Название | Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher |
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Автор произведения | Стендаль |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026824862 |
Die Gräfin dachte häufig an den Schreiber so vieler liebenswürdiger Briefe. Die Tage, an denen sie solche empfing, waren Feste. Sie stieg in ihre Barke und las sie an den schönsten Stellen des Sees, an der Pliniana, in Bellano, im Hain der Sfrondata. Diese Briefe trösteten sie ein wenig über Fabrizzios Fernsein. Zum mindesten war sie nicht imstande, über die tolle Verliebtheit des Grafen unwillig zu sein. Keine vier Wochen waren verflossen, als sie seiner bereits in zärtlicher Freundschaft gedachte.
Graf Mosca seinerseits meinte es fast ernst, als er ihr anbot, er wolle seinen Abschied einreichen, seinen Ministerposten verlassen und mit ihr in Mailand oder sonstwo leben. ›Ich besitze vierhunderttausend Franken,‹ schrieb er ihr unter anderem, ›also fünfzehntausend Lire Rente.‹ ›Wieder eine Loge, Pferde und so weiter!‹ sagte sich die Gräfin. Das waren holde Träume. Von neuem entzückte sie die erhabene Schönheit des Comer Sees. An seinen Gestaden träumte sie von der Rückkehr in jenes glänzende, wunderbare Leben, das sich ihr gegen alle Wahrscheinlichkeit wieder auftat. Sie sah sich auf dem Mailänder Korso, glücklich und heiter wie einst zur Zeit des Vizekönigs. ›Die Jugend oder wenigstens wirkliches Leben wird für mich wiederkehren!‹
Die Glut ihrer Einbildungen setzte sich bisweilen über die Dinge hinweg, aber niemals verlor sie sich in jenen bewußten Täuschungen, in denen sich die Feigheit wiegt. Sie war vor allem eine gegen sich selbst aufrichtige Frau. ›Da ich ein wenig zu alt bin, um Torheiten zu begehen,‹ sagte sie sich, ›so kann der Neid, der sich ebenso wie die Liebe Vorspiegelungen macht, mir den Aufenthalt in Mailand vergiften. Nach dem Tode meines Mannes erregte meine stolze Armut und die zweimalige Abweisung eines großen Vermögens Aufsehen. Mein armer lieber Mosca besitzt nicht den zwanzigsten Teil von dem Überfluß, den jene beiden Tröpfe, der Limercati und der Nani, mir zu Füßen gelegt haben. Die mit Mühe und Not erlangte kärgliche Witwenpension, die aufsehenerregende Entlassung meiner Dienerschaft, das kleine Stübchen im vierten Stock und täglich zwanzig Wagen vor dem Hause, alles das waren einst seltsame Erlebnisse. Aber so gut ich mich auch darein schickte, ich würde doch unangenehme Augenblicke haben, wenn ich wieder in Mailand leben wollte, in gut bürgerlichen Verhältnissen, wie sie uns meine Witwenpension und die fünfzehntausend Lire Rente gestatteten, die Mosca nach seinem Abgang verblieben. Überdies ist der Graf verheiratet, wenn er auch von seiner Frau seit langem getrennt lebt; diese Trennung ist in Parma stadtbekannt, aber nicht in Mailand, und man würde in mir den Grund suchen. Der Neid würde das als schreckliche Waffe gegen mich benützen. So leb denn wohl, meine schöne Scala, mein göttlicher Comer See, leb wohl!‹
Trotz allen diesen Bedenken wäre die Gräfin auf das Anerbieten Moscas, seine Entlassung einzureichen, eingegangen, wenn sie selbst nur ein wenig Vermögen besessen hätte. Sie hielt sich für alt, und das Leben am Hofe schreckte sie ab. Nördlich der Alpen wird man es für höchst unwahrscheinlich halten, daß der Graf seinen Abschied mit Freuden genommen hätte. Zum mindesten brachte er es fertig, seine Freundin davon zu überzeugen. In allen seine Briefen bat er sie inständig und mit täglich wachsender Narrheit um ein zweites Wiedersehen in Mailand. Sie willfahrte ihm.
»Wenn ich Ihnen schwören sollte, daß ich für Sie eine wahnsinnige Leidenschaft hegte,« sagte die Gräfin eines Tages zu ihm, »so wäre das eine Lüge. Ich wäre selber überglücklich, wenn ich heute mit meinen dreißig Jahren lieben könnte wie einst mit zweiundzwanzig. Aber ich habe so vieles in Trümmer zusammensinken sehen, was ich für ewig gehalten hatte! Ich empfinde für Sie die zärtlichste Freundschaft, ich hege zu Ihnen ein Vertrauen ohne Grenzen, und von allen Männern sind Sie mir der liebste.«
Die Gräfin hielt sich für durchaus aufrichtig, und doch enthielten die letzten Worte eine kleine Lüge. Wenn Fabrizzio gewollt hatte, wäre er vielleicht der Eroberer ihres ganzen Herzens geworden. In den Augen des Grafen Mosca freilich war Fabrizzio nur ein Kind. Drei Tage nach dessen Flucht nach Novara war Mosca in Mailand und verwandte sich sofort beim Baron Binder für den Verbannten. Der Graf war danach der Meinung, die Sache sei aussichtslos.
Mosca war nicht allein nach Mailand gekommen. Er hatte in seinem Wagen den Duca di Sanseverina-Taxis mitgebracht, einen netten alten Herrn von achtundsechzig Jahren, leicht ergraut, mit besten Umgangsformen, sehr geschmackvoll und unermeßlich reich. Sein Adel war allerdings nicht weit her. Sein Großvater hatte als Generalpächter der gesamten Staatseinnahmen von Parma Millionen auf Millionen gehäuft. Sein Vater war Gesandter des vormaligen Fürsten von Parma am Hofe zu … geworden, und zwar dank folgender Erörterung:
›Serenissimus zahlen dem Gesandten am Hofe zu … ein Gehalt von dreißigtausend Franken, womit dieser dort eine ziemlich mäßige Rolle spielt. Wenn Eure Hoheit geruhen wollten, mir diesen Posten zu übertragen, nähme ich ihn mit sechstausend Franken Gehalt. Mein Auftreten am Hofe zu … sollte mir nicht unter hunderttausend Franken im Jahre zu stehen kommen. Mein Vermögensverwalter würde überdies der Kasse der auswärtigen Angelegenheiten in Parma jährlich zwanzigtausend Franken überweisen. Mit dieser Summe könnte man mir einen Legationssekretär beigeben, und ich wäre keineswegs auf diplomatische Geheimnisse eifersüchtig, wenn es solche gäbe. Mein Ziel ist, meinem noch jungen Hause Ansehen zu verschaffen und es durch eine hohe Staatsstellung auszuzeichnen.‹
Der jetzige Duca, der Sohn jenes Gesandten, hatte den Fehler begangen, sich einen halb liberalen Anstrich zu geben, und lebte seit zwei Jahren in tiefer Verzweiflung. Zu Zeiten Napoleons hatte er durch sein hartnäckiges Verbleiben im Ausland zwei oder drei Millionen eingebüßt, und nach der Wiederherstellung der Ordnung in Europa war es ihm trotz alledem nicht gelungen, ein gewisses Ordensband zu erringen, das das Bildnis seines Vaters schmückte. Das Ausbleiben des Großkreuzes hatte ihn gänzlich gebrochen.
Die Vertraulichkeit, die in Italien mit der Liebe verknüpft ist, hebt zwischen zwei Liebenden alle Eitelkeitsrücksichten auf. Also sagte Mosca mit der größten Natürlichkeit zu seiner Angebeteten: »Ich habe Ihnen zwei oder drei gründlich durchdachte Pläne vorzulegen. Seit drei Monaten träume ich von nichts anderem.
Erstens: Ich reiche meine Entlassung ein, und wir leben gut bürgerlich in Mailand, Florenz oder Neapel, wo Sie wünschen. Wir haben jährlich fünfzehntausend Lire zu verzehren und sind unabhängig von der mehr oder minder unbeständigen Fürstengunst.
Zweitens: Sie geruhen in das Land zu kommen, wo ich etwas bedeute. Sie kaufen sich ein Gut, Sacca zum Beispiel, ein allerliebster Wohnsitz mitten im Wald, mit Aussicht auf den Po. Der Kaufvertrag könnte binnen acht Tagen unterschrieben sein. Sie werden am Hofe des Fürsten verkehren. Aber die Sache hat einen gewaltigen Haken. Man wird Sie bei Hofe gut aufnehmen; es fällt niemandem ein, mir Hindernisse in den Weg zu legen. Überdies hält sich die Fürstin für unglücklich, und ich habe ihr kürzlich im Hinblick auf Sie einen Dienst erwiesen. Aber, wie gesagt, die Sache stößt auf ein beträchtliches Hindernis: Serenissimus ist höchst bigott, und wie Sie wissen, will es das Verhängnis, daß ich verheiratet bin. Daraus entspringen tausend kleine Unannehmlichkeiten. Sie sind Witwe, an und für sich ein hübscher Titel, den Sie gegen einen anderen eintauschen müßten. Und darin gipfelt mein dritter Vorschlag.
Ein neuer Gatte, ein nicht im mindesten unbequemer, wäre schon zu finden; er müßte nur recht alt sein. Warum sollten Sie mir nicht die Hoffnung lassen, eines Tages an seine Stelle zu treten? Nun hören Sie! Ich habe diesen merkwürdigen Fall mit dem Duca di Sanseverina-Taxis besprochen, selbstverständlich ohne ihm den Namen der künftigen Duchezza zu verraten. Er weiß nur, daß er durch Sie Gesandter und Großkomtur desselben Ordens werden wird, den sein Vater getragen hat und dessen Ausbleiben ihn zum Unglücklichsten aller Sterblichen macht. Abgesehen von dieser Schrulle ist der Herzog durchaus kein übler Mann. Er