Название | Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band) |
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Автор произведения | Joachim Ringelnatz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027203710 |
Trotzdem hätte Daja beinahe den braunberockten Parkwächter umgelaufen, der in den Buchengängen, auf den taxusgesäumten Kieswegen und geschorenen Rasenflächen wie ein Maikäfer herumtorkelte, um nach Unbefugten auszuspähen. Dieser Schafskopf, der noch gefürchteter als Bäckertrude war, schimpfte schauderhaft, wollte der davonrennenden flatterblonden Sünderin nachsetzen, erinnerte sich an sein Holzbein, blieb stehen, spuckte viermal und trank fünf Schlucke aus einer dunklen Flasche.
Nicht lange danach am Schloßteich überzeugte sich Daja schmerzlich, daß die Schwäne – es waren ihrer vier, nein fünf – vom Ufer nicht erreichbar auf der Wasserfläche ruhten und weder von lockenden Lauten noch von drohenden Steinwürfen sonderlich Notiz nahmen. Aber ein schmaler Bootssteg mochte Daja den Tieren näher bringen. Sie legte die Blumen beiseite, behielt nur den Buschen Mohn in Händen und kroch auf allen Vieren ängstlich aber mutig das Brett entlang.
Ja, sie rückte den schaurig schönen weißen Vögeln näher, immer näher – – – noch näher – – o weh! Nicht ganz – vielleicht – –
Die Schwäne, hundert Schwäne, entfalteten sich brausend, schlugen mit gewaltigen Fittichen nach dem Kinde, peitschten das Wasser zu haushohen Wogen, wollten Daja totbeißen, schrieen laut, entsetzlich, schrieen. Aber da kam gerade der Herzog des Wegs, im Frack, mit der Brille, und heute trug er auch die goldene Krone auf dem Haupte.
Er verjagte die Schwäne mit einem Schwerte, welches funkelte wie ein Sternenhimmel, weil es über und über mit Diamanten verziert war.
Nun fühlte sich Daja mit eins wieder so froh, so selig und so dankesvoll für ihren Retter, nur wußte sie nicht recht, wie sie es ausdrücken möchte. Nach langem Entschließen reichte sie endlich dem Herzog das Mohnbukett. Das nahm er, bedankte sich und verehrte ihr dafür seine Brille, und Stadtrats Tochter wiederum grub die Kirschen aus dem weißgesäumten Schacht, wischte sie mit dem Ärmel ab, weil etwas Gelbes von dem Fasanenei, auch etwas von Sand und Nachtigallfeder daran klebte, und gab sie dem Herzog. Darüber war dieser dermaßen entzückt, daß er bat, sie möchte zum Lohn sich etwas wünschen.
Sie wünschte, wünschte, wünschte, wünschte: Herr Herzog möge sie heiraten. Aber es müßten Blumen gestreut werden und – –
„Und,“ fiel der Herzog ein, „nun tue auch einen Wunsch für deine Eltern.“
„Vati und Mutti,“ entschied Daja rasch, „mußt du hunderttausend Taler schenken.“
„Gut! Und Onkel Fußball?“
„Auch hunderttausend Taler.“
„Und Murmel?“
„Hundertmal hunderttausend Taler!“ jubelte Daja und hob sich auf die Zehenspitzen, während ihr Körperchen in Begeisterung bebte.
„Und Mademoiselle?“
Die Kleine stockte. „Mademoiselle nur einen Taler,“ bestimmte sie und zog ein bitterstrenges Mademoisellegesicht.
Unzählige Diener und Dienerinnen in blausilbernen Uniformen schwärmten herbei und streuten Rosen aus; und Daja als Herzogin wandelte Arm in Arm mit dem Herzog durch den Park an dem braunen Parkwächter vorbei, welcher sich demütig verneigte und um Verzeihung bat; und in der Ferne leuchtete
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Über kaltes Rindfleisch und trockenen Kartoffelsalat schoß unwirsch, verärgert und herrisch der Befehl: „Murmel soll nach dem Park laufen und das Balg herbeischleppen!“
Uber Kartoffelsalat und Rindfleisch sandte die Stadträtin unwirsch, verärgert aber streitbeharrlich die Auskunft zurück: „Murmel ist schon lange dieserhalb unterwegs.“
Gabeln, Messer, Teller und Tassen tönten in Bewegung. Alle Speisenden lauschten diesem Geräusch.
„Unerhörte Ferkelei,“ fuhr Herr Scholz jäh von neuem auf, indem er seine Tasse klirrend niedersetzte, „da schwimmen Fliegen und ekelhaftes Wurmzeug im Tee.“
Der Diener überstürzte sich, erklärte aber dann zu Onkel Fußballs Freude völlig ruhig: „Das ist kein Wurmzeug, gnädiger Herr; das sind Teeblätter.“
Vielleicht ohne Absicht zerbrach der gnädige Herr die besprochene Tasse. „Das ist mir gleich, ob Wurmblätter oder Teezeug. Jedenfalls will –“
Vergeblich versuchte seine Frau noch einmal zu besänftigen: „Rege dich doch nicht so auf wegen des Kindes.“
„Ich mich nicht aufregen wegen diesem Galgending, diesem Sargnagel, diesem faulsten, dümmsten und unverschämtesten von meinen Kindern? Nicht aufregen? Ha, ha, nicht aufregen! Das ist genau so, als wenn das Bett unter mir in Flammen aufloderte und du würdest zu mir sagen: Laß dich nicht stören.“
„Nun ist’s genug!“ brauste Frau Scholz, und sie wuchs gleichsam dabei. „Daja ist heimlich zum Fenster hinausgeklettert, gut –“
„Nicht gut!“ überschrie Herr Scholz.
„Also nicht gut,“ überbot Frau Scholz. „Daja hat gefehlt, und ich werde sie nach Gebühr bestrafen, aber wir anderen wünschen ihr Vergehen nicht zu entgelten.“
Mademoiselle rückte mit dem Stuhl und flötete: „Ich möchte mik doch lieber nach der Kind umsehen; wer weiß, wo sie sik hertreibt.“
„Bleiben Sie nur, liebste Ma’selle, Murmel wird sie schon finden.“
„O der süße leichtsinnige Kind! Sie konnte sik totschlagen. Und sie muß über das Teerdach von der Remise gegleitet sein, wie wird das rote Röckchen aussehen! oh, oh!“
Onkel Fußball hatte tüchtig und wohl gespeist und mischte sich nun behaglich in das Gespräch: „Die Remise ist mit Ruberoid gedeckt; das enthält keinen Teer,“ berichtigte er provozierend. Da fand endlich auch Herr Rommel, der neue Hauslehrer, Gelegenheit, etwas in die Konversation einzuschieben, nachdem er bisher schweigsam eine Maschine aus Messerbänkchen, Serviettenring und Löffel konstruiert und eingehend beobachtet hatte. „Verzeihung,“ knietschte er, „die Remise trägt doch Dachpappe.“
Chile und Peter verhielten sich angestrengt manierlich und warteten halb furchtsam, halb schadenfroh auf ihrer Schwester Erscheinen.
„Zu unartig, ihre armen Eltern so zu kränken,“ barmte Mademoiselle und schüttelte erstaunlich viel rotblonde Locken, auch ein vorwitziges graues Löckchen.
„Vati,“ hub Peter an, ungewiß in bezug auf die Wirkung, „Daja hat auch die Glasscheibe vom Spielkasten zerschlagen.“
„Wetten wir, daß ihr Kleid keinen einzigen Teerfleck aufweist?“ proponierte Onkel Fußball dem Hauslehrer. „Es gilt eine Schachtel Apis.“
„Verklagt euch nicht immer gegenseitig,“ schalt Frau Scholz ihrem Sohne zu.
„Ja, nimm du sie nur noch in Schutz,“ zischte der Stadtrat, „aber ich werde sie zum Krüppel zermalmen, mit dem Rohrstock hauen, bis –“
„Und ich verlange Ruhe in meinem Hause.“
Onkel Fußball wieherte amüsiert. „Unterlaß diesen Hohn, bitte,“ bellte ihn der Stadtrat an.
„Na, du wirst wohl erlauben, daß ich –“
Die Tür öffnete sich aufschreckend, und die alte, in der Haltung fast rechtwinklige Murmel mit ihrem farbenschwachen Haar, farbenschwachen Gesicht und farbenschwachen Kleide präsentierte sich. Sie schluckte ein paarmal – „Luftgurken,“ wie Onkel Fußball es bezeichnete – und preßte dabei die gefalteten Hände auf den Magen, wie sie immer tat, wenn sie etwas von Wichtigkeit vorzubringen hatte. Die am Tische kicherten. Nur der Stadtrat rief zornschäumend vom Stuhl aufspringend der Kinderfrau entgegen: „Vor allen Dingen bring mir den Rohrstock herein, den Rohrstock!“
„Den braucht’s nicht, Herr Stadtrat,“ sagte Murmel schwer und bitter mit einer Stimme, die alle lähmte, „unser Herrgott hats Dajerle fortgeführt. Daja“ – auf einmal schluchzte die Alte gräßlich auf – „Da-da-aja ist ertrunken.“