Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Ein neuer Krieg hat sich entzündet und Monseigneur d’Allègre hat nach Jahresfrist zum zweiten Mal sein Heer über die Alpen geführt. Er soll für Ludwig XII. im Einverständnis mit dem Papst das Königreich Neapel erobern. Unbekannt ist ihm das Los seiner ehemaligen Gefangenen. Aber kaum dass er italienischen Boden betritt, da erreichen ihn Fetzen eines Klagegesanges auf die Dame von Forli. Denn nicht ein Spottlied ist sie geworden, sondern die Heldin einer trauervollen Romanze, die von Ort zu Ort durch ganz Italien wandert. Die Soldaten, denen der Heldenmut und die Schönheit der »Dame Cathérine« unvergesslich geblieben, hören mit Unwillen, dass ihr Leid und Schimpf widerfahren ist, denn wohin sie kommen, da empfängt sie derselbe Kehrreim:
Schaut auf diese jammervolle
Caterina von Forlivi!
Der Feldherr stutzt und forscht und gerät außer sich: so hat der Valentino Wort gehalten! Aber erst in Viterbo, wo er rasten muss, erfährt er von einem Diener der Sforza die volle Wahrheit: dass die Heldin von Forli seit Jahr und Tag im Keller der Engelsburg schmachtet und dass ihr Leben an einem Faden hängt, denn all seine anderen Gegner, deren er habhaft geworden, hat der Borgia bereits in der Stille verschwinden lassen. Da sieht der Herr d’Allègre die äußerste Gefahr im Verzug. Das Heer marschiert ihm viel zu langsam. Er wirft sich bewaffnet aufs Pferd, mit nur drei Knechten jagt er spornstreichs nach Rom und unmittelbar vor das Tor des Vatikans. Mit dem Namen seines Königs auf den Lippen schiebt er ohne Umstände die päpstlichen Wachen zur Seite, eilt staubig und schweißbedeckt wie er ist die Stufen hinauf, und an den sprachlosen Kämmerlingen vorüber betritt er unangemeldet das innerste Gemach Seiner Heiligkeit:
Wo ist die Dame von Forli?
Cesare will aufbegehren, aber er fügt sich auf einen Blick des rasch gefassten Papstes. Die französische Freundschaft ist zu kostbar, um sie an der Rauheit eines ungeschlachten Kriegsmanns scheitern zu lassen. Man gibt ihm gute Worte und sucht Zeit zu gewinnen, aber er lässt sich auf keine Ausflüchte ein.
Ich kann nicht mehr vor meinen königlichen Herrn treten, wenn ich ihm sagen muss, dass sein geheiligter Name entweiht und seine Ehre verletzt ist. Meine Soldaten glühen vor Empörung. Sie folgen mir auf dem Fuße. Ich weiß nicht, ob ich sie werde zügeln können, wenn ich ihnen nicht unseres Königs Schutzbefohlene frei und wohlbehalten vor Augen stelle.
Argwöhnisch hält er, indes er spricht, die beiden im Auge, ob nicht etwa hinter dem Wandbehang Don Michelotto, Cesares Busenfreund und Henker, auf einen heimlichen Wink warte, um die Angelegenheit rasch in der Stille abzutun. Er weiß, von der Engelsburg ist nur ein Schritt zum Tiber, der schon manchen als Leiche aufnahm, der dem neugebackenen Herzog der Romagna unbequem war. Man erbietet sich, die Gefangene vor ihn zu führen. Nichts da! Er muss selbst zu ihr, und zwar auf der Stelle, er begehrt keine Umstände und Zeremonien, er begehrt nur den Einlass.
Es bleibt keine Wahl, als ihm zu willfahren, soll nicht das Bündnis mit Frankreich und der Plan auf Neapel zuschanden werden. Atemlos, dass keine ruchlose Hand ihm zuvorkomme, sprengt er nach der Engelsburg.
Unterhalb des Gemachs der Borgia in der rechten Ecke des Bildes öffnet sich eine Durchsicht auf den Koloß des Hadrian. Da sieht man unter dem Burgtor in perspektivischer Verkleinerung den Herrn d’Allègre, wie er die Gerettete am Arm herausführt mit der theatralischen Geste des Franzosen, der bei seinem Tun vor allem sich selbst genießt. Aber wie ist die stolze Dame von Forli verwandelt!
Abgezehrt, in schwarzem, nonnenhaftem Gewand, das Haar schneeweiß geworden, so tritt die Schwergeprüfte an der Seite ihres Retters in die Freiheit. Viele Jahre scheinen hinter ihr zu liegen, seit sie zuletzt das Sonnenlicht sah, jeder Tag der aufging, konnte ihr letzter sein, denn noch immer war sie dem Herzog im Wege. Da hat sie krank und fiebernd, im engen sonnenlosen Raum, Gericht über sich selber gehalten und hat ihre Vergehen für schwerer erkannt als ihre Strafe. Aber was ihr nach oben gerichteter Blick ausdrücken will, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Sucht sie, schon nahe dem Grab, über goldenen Wolken die Gnade, die die Büßerin sich erhofft? Oder ahnt sie noch einmal irdischen Glanz – die Krone von Toskana auf dem Haupt eines Enkels, durch den einmal Blut von ihrem Blute in allen Herrscherhäusern Europas fließen wird?
Es ist nicht gefahrlos, Geister zu rufen, auch nicht für den Eingeweihten. Damit sie erscheinen, muss er ihnen von seinem Blute zu trinken geben, das missbrauchen sie und lassen ihn erschöpft und blutleer zurück. Dass er die zwei feuerspeienden Drachen mit seinem Blute genährt hat, nimmt dem Rufer für den Rest der Nacht die Ruhe. Ihr wildbrausendes Leben hat sich ja nicht wie eine mattgewordene Welle am Ufer niedergelegt; solche Wellen unbändigen Lebenswillens umlaufen die Erde, weiß Gott, wie viele Male, ehe sie auf den Lebenden treffen, an dem sie sich brechen und ihren Inhalt ausgießen können. Dann treiben sie’s noch einmal aus dem Vollen wie im stürmischen Ablauf ihrer eigenen Tage; ihre Bilder sind nicht mehr bloße Bilder, zweidimensionale Schemen, sie werden ihnen zum neuen Lebensraum für ihre ungestillten Triebe. Dem Wanderer klopft das Herz zum Zerspringen, das Zimmer ist für ihn noch ganz voll von dem geschauten Spuk. Am liebsten stiege er durchs Fenster hinunter und über die Parkmauer, um in die balsamische Nacht hinauszuwandern. Aber für einen Sprung ist es hier oben zu hoch, und zum Hinunterklettern fehlen im Mondschein die sicheren Tritte. So bleibt nichts übrig, als sich wieder zu Bette zu legen, wo ein aufgeregter Halbschlaf ihn in unzuverlässigen Armen herumwälzt. So oft es in ihm stille werden will, bewegt sich die Drachin von der Wand, um sich männergierig auf ihn zu stürzen; es hat ihr wohl zu lange an Liebesabenteuern gefehlt, ganze vier Jahrhunderte und mehr. Einmal da ihn ein stärkerer Luftzug vom Fenster her traf, spürte er schon ihren stählernen Panzer auf seiner nackten Brust. Dann wieder sah er in einer Ecke des Saales die rührende Ione stehen, mit pulvergeschwärztem Gesicht und todestraurigen Augen, seine Ione, die er liebt wie der Künstler sein Werk, denn er, nicht der Marullo, hat sie gezeugt. Und das Leid um sie würgt ihn im Halse. Er hätte um sie weinen können – warum? Weil er sie hat sterben lassen müssen? Oder weil sie nie gelebt hat? Er weiß es nicht, aber ein stilles Heimweih nach ihr, in der seine zärtlichsten Träume Gestalt geworden waren, wird ihn in den wachsten Tag hinüberbegleiten.