, der Hund mit einer herzergreifenden, flehenden Hilflosigkeit. Welche Szenen! Da ruderte der Lotse, der dicke, dreiste Kannebier. Plötzlich hob er die Arme, schrie mit durchdringender Stimme: »Jesus Maria, meine arme Frau!« und sackte ab.
Für das alles hatte ich Augen, ich, der ich fror, schrecklich fror, mit den Zähnen klapperte und nicht wußte, wo wir hinsteuerten, – für mich nur den instinktiven Vorsatz: Halte fest und rühre dich nicht! –
Der Läufer drehte mir den Rücken zu. Noch immer hatten wir kein Wort gesprochen. Es grauste mir vor dem Manne, der den Arm durchschlagen hatte. Er schwang noch die blanke Waffe in der Rechten. ›Laß uns laut schreien‹, rief ich ihn endlich an. Er wandte sich um.
Schauerlich! Offenbar hatte ihn der Wahnsinn befallen. Seine Augen waren herausgequollen, das Gesicht grünlich, und aus seinen Mundwinkeln floß dicker, ekelhafter Schaum.
Er entgegnete, nicht laut, aber in einem unerhört grauenhaften Tone: »Wenn du schreist, stech ich dir das Hirn aus, Brüderchen.« –
Ich war bereits gelähmt von der eisigen Kälte. Ich wollte einen Plan bauen für den Fall, daß mich der Wahnsinnige angriffe, aber meine eigenen Gedanken brachen auseinander.
»Dann oder viel später kam für kurze Frist ein Toter in unseren Sichtbann, ein alter, weißhaariger Heizer, der mit angezogenen Armen und Beinen, mit offenen, glasigen Augen erstarrt auf dem Rücken dahintrieb. Sein Trauring glänzte. – Vielleicht habe ich später zeitweilig das Bewußtsein verloren; ich erzählte euch bereits, daß ich viele Stunden auf dem Floß zugebracht haben muß. Jedenfalls erwachte nach einem apathischen Zustande mein Erkennungsvermögen plötzlich, da ich mich bei klarem Wetter auf weiter, von einer kräftigen Brise gewellten See befand und nicht ohne Genugtuung den Läufer vermißte. Das Floß, dessen Metallstange ich noch immer krampfhaft umklammert hielt, schaukelte lebhaft im Seegang, und in seinem Kielwasser gewahrte ich etwas Neues, etwas Gräßliches; einen toten Matrosen – Lesken. Ohne Zweifel war es Leske. Er hatte einen anderen Mann umschlungen, und in dem erkannte ich jenen weißhaarigen Alten wieder. Er lag über diesem Leichnam und unter ihm, sie drehten sich beide Brust an Brust in der wogenden Strömung umeinander. Auch Leske tot und steif, aber mit geschlossenen Lidern und die Arme wie im Tanze um den anderen Ertrunkenen verschränkt. Sie drehten sich – sie tanzten. Tanzten immerzu. Ich wendete mich ab, sah ein Boot und fiel wohl dann in Ohnmacht ...«
Der Sprecher pausierte und ließ wieder seinen festen, ruhevollen Blick kreisen. Einige der Zuhörer ertrugen diesen, andere senkten den Kopf. »Mir hat«, fuhr Grössel fort, »kürzlich ein Straßenmädel die Karte gelegt, eine fremde, aufgelesene Dirne, die nichts über meine Verhältnisse wissen konnte, ich trage auch keinen Ring; die prophezeite mir unter anderem, ich würde meine Frau nicht wiedersehen. – Nun ...«
Grössel sprach nicht weiter. Die Gesellschaft schwieg ernst, und weil sich eine gewisse Verlegenheit anmeldete, stand der Torpedermaat auf, zog das Grammophon hervor und stellte es an.
Heinz Lebrun sang mit weicher, reiner Stimme:
... Wenn dir ein Mädchen recht gefällt,
Und sie hat einen andern,
Dann ist's am besten,
Aus der Welt zu wandern. –
Bis das Lied ausklang, und darüber hinaus, bewahrten die lauschenden Seeleute eine aufrichtige, andächtige Stille – – dort unten, in dem Boote, dreißig Meter unter dem Meeresspiegel.
Auf der Schaukel des Krieges
»Der Kommandant läßt Ihnen sagen, daß – bitte, zeigen Sie einmal. – Gut, gut! Der Puls ist zahmer geworden – daß er Sie nicht weiter mit maritimen Fragen belästigen würde. Er ehrt Ihre Verschwiegenheit, aber bittet Sie herzlich, ihm, wenn Sie sich wohler fühlen, ein Stündchen Gesellschaft zu leisten und Ihren Mund wenigstens eben so viel zu öffnen, wie notwendig ist, um einen ausgesuchten, neutralen Spaniolenwein durchzulassen.«
»Danke verbindlichst, aber ich bin abstinent.«
»Oh, Mr. Heinemann«, fuhr der englische Arzt fort, »warum so niedergeschlagen? Sie haben nicht kapituliert, Ihr Schiff bis zuletzt nicht verlassen. Es hat Sie verlassen, ist mit der Kriegsflagge an der Gaffel unter Ihren Füßen weggesackt. Wir zogen Sie als ohnmächtigen Schiffbrüchigen an Bord. Wir wollen Ihnen wohl. Es ist unser aufrichtiges Bestreben, Ihre Lage so angenehm als möglich zu gestalten. Sie haben in diesem Kriege als – verzeihen Sie – zweifellos sehr junger Offizier Hervorragendes geleistet und bleiben Ihrem Vaterlande auf ehrenvollste Weise für spätere Dienste erhalten. Freuen Sie sich also, daß Sie gerettet, und vergessen Sie, daß Sie gefangen sind. Ich ersuche Sie höflich, hinsichtlich Ihrer Bequemlichkeit wie auf Ihrem eigenen Schiffe zu befehlen.«
Der zwanzigjährige Führer und einzige Überlebende des torpedierten deutschen Vorpostenbootes erwies sich, obwohl erkenntlich, doch reichlich ungeschickt in der Konversation. Blasierten, fast kindisch ansprechenden Tones erkundigte er sich, ob seine Uniform schon trocken wäre, und äußerte im übrigen nur den einen Wunsch, sich an Deck aufhalten zu dürfen. Der Arzt wandte ein: das Fieber sei noch nicht völlig behoben, der Leutnant bedürfe vorläufig noch der Bettwärme, es wehe ein kalter Nordwest. Später, auf wiederholtes Bitten und nach reiflichem Bedenken, erlaubte man dem Gefangenen, für eine Stunde lang, in warme Decken eingehüllt, an Deck zu sitzen. Dazu wurde für ihn auf das Achterdeck ein weicher Klubsessel getragen, hinter welchem sich in geringer Entfernung ein Matrose aufpflanzte; zur Verfügung des Herrn Leutnants. Außerdem wurde ein zweiter Stuhl und ein weißgedeckter Tisch herbeigeschafft. Bald fand sich der Kommandant des Zerstörers ein. Liebenswürdig unterdrückte er die militärische Ehrenbezeigung des deutschen Offiziers und begann, diesem die Hand schüttelnd, sofort ein Gespräch über Schwimmwesten aus Guttapercha. Leutnant Heinemann beteiligte sich vorwiegend passiv daran. Meist pflichtete er nur den Ansichten des Engländers wortkarg bei und gab sein Lächeln hinzu, wenn dieser, ein imposant hoher und dicker Herr mit Glatze und rasiertem Kugelgesicht, einen Witz einflechtend, erschütternd lachte. Wenn er selbst redete, geschah es mit selbstbewußter Stimme und häufig wie geistesabwesend, konfus. Er schaute dabei auch unausgesetzt mit seinen hellen Augen in der Richtung der Fahrt über das Meer, das grün-grau sich kräuselte unter einem Regen versprechenden Himmel.
Der Kommandant des Zerstörers vermochte nicht ein spöttisches Lächeln zu unterdrücken, als der Deutsche anfangs einmal seine spähenden Blicke rückwärts wendete. »Wir sind schon weit davon weg«, bemerkte er. »Übrigens: es blieb nichts übrig; nicht einmal Kleinholz. Leider! Wir hätten gern etwas Näheres erfahren.«
Nun lächelte der Leutnant über die offenherzige Bemerkung, die wohl ungewollt entschlüpft war.
»Nehmen Sie es nicht übel, Herr Leutnant, aber es war doch eine kuriose Torheit, mit einem Fischdampfer drei Torpedobooten und einem Zerstörer gegenüber Widerstand zu leisten.«
»Solche Torheiten haben Englands Flotte schon empfindlich dezimiert«, näselte der Leutnant. Sein ungeprägtes, einfarbiges Gesicht leuchtete einen Moment auf, aber dann nahm es rasch einen Ausdruck von bekümmerter Unruhe an. »Warum halten Sie immer noch nördlich? Warum bringen Sie mich nicht nach Westen ein?«
Der Engländer blinzelte schlau. »Sie wollen ja mir auch nicht sagen, was Sie veranlaßte, sich so weit ab von Ihrer Flotte