Название | Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen |
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Автор произведения | Marcel Proust |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027208821 |
Wenn ich die Sonate nicht verstand, so war ich doch entzückt, Frau Swann spielen zu hören. Ihr Anschlag hatte für mich in Verbindung mit ihrem Peignoir, dem Duft auf ihrer Treppe, ihren Mänteln und Chrysanthemen teil an einem eigentümlichen, geheimnisvollen Ganzen und gehörte in eine Welt, die weit über der stand, in welcher Vernunft das Talent analysieren kann »Nicht wahr? Schön ist diese Sonate von Vinteuil!« sagte Swann zu mir. »Der Augenblick, wenn es Nacht wird unter den Bäumen, wenn die Arpeggien der Violine Frische niedergehn lassen. Sie müssen zugeben, daß das sehr hübsch ist. Die ganze Banngewalt des Mondscheins liegt darin, und das ist seine wesentliche Seite. Es ist nicht erstaunlich, daß eine Lichtkur, wie meine Frau sie macht, auf die Muskeln wirkt; denn Mondlicht hindert die Blätter sich zu regen. Das kommt gut heraus in dieser kleinen Passage, es ist das Bois de Boulogne, wie es starr daliegt. Am Meeresstrande ist es noch frappanter, man hört die Wellen, wie sie schwach einander antworten, da das übrige sich nicht bewegen kann. In Paris hingegen bemerkt man höchstens ungewohnte Lichter auf den Bauwerken, einen Himmel, den farbloser, gefahrloser Brand erhellt; man ahnt etwas wie eine unerhörte Sensation. Aber in der kleinen Passage bei Vinteuil ist es etwas anderes und eigentlich in der ganzen Sonate; das spielt im Bois, in dem Doppelvorschlag hört man die Stimme eines Menschen deutlich sagen: Man könnte fast seine Zeitung lesen.« – Diese Worte Swanns hätten für später meine Auffassung der Sonate fälschen können, denn die Musik ist nicht exklusiv genug, um absolut alles auszuschließen, was man in ihr zu finden uns suggeriert. Aber aus andern seiner Wendungen entnahm ich: dies nächtliche Laub war nichts anderes als einfach das Blattwerk, in dessen dichtem Schutz er manchen Abend in verschiedenen Restaurants nah bei Paris die kleine Passage gehört hatte. Statt tiefen Sinnes, den er oft in ihr gesucht, brachte sie Swann Blätterreihen und Blätterbüschel (und die Sehnsucht, dies Laub wiederzusehen, dem sie seelenhaft innezuwohnen schien); sie brachte ihm einen ganzen Frühling, den er ehedem nicht genossen, weil er fiebernd und kummervoll, wie er damals war, nicht genug gesundes Dasein für sie bereit hatte; diesen Frühling hatte sie ihm aufbewahrt (wie man für einen Kranken es mit guten Dingen tut, die er nicht hat genießen können). Nach dem Zauber, den gewisse Nächte im Bois auf ihn übten, und von dem ihm die Sonate von Vinteuil etwas sagen konnte, hätte er Odette nicht gefragt, obwohl sie ihn damals ebenso begleitete wie die kleine Passage bei Vinteuil. Aber Odette war nur neben ihm (nicht in ihm wie das Motiv von Vinteuil) und konnte, hätte sie auch tausendmal mehr Verständnis gehabt, das nicht sehen, was sich bei keinem von uns (wenigstens habe ich lange Zeit gemeint, daß diese Regel keine Ausnahme dulde) nach außen hin manifestieren kann. »Es ist doch im Grunde recht hübsch,« sagte Swann, »daß der Ton das Licht zurückwerfen kann wie Wasser oder ein Spiegel. Sie müssen wissen, daß die Passage von Vinteuil mir immer nur all das zeigt, worauf ich zu jener Zeit nicht achtgab. Von meinen damaligen Sorgen und Liebesgefühlen ruft sie nichts wach, die hat sie vertauscht.« »Charles, was Sie da sagen, scheint mir nicht gerade sehr verbindlich mir gegenüber.« »Nicht verbindlich? Frauen sind großartig! Ich wollte nur einfach dem jungen Manne sagen: was die Musik zeigt –wenigstens mir–, ist durchaus nicht der ›Wille an sich‹ oder die ›Synthese des Unendlichen‹, sondern zum Beispiel der alte Verdurin im Gehrock im Palmenhaus des Jardin d'Acclimatation. Tausendmal hat mich, ohne daß ich das Haus zu verlassen brauchte, die kleine Passage ins Pavillon d'Armenonville zum Diner mitgenommen. Mein Gott, das ist doch jedenfalls weniger langweilig als mit Frau von Cambremer hinzugehen.« Frau Swann lachte; »Das ist eine Dame, die sehr in Charles verliebt gewesen sein soll«, erklärte sie mir im selben Tone, in dem sie kurz vorher von Ver Meer van Delft, den sie zu meiner Verwunderung kannte, gesagt hatte: »Das kommt davon, daß unser verehrter Freund sich viel mit diesem Maler befaßte zur Zeit, als er mir die Cour machte. Nicht wahr, Charlie?« »Was reden Sie da für Zeug von Frau von Cambremer?« sagte Swann; im Grunde war er geschmeichelt. »Ich wiederhole nur, was man mir gesagt hat. Übrigens scheint sie sehr intelligent zu sein, ich kenne sie nicht. Ich halte sie für sehr »pushing«, was mich bei einer intelligenten Frau wundert. Aber alle Welt sagt, daß sie toll auf Sie war, das hat nichts Kränkendes.« Swann stellte sich taub, das war eine Art Bekräftigung und ein Beweis von Eitelkeit. »Da das, was ich da spiele, Sie an den Jardin d'Acclimatation erinnert,« begann Frau Swann wieder und stellte sich im Scherz pikiert, »könnten wir bald einmal eine Spazierfahrt dahin machen, wenn das den Kleinen amüsiert. Es ist schönes Wetter, und Sie werden da Ihre teuren Erinnerungen wiederfinden! Beim Jardin d'Acclimatation fällt mir ein, dieser junge Mann meint, wir liebten eine Person sehr, die ich im Gegenteil, so oft ich kann, schneide, nämlich Frau Blatin! Ich finde es demütigend für uns, daß sie für