Название | Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen |
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Автор произведения | Marcel Proust |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027208821 |
Unter den Leuten, die diese Art Heirat lächerlich fanden, Leuten, welche im eignen Falle fragten: »Was wird Herr von Guermantes denken, was wird Bréauté sagen, wenn ich Fräulein von Montmorency heirate?«, unter den Leuten, die solchem sozialen Ideal anhingen, hätte sich zwanzig Jahre früher Swann selbst befunden, der es zu jener Zeit sich Mühe kosten ließ, in den Jockey-Klub aufgenommen zu werden, und damit rechnete, eine glänzende Partie zu machen, die durch eine Festigung seiner Stellung schließlich eine der bekanntesten Pariser Persönlichkeiten aus ihm gemacht hätte. Allein den Vorstellungen, die von einer solchen Heirat dem Betreffenden vorschweben, muß wie allen Wunschbildern, damit sie sich nicht auflösen und verschwimmen, von außen nachgeholfen werden. Mag es dein glühendster Traum sein, den Menschen, der dich beleidigt hat, zu demütigen; wenn du nie von ihm sprechen hörst, weil du längst in einem anderen Lande lebst, wird dein Feind dir schließlich ganz unwichtig werden. Wenn man im Verlauf von zwanzig Jahren alle Menschen aus dem Auge verloren hat, derentwegen man gern in den Jockey-Klub oder ins Institut de France gekommen wäre, hat die Aussicht, Mitglied des einen oder des anderen zu werden, nichts Verlockendes mehr. Nicht weniger als Zurückgezogenheit, Krankheit oder religiöse Bekehrung löst eine dauernde Liebschaft die alten Wunschbilder durch neue ab. Von Seiten Swanns war die Ehe mit Odette kein Verzicht auf gesellschaftliche Ambitionen, denn von denen hatte Odette schon längst im geistigen Sinne des Wortes ihn losgemacht. Und wäre das nicht geschehen, so wäre sein Verdienst nur um so größer gewesen. Im allgemeinen sind die entehrenden Heiraten, da mit ihnen eine mehr oder weniger schmeichelhafte Weltstellung rein privaten Annehmlichkeiten geopfert wird, die achtbarsten von allen. (Geldheiraten darf man dabei nicht zu den entehrenden rechnen; es gibt kein Beispiel eines Ehebündnisses, bei dem die Frau oder auch der Mann, die sich verkauft haben, nicht schließlich doch in der Gesellschaft empfangen wurden, sei es auch nur aus Tradition auf die Autorität früherer Fälle hin und um nicht zweierlei Maß und Gewicht anzuwenden.) Vielleicht wäre es Swann andererseits als Künstler oder gar aus einer Art Verderbtheit immerhin eine gewisse Wollust gewesen in einer der Kreuzungen, wie sie die Mendelisten ausführen und die Mythologie sie darstellt, mit einem Wesen anderer Rasse sich zu paaren, mit einer Erzherzogin oder einer Kokotte, und eine königliche Allianz oder eine Mesallianz zu schließen. Nur an ein Wesen auf der Welt dachte er mit Unruhe, so oft er die Möglichkeit einer Ehe mit Odette erwog: das war– ohne jeden Snobismus von seiner Seite – die Herzogin von Guermantes. Odette kümmerte sich wenig um diese, sie dachte nur an Leute, die gesellschaftlich unmittelbar über ihr standen, und nicht an die in unbestimmten höheren Regionen. Wenn aber Swann in träumerischen Stunden Odette seine Frau geworden sah, stellte er sich regelmäßig den Augenblick vor, in dem er sie und vor allem seine Tochter der Fürstin des Laumes, die bald durch den Tod ihres Schwiegervaters Herzogin von Guermantes werden sollte, zuführen würde. Sie anderswo vorzustellen, hatte er kein Verlangen, aber er wurde ganz gerührt, wenn er sich ausdachte und in Worten aussprach, was die Herzogin über ihn zu Odette und was Odette zu Frau von Guermantes sagen und wie diese Gilberte verwöhnen und ihn stolz auf seine Tochter machen würde. Er spielte sich selbst die Begrüßungsszene mit einer Genauigkeit in den fiktiven Einzelheiten vor, wie sie Leute haben, die nachgrübeln, auf welche Art sie ein erst noch zu gewinnendes Los, dessen Zahl sie willkürlich festsetzen, ausnützen würden. Soweit ein Wunschbild, das einen unserer Entschlüsse begleitet, als dessen Motiv anzusehen ist, kann man sagen, daß Swann Odette heiratete, um sie und Gilberte, ohne daß sonst jemand zugegen war, ja nötigenfalls, ohne daß es jemals bekannt würde, der Herzogin von Guermantes vorzustellen. Und diesem einzigen gesellschaftlichen Ehrgeiz, den Swann für Frau und Tochter hegte, sollte, wie man sehen wird, die Erfüllung versagt bleiben, und zwar durch ein so absolutes Veto, daß Swann starb, ohne vermuten zu können, die Herzogin werde die Seinen noch einmal kennen lernen. Nach seinem Tode jedoch befreundete sich, wie man ebenfalls sehen wird, die Herzogin mit Odette und Gilberte. Vielleicht wäre es weise von ihm gewesen – wenn anders er schon eine Kleinigkeit so wichtig nehmen konnte – sich in dieser Hinsicht keine düstern Vorstellungen von der Zukunft zu machen, sondern es ihr zu überlassen, die ersehnte Zusammenkunft herbeizuführen, wenn er, sich ihrer zu erfreuen, nicht mehr dasein werde. Die Kausalität, die schließlich fast alle möglichen Folgen heraufführt, auch die, von denen man es am wenigsten glaubte, arbeitet bisweilen langsam und wird durch unser Verlangen, das sie beschleunigen will und dadurch hemmt, ja schon durch unser bloßes Dasein noch mehr verlangsamt; sie kommt zum Ziel, wenn wir aufgehört haben, zu verlangen oder gar zu leben. Wußte Swann das nicht aus eigener Erfahrung? War seine Ehe nicht schon bei Lebzeiten eine Vorform dessen, was erst nach seinem Tode stattfinden sollte, ein posthumes Glück? Die Ehe mit dieser Odette, die er leidenschaftlich, wenn auch nicht auf den ersten Blick, geliebt hatte und dann heiratete, als er sie nicht mehr liebte, als das Wesen in ihm, das so verzweifelt und so sehnsüchtig das ganze Leben mit Odette zu leben begehrte, als dieses Wesen tot war?
Ich brachte die Rede auf den Grafen von Paris und fragte, ob er nicht ein Freund von Swann sei; ich wollte nicht, daß die Unterhaltung von Swann abkomme. »Ja, in der Tat«, antwortete Herr von Norpois und heftete auf meine bescheidene Person den blauen Blick, in dem wie in ihrem Lebenselement große Arbeitskraft, und geschickte Assimilationsfähigkeit sich regten. »Mein Gott,« wandte er sich dann wieder an meinen Vater, »ich glaube nicht, die Schranken des Respektes, den ich dem Prinzen schulde, zu durchbrechen (ohne deshalb persönliche Beziehungen zu ihm zu unterhalten, die meine Situation, so wenig offiziell sie ist, erschweren würden), wenn ich Ihnen einen pikanten Vorfall zitiere: Vor nicht mehr als vier Jahren hatte der Prinz auf einem kleinen Bahnhof eines der mitteleuropäischen Länder Gelegenheit, auf Frau Swann aufmerksam zu werden. Sicherlich hat sich aus seiner Umgebung niemand erlaubt, Seine Hoheit zu fragen, wie er die Dame gefunden habe. Das wäre nicht schicklich gewesen. Als aber im Laufe der Unterhaltung ihr Name fiel, gab der Prinz durch gewisse, wenn man will, kaum merkliche, ab er doch untrügliche Zeichen ziemlich deutlich zu verstehen, sein Eindruck sei im ganzen durchaus nicht ungünstig gewesen.«
»Aber es hätte wohl keine Möglichkeit bestanden, sie dem Grafen von Paris vorzustellen?« fragte mein Vater. »Nun, wissen kann man es nicht; man weiß nie bei Fürsten...« antwortete Herr von Norpois, »gerade die glänzendsten, die am selbstverständlichsten gebührende Distanzen betonen, kümmern sich bisweilen am wenigsten um die Satzungen der öffentlichen Meinung, mögen diese auch noch so berechtigt sein, sobald es sich darum handelt, bestimmte Beweise der Anhänglichkeit zu belohnen. Sicherlich hat der Graf von Paris die Ergebenheit Swanns (Geist hat dieser Swann ja) immer sehr wohl wollend aufgenommen.«
»Und