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Anker aus, und fasste das Tau-Ende mit der Hand, um die Arche in ihrem Laufe zu hemmen. Die Arche drehte sich, in Folge dieser Hemmung, langsam im Kreise herum, und als sie ganz ruhig stand, sah man auf dem Hinterteil Hetty, ins Wasser deutend, und die Tränen strömten ihr in unwiderstehlicher, natürlicher Rührung aus den Augen. Judith war bei der Bestattung ihrer Mutter gegenwärtig gewesen, hatte aber seitdem den Platz nicht mehr besucht. Diese Vernachlässigung hatte ihren Grund nicht in Gleichgültigkeit gegen das Andenken der Geschiedenen; denn ihre Mutter hatte sie geliebt, und hatte mit bitterem Schmerze Anlass gefunden, ihren Verlust zu betrauern; aber sie hatte einen Widerwillen gegen die Betrachtung des Todes, und seit dem Bestattungstage waren in ihrem eignen Leben Begebenheiten vorgefallen, welche dies Gefühl steigerten, und sie wo möglich noch abgeneigter machten, dem Platze sich zu nähern, welcher die Überreste einer Mutter enthielt, deren strenge Lehren und Einschärfungen von weiblicher Sittlichkeit und Anstand durch Reue über eigne Verfehlungen nur umso ernster und eindringlicher geworden waren. Bei Hetty war es ein ganz andrer Fall. Für ihr einfaches, unschuldiges Gemüt hatte die Erinnerung an ihre Mutter kein andres Gefühl zur Folge als milden Kummer; – einen Schmerz, den man so oft genussvoll oder wollüstig nennt, weil er verbunden ist mit den Bildern von Vortrefflichkeit und von der Reinheit eines bessern Daseins. Einen ganzen Sommer hatte sie je nach Einbruch der Nacht an den Platz sich zu begeben die Gewohnheit gehabt; und ihr Canoe sorgfältig so vor Anker legend, dass der Leichnam nicht verstört wurde, saß sie dann da, und pflog eingebildete Gespräche mit der Geschiedenen, sang süße Hymnen in die Abendluft und sagte die Gebete her, welche das jetzt drunten schlummernde Wesen sie in ihrer Kindheit gelehrt hatte. Hetty hatte ihre glücklichsten Stunden in diesem mittelbaren Verkehr mit dem Geist ihrer Mutter zugebracht, und die wilden verworrenen indianischen Überlieferungen und Meinungen mischten sich, ihr unbewusst, mit der christlichen Lehre, die ihr in der Kindheit war beigebracht worden. Einmal war sie von jenen so weit beherrscht worden, dass sie daran dachte, an ihrer Mutter Grab einige jener physischen Bräuche zu verrichten, welche, wie man weiß, von den roten Männern beobachtet werden; aber die vorübergehende Anwandlung war zurückgedrängt worden, durch das stetige, obwohl milde Licht des Christenthums, das in ihrer sanften Brust nie aufhörte zu brennen. Jetzt waren ihre Gemütsbewegungen der natürliche Ausbruch des Gefühls einer Tochter, welche um eine Mutter weinte, deren Liebe ihrem Herzen unzerstörbar eingeprägt war, und deren Lehren zu ernstlich eingeschärft worden waren, umso leicht vergessen zu werden von einer Tochter, die so wenig Versuchung zu Verirrungen hatte.

      Kein andrer Priester als die Natur war gegenwärtig bei diesem eigentümlichen und kunstlosen Leichenbegängnis. March blickte in das Wasser, und durch das klare durchsichtige Element, beinahe so rein wie die Luft, sah er, was Hetty der Mutter Grab zu nennen pflegte, Es war ein niedriger, einzelner Erdhaufen, nicht durch Spaten gebildet, aus dessen einer Ecke ein Stück von der weißen Leinwand hervorsah, welche das Totenkleid der Geschiednen ausmachte. Der Leichnam war auf den Grund versenkt worden, und Hutter hatte vom Land her Erde herbeigeführt und darauf geworfen, bis alles zugedeckt war. In diesem Zustand war der Platz geblieben, bis die Bewegung des Wassers das einzige Zeichen, das wir so eben erwähnten, sichtbar machte, welches verriet, wozu der Platz benützt worden war. Selbst die rohesten und lärmendsten Menschen werden durch die Ceremonie einer Bestattung weicher und gesitteter. March fühlte keine Lust, seine Stimme zu einem jener bei ihm so häufigen rohen Ausbrüchen zu erheben und war ganz geneigt, den Dienst, den er übernommen, in anständiger Nüchternheit zu vollziehen. Vielleicht sann er nach über die Vergeltung, die seinen bisherigen Kameraden betroffen, und dachte an die grässliche Gefahr, worin sein eignes Leben vor so kurzer Zeit geschwebt. Er gab Judith zu verstehen, dass alles bereit sei, erhielt von ihr die Anweisung, Hand an’s Werk zu legen, hob, vermöge seiner ungeheueren Stärke, ohne andrer Unterstützung den Leichnam auf, und trug ihn an das Ende der Fähre. Das Seil ward unter den Füßen und unter den Schultern durchgezogen, wie unter den Särgen, und dann der Leichnam langsam in den See versenkt.

      Nicht hier – Harry March – nein, nicht hier! sagte Judith unwillkührlich schaudernd, versenkt ihn nicht so ganz nahe an dem Platz, wo Mutter liegt.

      Warum nicht, Judith? fragte Hetty einst. Sie lebten miteinander im Leben und sollen im Tode bei einander ruhen.

      Nein – nein – Hetty March – weiter weg, weiter weg. – Arme Hetty, du weißt nicht, was Du sagst. – Lass mich das anordnen.

      Ich weiß, ich bin schwachsinnig, Judith, und du bist gescheut, – aber, gewiss, ein Ehemann soll immer neben die Frau gelegt werden. Mutter sagte immer, das sei die Art, wie man auf christlichen Kirchhöfen begrabe.

      Dieser kleine Streit wurde mit Eifer, obwohl mit gedämpfter Stimme geführt, als fürchteten die Sprechenden, der Tote möchte sie hören. Judith konnte in einem solchen Augenblick nicht mit ihrer Schwester hadern, aber eine bedeutsame Gebärde von ihr bewog March, den Leichnam in einer kleinen Entfernung von dem der Mutter zu versenken, worauf er die Stricke heraufzog und der Akt geschlossen war.

      So hat’s ein Ende mit Floating Tom! rief Hurry, sich über die Fähre vorbeugend, und durch’s Wasser den Leichnam anstarrend. Er war ein braver Kamerad auf einer Kundschaft, und ein tüchtiger Kerl im Fallenstellen. Weint nicht, Judith – lasst Euch den Schmerz nicht übermannen, Hetty, denn die Rechtschaffensten von uns müssen alle auch sterben, und wenn die Zeit kommt, können Wehklagen und Tränen die Toten nicht wieder zum Leben bringen. Euer Vater wird ein Verlust für Euch sein, ohne Zweifel; die meisten Väter sind ein Verlust, besonders für unverheiratete Töchter, aber es gibt ein Mittel, dies Übel zu heilen, und Ihr seid beide zu jung und zu schön, als dass Ihr jenes Mittel lange nicht finden solltet. Wenn’s Euch angenehm ist, zu hören, was ein ehrlicher und anspruchsloser Mann zu sagen hat, Judith, möchte ich wohl ein wenig mit Euch sprechen, und das beiseite.

      Judith hatte kaum auf Hurry’s rohen Tröstungsversuch gemerkt, obwohl sie natürlich die Abzweckung davon im Allgemeinen verstand, und einen ziemlich genauen Begriff von seiner Art und Weise hatte. Sie weinte bei der Erinnerung an ihrer Mutter frühere Zärtlichkeit, und schmerzliche Bilder von lange vergessenen Anweisungen und vernachlässigten Lehren stürmten auf ihr Gemüt ein. Aber Hurry’s Worte riefen sie wieder in die Gegenwart zurück, und so überraschend und unzeitig ihr Inhalt war, hatten sie doch nicht jene Äußerungen von Widerwillen zur Folge, die man bei dem Charakter des Mädchens hätte erwarten können. Im Gegenteil, es schien ihr ein plötzlicher Gedanke aufzugehen, sie schaute einen Augenblick den jungen Mann scharf an, trocknete sich die Augen und begab sich nach dem anderen Ende der Fähre, ihm winkend, ihr zu folgen. Hier setzte sie sich und bedeutete March, sich neben sie zu setzen. Die Entschiedenheit und der Ernst, womit dies alles geschah, schüchterten ihren Genossen ein Wenig ein, und Judith fand nötig, selbst das Gespräch zu eröffnen.

      Ihr wünscht mit mir von Heirat zu sprechen, Harry March, sagte sie, und ich komme hierher, über dem Grabe meiner Eltern, gleichsam – nein, nein – über dem Grabe meiner armen, teuern, teuern Mutter, zu hören, was Ihr mir zu sagen habt.

      Das ist ungewöhnlich, und Ihr habt ein so scheumachendes Wesen an Euch diesen Abend, Judith, antwortete Hurry, verstörter als er selbst hätte gestehen mögen, aber Wahrheit ist Wahrheit, und sie kommt an den Tag, folge dann was da will. Ihr wisst, Mädchen, dass ich Euch längst schon für das hübscheste junge Weib halte, das meine Augen je gesehen, und dass ich daraus kein Geheimnis gemacht habe, weder hier auf dem See, noch draußen bei den Jägern und Fallenstellern, noch in den Ansiedlungen.

      Ja, ja, ich habe das sonst schon gehört, und glaube, dass es wahr ist, antwortete Judith mit einer Art fieberhafter Ungeduld.

      Wenn ein junger Mann eine solche Sprache führt von einem bestimmten jungen Weibe, so ist es vernünftig, anzunehmen, dass er viel auf sie hält.

      Wahr – wahr, Hurry – das alles habt Ihr mir oft und viel gesagt.

      Nun, wenn es angenehm ist, so sollte ich meinen, ein Weib könne es nicht zu oft hören. Alle sagen mir, das sei die Art Eures Geschlechtes – Nichts gefalle Euch mehr, als wenn man Euch hundert und aber hundert Mal wiederhole, dass man Euch gern habe – ausgenommen das, dass man Euch von Eurer Schönheit spreche.

      Ohne Zweifel – wir haben beides gern in den meisten Fällen; aber das ist ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, Hurry, und eitle Worte sollten nicht allzu frei gebraucht werden. Ich möchte