Название | Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher |
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Автор произведения | Стендаль |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026824862 |
Als Fabrizzio eine Viertelstunde geritten war, wandte er sich um. Kein Mensch war ihm gefolgt. Der Gasthof stand in Flammen. In der Ferne sah Fabrizzio die Brücke. Er begann seine Wunde zu fühlen. Der Verband drückte, und der Arm war ganz heiß. ›Was mag aus dem alten Oberst geworden sein?‹ dachte er. ›Er hat sein Hemd hergegeben, damit mein Arm verbunden würde.‹
Unser Held war an diesem Morgen wundervoll kaltblütig. Der starke Blutverlust hatte ihm die ganze Romantik seines Wesens genommen.
›Nach rechts,‹ sagte er sich, ›und weg von hier!‹ Gemächlich begann er den Fluß entlang zu reiten, der unterhalb der Brücke nach rechts von der Straße fortfloß. Die Ratschläge der guten Marketenderin fielen ihm wieder ein. ›Das war Freundschaft!‹ sagte er sich. ›Was für ein ehrlicher Charakter!‹
Nach einer Stunde Wegs fühlte er sich sehr matt. ›Ach, ob ich ohnmächtig werde?‹ sagte er sich. ›Wenn ich ohnmächtig werde, wird man mir mein Pferd rauben und vielleicht meine Kleider und damit mein Hab und Gut.‹ Er hatte nicht mehr die Kraft, die Zügel zu halten, und saß nur noch mühsam aufrecht. Da kam ein Bauer, der auf einem Felde dicht an der Straße gearbeitet und seine Blässe bemerkt hatte, und bot ihm ein Glas Bier und ein Stück Brot an.
»Als ich Sie so bleich sah, habe ich mir gleich gedacht, daß Sie einer der Verwundeten aus der großen Schlacht sind«, sagte der Landmann zu ihm. Nie kam Hilfe gelegener. Im Augenblick, da Fabrizzio in das Stück Schwarzbrot biß, begann es ihm vor den Augen zu flimmern.
Als er sich ein wenig erholt hatte, bedankte er sich.
»Und wo bin ich?« fragte er.
Der Bauer sagte ihm, daß er noch drei Viertelstunden vom Marktflecken Zoonders entfernt sei, wo er gute Pflege finden werde.
Fabrizzio erreichte den Ort, ohne zu wissen, wie; bei jedem Schritt fürchtete er, vom Pferde zu fallen. Er erblickte ein weites, offenes Tor und ritt hinein. Es war der ›Gasthof zur Prelle‹. Alsbald kam die gutmütige Wirtin, ein Riesenweib, herbei. Voller Mitleid rief sie nach ihren Leuten. Zwei junge Mädchen halfen Fabrizzio aus dem Sattel. Kaum war er vom Pferd herunter, als er die Besinnung gänzlich verlor. Ein Arzt wurde gerufen; man ließ ihn zur Ader. Diesen und die folgenden Tage wußte Fabrizzio nicht, was ihm geschah; er schlief fast ununterbrochen.
Die Stichwunde im Schenkel drohte bedenklich zu eitern. Als er wieder bei Besinnung war, legte er den Leuten die Pflege seines Pferdes ans Herz und wiederholte öfters, daß er gut zahlen werde. Das kränkte die gute Wirtin und ihre Töchter.
Vierzehn Tage lang wurde er bewundernswürdig gepflegt. Er begann wieder klarere Gedanken zu haben. Da bemerkte er eines Abends, daß seine Wirtsleute sehr verstört aussahen. Bald darauf trat ein deutscher Offizier in die Stube. Um ihm zu antworten, bediente man sich einer Sprache, die Fabrizzio nicht verstand, aber er merkte sehr wohl, daß die Rede von ihm war. Er tat, als ob er schliefe. Eine Weile darauf, als er dachte, der Offizier könne fort sein, rief er seine Wirtsleute.
»Hat mich der Offizier nicht eben in eine Liste eingetragen und mich für kriegsgefangen erklärt?«
Die Wirtin gab es mit Tränen in den Augen zu.
»Gut! In meiner Attila steckt Geld!« rief er und richtete sich in seinem Bett auf. »Kaufen Sie mir Zivilkleider! Ich will heute nacht auf meinem Pferde davonreiten. Sie haben mir bereits einmal das Leben gerettet, als Sie mich in einem Augenblick aufnahmen, da ich nahe daran war, auf der Straße umzufallen. Retten Sie es mir ein zweites Mal, indem Sie mir behilflich sind, zu meiner Mutter zurückzukehren.«
Da wollten die Töchter der Wirtin in Tränen zerfließen; sie zitterten für Fabrizzio, und da sie einige Brocken Französisch konnten, setzten sie sich an sein Bett und richteten allerlei Fragen an ihn. Mit ihrer Mutter besprachen sie sich auf flämisch, wobei sie sich fortwährend mit zärtlichen Blicken nach unserem Helden umwandten. Er glaubte zu verstehen, daß ihnen seine Flucht große Unannehmlichkeiten bereiten könne, sie es jedoch gern darauf ankommen lassen wollten. Er dankte ihnen in überschwenglichen Worten und faltete dabei die Hände. Ein Jude im Ort besorgte einen vollständigen Anzug. Aber als er ihn gegen zehn Uhr abends brachte und die jungen Mädchen den Zivilrock mit seiner Uniform verglichen, stellte es sich heraus, daß er viel zu weit war. Sogleich gingen sie an die Arbeit des Engernähens. Es gab keine Zeit zu verlieren. Fabrizzio bezeichnete die Stellen seiner Attila, wo Napoleons verborgen staken, und bat seine Wirtsleute, sie in die neuen Kleidungsstücke einzunähen. Zugleich mit dem Anzug war ein schönes Paar neuer Stiefel gebracht worden. Fabrizzio trug kein Bedenken, die Mädchen zu bitten, die Schäfte der Husarenstiefel an der Stelle aufzuschneiden, die er ihnen angab, und seine kleinen Brillanten im Futter der neuen Stiefel zu verbergen.
Durch eine seltsame Wirkung des Blutverlustes und des daraus folgenden Schwächezustandes hatte Fabrizzio sein ganzes Französisch vergessen. Er redete mit seinen Wirtsleuten italienisch, und diese antworteten in ihrer flämischen Mundart. So vermochten sie sich fast nur durch Zeichen zu verständigen. Als die jungen Mädchen, die übrigens nicht im geringsten an Eigennutz dachten, die Edelsteine erblickten, kannte ihre Schwärmerei für Fabrizzio keine Grenzen mehr. Sie hielten ihn für einen verkappten Prinzen. Ännchen, die Jüngere, umarmte ihn schlankweg.
Fabrizzio seinerseits fand die Mädchen reizend, und um Mitternacht, als er nach der Vorschrift des Arztes einen Schluck Wein als Stärkung für die bevorstehende Reise nahm, hatte er geradezu Lust, nicht abzureisen. ›Wo wäre ich besser aufgehoben als hier?› fragte er sich. Gleichwohl kleidete er sich gegen zwei Uhr morgens an. Im Augenblick, da er aus seiner Stube trat, sagte ihm die Wirtin, daß sein Pferd von dem Offizier, der vor ein paar Stunden das Haus durchsucht hatte, mit weggeführt worden sei.
»O der Hundsfott!« fluchte Fabrizzio. »Einem Verwundeten sein Pferd zu stehlen!« Der junge Italiener war nicht Philosoph genug, daran zu denken, zu welchem Preis er selber dieses Pferd erstanden hatte.
Ännchen berichtete ihm weinend, man habe ihm ein anderes Pferd gemietet. Am liebsten hätte sie es gehabt, daß er dabliebe. Der Abschied war zärtlich. Zwei kräftige Burschen, Verwandte der guten Wirtin, halfen Fabrizzio in den Sattel. Unterwegs stützten sie ihn auf seinem Pferd, während ein dritter der kleinen Karawane einige hundert Schritt vorausritt und ausspähte, ob sich keine verdächtige Streife nahe.
Nach einem zweistündigen Ritt machte man bei einer Base der Wirtin ›zur Prelle‹ Halt. Was auch Fabrizzio einwenden mochte, die jungen Männer, die ihn begleiteten, wollten ihn um keinen Preis verlassen; sie behaupteten, kein Mensch kenne die Waldwege so gut wie sie.
»Aber wenn man in der Frühe meine Flucht entdeckt und euch vermißt, so wird euch euere Abwesenheit Ungelegenheiten bereiten«, meinte Fabrizzio.
Man setzte den Marsch fort. Zum Glück war die Ebene, als der Tag graute, mit dichtem Nebel bedeckt. Gegen acht Uhr morgens erreichte man eine kleine Stadt. Einer der jungen Männer ritt voraus, um zu erkunden, ob die Postpferde geraubt seien. Der Posthalter hatte Zeit gehabt, sie verschwinden zu lassen und elende Schinder aufzutreiben, die nun seine Ställe zierten. Man holte zwei Pferde zurück aus dem Sumpf, wo sie versteckt waren, und drei Stunden später stieg Fabrizzio in einen zwar morschen, aber mit zwei guten Postpferden bespannten leichten Wagen. Er fühlte sich wieder bei Kräften. Die Trennung von den beiden jungen Männern war ungemein rührend. Welchen liebenswürdigen Vorwand Fabrizzio auch ersinnen mochte, um keinen Preis nahmen sie Geld an.
»In Ihrer Lage, mein Herr, haben Sie es nötiger als wir«, erwiderten die biederen jungen Leute immer wieder. Schließlich schieden sie von Fabrizzio. Er gab ihnen Briefe mit, in denen er, durch