Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel Proust

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Название Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen
Автор произведения Marcel Proust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027208821



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es mir selbst vorschlägt?« Doch gleich verfiel ich wieder in meine Traurigkeit. Ich fürchtete, Gilberte werde, wenn sie mich wiedersehe, denken, meine Gleichgültigkeit in der letzten Zeit sei nur geheuchelt gewesen, und so wollte ich die Trennung lieber verlängern. Während dieses Selbstgesprächs beklagte sich Frau Bontemps über die Langweile, mit der sie die Frauen der Politiker quälten; sie tat nämlich immer, als fände sie alle Welt unerträglich und lächerlich und sei untröstlich über die Stellung ihres Mannes. »Also Sie können so einfach fünfzig Arztfrauen hintereinander empfangen?« fragte sie Frau Cottard, die ihrerseits voll Wohlwollen gegen jedermann war und alle Verpflichtungen respektierte. »Ach, da sind Sie wirklich tugendhaft! Bei mir im Ministerium, nicht wahr, ist es natürlich Pflichtsache. Oh! Es geht über meine Kraft, wissen Sie, diese Beamtenfrauen, ich kann nicht anders, ich muß ihnen die Zunge herausstrecken. Und meine Nichte Albertine ist genau wie ich. Sie machen sich keinen Begriff, wie frech die Kleine ist. Letzte Woche war auf meinem Jour die Frau des Unterstaatssekretärs vom Finanzministerium, die sagte, von Küche verstehe sie nichts. ›Aber, gnädige Frau,‹ sagt meine Nichte mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln, »Sie müßten sich eigentlich darin auskennen; Ihr Herr Vater ist doch Küchenjunge gewesen.‹« »Oh! Die Geschichte gefällt mir, ich finde das köstlich«, sagte Frau Swann. »Aber wenigstens für die Tage, an denen der Doktor Sprechstunde hat, sollten Sie ein kleines home mit Ihren Büchern und den Dingen haben, die Sie lieben«, riet sie dann Frau Cottard.

      »So einfach, klatsch, mitten ins Gesicht, ohne Umstände. Und mir hatte sie vorher gar nichts gesagt, die kleine Hexe, die hat's hinter den Ohren. Sie können von Glück sagen, daß Sie sich zurückzuhalten verstehen; ich beneide die Leute, die ihre Gedanken zu verbergen wissen.« »Aber das brauche ich doch nicht, ich bin so einfach«, antwortete sanft Frau Cottard. »Erstens habe ich nicht dieselben Rechte wie Sie« – das sagte sie mit erhobener Stimme, die sie immer annahm, wenn sie eine ihrer vielbewunderten zarten Liebenswürdigkeiten und geschickten Schmeicheleien in die Unterhaltung einfließen ließ und unterstrich, die der Karriere ihres Mannes förderlich waren. »Und dann tu ich mit Vergnügen alles, was dem Professor nützlich sein kann.«

      »Aber liebe gnädige Frau, man muß können! Vermutlich sind Sie nicht nervös. Ich, wenn ich die Frau des Kriegsministers ihre Grimassen schneiden sehe, muß ich sie ihr sofort nachmachen. Es ist schrecklich, solch ein Temperament zu haben.«

      »Ach ja«, sagte Frau Cottard. »Ich habe davon gehört, sie soll einen Tick haben, mein Mann kennt jemanden sehr Hochgestellten, und wenn die Herren untereinander plaudern ...«

      »Ach wissen Sie, gnädige Frau, da ist dann noch der Repräsentationschef, der hat einen richtigen Buckel, kaum ist er fünf Minuten bei mir, so muß ich dran rühren. Mein Mann sagt, ich werde es noch dahin bringen, daß er abgesetzt wird. Ach was! Ich pfeif auf das Ministerium! Ja, das möchte ich als Devise auf mein Briefpapier setzen lassen: ich pfeif auf das Ministerium. Sie werden sich sicher an mir ärgern; Sie sind so gut; ich muß bekennen, nichts macht mir soviel Spaß wie kleine Bosheiten. Ohne die wäre das Leben recht eintönig.«

      Und sie redete weiter immerfort vom Ministerium, als ob es der Olymp wäre. Um das Thema zu wechseln, wandte sich Frau Swann an Frau Cottard:

      »Sie sehen heut besonders schön aus. Redfern fecit?«

      »Nein, Sie wissen doch, ich bin eine eifrige Anhängerin von Rauthnitz. Übrigens ist es nur geändert.«

      »Aber einen Chik hat das!«

      »Wieviel glauben Sie? ... Nein, Sie müssen die erste Ziffer ändern.«

      »Wie? Das ist ja für nichts, das ist geschenkt. Mir hat man dreimal soviel gesagt.« »Ja, so wird Geschichte geschrieben«, schloß die Frau des Doktors. Dann zeigte sie Frau Swann eine Boa, die diese ihr geschenkt hatte:

       »Sehen Sie, Odette, erkennen Sie es wieder?«

      Ein Vorhang wurde gelüftet, und es zeigte sich mit zeremoniös ehrerbietiger Miene ein Kopf, er tat im Scherz, als fürchte er zu stören: es war Swann. »Odette, der Fürst von Agrigent, der bei mir im Arbeitszimmer ist, fragt, ob er Ihnen seine Aufwartung machen darf. Was soll ich ihm antworten?« »Daß ich entzückt sein werde«, pflegte dann Odette zu sagen, mit einer gewissen Genugtuung, doch ohne ihre Ruhe zu verlieren, was ihr um so leichter fiel, als sie immer, schon als Kokotte, elegante Männer empfangen hatte. Swann ging die Autorisation zu überbringen und in Begleitung des Fürsten kam er wieder zu seiner Frau, außer wenn etwa inzwischen Frau Verdurin eingetreten war. Als er Odette heiratete, hatte er sie gebeten, nicht mehr in dem kleinen Clan zu verkehren (dafür hatte er seine Gründe und, hätte er keine gehabt, er hätte es doch getan, einem Gesetz der Undankbarkeit folgend, das keine Ausnahme duldet und wieder einmal die Unvorsichtigkeit aller Kuppelei bewies oder ihre Uneigennützigkeit). Er hatte nur erlaubt, daß Odette einmal im Jahr Frau Verdurin empfing und besuchte, und sogar das schien gewissen Getreuen des Kreises noch zuviel, sie waren entrüstet über die Schmach, die man der Patronne antat, die jahrelang Odette und sogar Swann als Lieblingskinder des Hauses behandelt hatte. Denn wenn der kleine Kreis falsche Gesellen enthielt, die an bestimmten Abenden ausblieben, um, ohne es zu sagen, einer Einladung Odettes zu folgen – entschlossen im Fall der Entdeckung mit ihrer Neugier, Bergotte zu begegnen, sich zu entschuldigen (obschon die Patronne behauptete, er verkehre nicht bei den Swann, sei ohne Talent; und dennoch suchte sie ihn, nach einem ihrer Lieblingsausdrücke »zu ködern«) – wenn der kleine Kreis solche falschen Gesellen enthielt, so hatte er auch seine »Ultras«. Die wußten nicht von den Konventionen, welche ein extremes Verhalten untersagen, wie man es gern gesehen hätte, um jemanden zu ärgern, und hätten gewünscht – aber ihr Wunsch erfüllte sich nicht –, daß die Patronne alle Beziehungen zu Odette aufgebe, schon damit diese nicht die Genugtuung habe, lachend zu sagen: »Wir gehen sehr selten zur Patronne seit dem Schisma. Das war noch möglich, als mein Mann Junggeselle war, aber für ein Ehepaar ist es nicht immer ganz leicht ... Swann, um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, kann die alte Verdurin nicht vertragen und würde es nicht sehr schätzen, wenn ich gewohnheitsmäßig mit ihr verkehrte. Und ich, als treue Gattin ...« Swann begleitete seine Frau zu der Abendgesellschaft bei den Verdurin, vermied es aber zugegen zu sein, wenn Frau Verdurin Odette besuchen kam. Wenn also die Patronne im Salon war, mußte der Fürst von Agrigent ohne ihn eintreten. Er allein wurde übrigens von Odette vorgestellt, denn sie wollte nicht, daß Frau Verdurin obskure Namen zu hören bekam, sie sollte, wenn sie soviel unbekannte Gesichter sah, meinen, sich mitten unter namhaften Aristokraten zu befinden, und diese Berechnung glückte; des Abends sagte dann Frau Verdurin mit Abscheu zu ihrem Manne: »Ein reizender Kreis! Die ganze Blüte der Reaktion war anwesend!« Odette hatte in bezug auf Frau Verdurin die umgekehrte Illusion. Damals hatte deren Salon allerdings erst begonnen zu werden, was er später einmal sein sollte. Frau Verdurin war noch nicht einmal in der Inkubationsperiode, in der man die großen Feste aufschiebt, um die wenigen erst jüngst erworbenen glänzenden Elemente nicht in zuviel schlechte Masse zu tauchen, und lieber abwartet, daß die Zeugungskraft der zehn Gerechten, die man gewonnen hat, siebenzigmal zehn hervorbringe. Wie auch Odette es bald tun sollte, nahm Frau Verdurin die ›Gesellschaft‹ aufs Korn, aber ihre Angriffszonen waren noch sehr beschränkt und lagen so fern von denen, bei welchen Odette einige Aussicht hatte, zu einem entsprechenden Resultat durchzudringen, daß diese nichts von den strategischen Plänen ahnte, die die Patronne ausarbeitete. Wenn man zu ihr von Frau Verdurin als einem Snob sprach, sagte sie ganz gutgläubig lachend: »Ganz das Gegenteil ist sie. Erstens einmal fehlen ihr dazu alle Elemente, sie kennt niemanden. Dann muß man ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie es gar nicht anders haben will. Nein, was sie liebt, sind ihre Mittwoche mit ihren angenehmen Plauderstunden.« Und heimlich beneidete sie Frau Verdurin (obwohl sie immer noch hoffte, in einer so guten Schule schließlich etwas gelernt zu haben) um die Künste, welche die Patronne so hübsch wichtig nahm, obwohl sie nur ein Nichtvorhandenes nuancierten, im Leeren modellierten und Künste im Nichtsein waren: die Kunst einer Hausherrin nämlich, zu ›vereinen‹, zu ›gruppieren‹, ›zur Geltung zu bringen‹, ›sich selbst in den Schatten zu stellen‹ und nur als ›Bindestrich‹ zu dienen.

      Den Freundinnen von Frau Swann machte es immerhin einen großen Eindruck, bei ihr eine Frau zu sehen, die man sich gewöhnlich nur in ihrem eigenen Salon vorstellte, unzertrennlich umgeben von dem Rahmen ihrer Besucher, von