Название | G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr |
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Автор произведения | Гилберт Кит Честертон |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027207428 |
Syme litt an Krämpfen des einfachen gesunden Menschenverstandes. Das war nun mal so. Es waren (wie er sich anläßlich seines Impulses in jener Brillenszene ausdrückte) poetische Intuitionen, die sich oftmals zu exaltierten Prophetien auswuchsen.
Und so hatte er auch diesmal die Politik seines Gegners sehr richtig kalkuliert … Als der Marquis durch seine Sekundanten erfuhr, Syme würde erst am nächsten Morgen fechten, da sah er absolut ein, daß sich ein jähes Hindernis aufgetan hätte zwischen ihm und seinem Bombengeschäft in der Hauptstadt. Indem er aber von solcher Angelegenheit seinen Freunden natürlich nichts verraten konnte, so wählte er den Ausweg, den Syme prophezeit hatte. Er überredete seine Sekundanten, als Kampfplatz eine kleine Wiese nah der Eisenbahn zu bestimmen – und verließ sich im übrigen ganz auf den ersten Waffengang.
Wie er, kühl bis ans Herz hinan, das Feld der Ehre betrat, hätte keiner vermutet, daß er etwa voll von Reisefieber wäre. Hände in den Taschen, Strohhut im Nacken, das feine Gesicht bronzen in der Sonne. Aber dieses wäre dem fremdesten Fremden höchlichst aufgefallen, daß ihm nicht nur seine Sekundanten mit dem Waffenzeug folgten, sondern auch zwei seiner Diener mit einem Handkoffer und einem Eßkorb.
So früh es am Tage war, durchheizte die Sonne doch schon jedes Ding. Und Syme war etwas betroffen, so viele Sommerblumen in brennenden Gold-und Silberfarben waren rings im hohen Gras, darin die ganze Gesellschaft schier knietief watete und stand.
Ausgenommen der Marquis, waren alle Herren in dunklen, feierlichen Gesellschaftsanzügen und schwarzen Angströhren. Der kleine Doktor insonders sah, mit seinen schwarzen Brillen obendrein, wie ein Leichenbestatter in einem Schwank aus. Syme konnte sich nicht helfen, es war ein zu komischer Kontrast: diese Leichenbegängnismonturen einerseits – und andererseits die üppige glitzernde Wiese mit den wildblühenden Blumen allenthalben. Aber dieser komische Kontrast zwischen dem gelben Blust und den schwarzen Hüten war eben ein Symbol für den tragischen Kontrast zwischen dem gelben Blust und dem schwarzen Handwerk … Zu seiner Rechten, da war ein kleiner Wald. Weit links hinüber aber bog sich die große Kurve der Eisenbahn, die er sozusagen gegen den Marquis zu verteidigen hatte, dessen Goal und Entkommen sie war. Voraus, über die schwarze Gruppe seiner Gegner hinaus, konnte er, wie eine abgetönte Wolke, einen kleinen blühenden Mandelbaumbusch sehen, der gegen die matten Farben eines Streifens von der See stand.
Das Mitglied von der Ehrenlegion, mit Namen Colonel Ducroix, wie es schien, trat auf den Professor und Dr. Bull zu und regte in verbindlichster Form an, daß die Angelegenheit mit der ersten nennenswerten Verwundung zu Ende sein solle.
Dr. Bull indes, dem Syme gerade diesen kitzligsten Punkt nach allen Regeln eingepaukt hatte, bestand mit großer Würde und in miserablem Französisch darauf, der Kampf müsse fortdauern, bis einer der Kombattanten vollständig kampfunfähig wäre. Syme war entschlossen, eine Kampfunfähigkeit des Marquis zu vermeiden und zu gleicher Zeit zu verhindern, daß ihn der Marquis wenigstens nicht vor zwanzig Minuten abführen würde. In zwanzig Minuten nämlich würde der Pariser Zug gut vorüber sein.
»Einem Mann von so weltbekannter Fertigkeit und Tapferkeit wie Monsieur de St. Eustache«, sprach der Professor feierlich, »muß es höchst gleichgültig sein, welche Methode Gültigkeit haben soll, und unser Duellant hat schwerwiegende Gründe, um die längere Gefechtsart zu bitten, .. Gründe übrigens, deren Delikatesse mir verbietet, sie hier Ihnen auseinanderzusetzen, aber deren wohlbegründete und durch und durch ehrenhafte Natur ich Ihnen – –«
»Peste!« fuhrs dem Marquis heraus, und sein Gesicht ward jäh um noch vieles dunkler, »hören wir lieber mit Reden auf und fangen mal an – –« und er köpfte eine hohe schlanke Blume mit seinem Stock.
Syme wußte gar wohl, woher solch rauhe Ungeduld käme. Und blickte widerwillens über die Schulter weg, um zu sehen, ob der Zug denn schon in Sicht käme. Aber nicht ein Wölkchen Rauches noch am Horizont …
Colonel Ducroix kniete nieder und schloß den Waffenkasten auf. Nahm ein Paar Zwillingsdegen heraus, – und die Sonne fiel gleich darüber her und verwandelte sie in zwei Streifen weißen Feuers –. Und bot den einen dem Marquis an, der ihn ohne weiteres und schnell ergriff, und den andern – Syme, der ihn nahm und ihn bog und dann wog, mit soviel Umständen und soviel Aufschiebens, als sich gerade noch mit aller sonstigen Würde vertrug. Dann nahm der Colonel noch ein anderes Degenpaar heraus, und während er einen für sich selber behielt und den andern an Dr. Bull gab, bestimmte er den Platz.
Beide Kombattanten hatten ihre Röcke und Westen abgelegt und standen, mit den Waffen in der Hand, da. Die Sekundanten standen jeder auf einer Seite der Gefechtslinie ebenfalls mit gezogenen Waffen, aber gleichwohl noch in ihren schwarzen Gehröcken und Zylindern. Die Duellanten salutierten. Der Colonel sprach ruhig sein »Los!« und die beiden Klingen sprangen aufeinander los und sangen.
Wie der Gesang des Eisens kribbelnd Symes Arm hinauflief, fielen alle phantastischen Aengste, die das Wesen dieser Geschichte ausmachten, von ihm ab wie Träume von einem Menschen, der in seinem Bett erwacht. Er konnte sich an alles ganz klar und ganz in der richtigen Reihenfolge erinnern, aber so, als obs bloßer Betrug der Nerven gewesen wäre: – die Angst vor dem Professor war die Angst vor den tyrannischen Willkürlichkeiten aller Nachtmahr gewesen und die Angst vor dem Doktor dagegen die Angst vor dem luftlosen Vakuum aller Wissenschaft. Die erste war die alte Angst, daß Zeichen und Wunder geschehen, die andere die viel hoffnungslosere moderne, daß es Zeichen und Wunder nicht gibt. Aber nun sah er, daß die beiden Aengste sehr törichte gewesen waren, denn nun befand er sich ja unmittelbar vor der ungeheuren Tatsache der Todesangst, dem grausamsten und unerbittlichsten aller Gefühle. Ihm war zumute wie einem, der all die Nacht durch träumte, lauter Abgründe hinabzustürzen – und der nun zu einem Morgen erwachte, an dem er gehängt werden sollte. Denn sobald er im glühenden Sonnenlicht den Speer seines Feindes erglühen sah und fühlte, wie die beiden stählernen Zungen einander leckten, kitzelten und küßten, wußte er, daß sein Gegner, ein gewaltiger Fechter war und sein letztes Stündlein nun wohl gekommen sei …
Seltsam lebhaft, wertvoll und wert wurde ihm in diesem Augenblick alle Erde ringsum; köstlich wurde ihm das Gras unter den Füßen. Er fühlte die Liebe zum Leben in allen lebendigen Dingen. Es war ihm gerade, als ob er das Gras wachsen hörte; es war ihm schier, als schössen gerad während er dastand, neue Blumen auf und brächen in Blust aus auf dieser Wiese – blutrote und gold-und blauglühende Blumen, und vollendeten so erst die ganze Pracht alles Blühns. Und so oft seine Augen für die Dauer eines Blitzes von den kalten, starrenden, hypnotischen Augen des Marquis fortsahen, ersah er den kleinen Busch des Mandelbaums gegen den Himmel und die See. Und er wußte es irgendwie bestimmt, daß – wenn er durch irgendein Wunder aus diesem Kampfe noch lebend hervorginge – würde er willens sein, für immer und immer vor jenem Mandelbaum zu sitzen, und sonst nichts und nichts und nichts mehr auf dieser Welt sich wünschen .. Aber während sich ihm Erde und Himmel und ein jedes Ding in jener Lebensschönheit präsentierten, wie sie nur ihm verlorene Dinge haben konnten, war die andere Hälfte seines Kopfes so klar wie Glas. Und er parierte alle Hiebe seines Gegners mit der Präzision eines Uhrwerks – mit einer Geschicklichkeit, die er sich selber nie zugetraut hätte. Einmal ritzte die feindliche Spitze sein Handgelenk, so daß ein schwacher Blutstreifen erschien; aber entweder wurde das gar nicht bemerkt oder stillschweigend übergangen.