Название | Gesammelte Werke von Sacher-Masoch |
---|---|
Автор произведения | Леопольд фон Захер-Мазох |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027207350 |
»Die Völker, die Staaten sind große Menschen, und gleich den kleinen beutelustig und blutgierig. Freilich – wer kein Leben schädigen will – kann ja nicht leben. Die Natur hat uns Alle angewiesen vom Tode Anderer zu leben, sobald aber nur das Recht auf Ausnützung niederer Organismen durch die Nothwendigkeit, den Trieb der Selbsterhaltung gegeben ist, darf nicht allein der Mensch das Thier in den Pflug spannen oder tödten, sondern auch der Stärkere den Schwächeren, der Begabtere den minder Begabten, die stärkere weiße Race die Farbigen, das fähigere, gebildetere, oder durch günstige Fügungen mehr entwickelte Volk das weniger entwickelte.
»So ist es auch in der That.
»Was innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft mit Kerker oder Schaffot bestraft wird, das thut ein Volk, ein Staat dem anderen, ohne daß man darin ein Verbrechen oder eine Verworfenheit sieht, sie morden sich im Großen um Land und Besitz, und ein Volk sucht das andere zu übervortheilen, zu unterwerfen, zu knechten, auszunutzen oder auszurotten, wie ein Mensch den anderen.
»Was ist der Krieg – in den nicht selten, durch lügnerische Vorspiegelungen und eine betrogene Begeisterung verfährt, die Besten eines Volkes ziehen – als der Kampf um das Dasein im Großen, Länderraub und Völkermord, begleitet von der Sklaverei des Fahnendienstes, Spionage, Verrath, Brandlegung, Nothzucht, Plünderung gefolgt von Seuchen und von Hungersnoth!
»Wirkt hier nicht in Millionen jener unselige Trieb fort, der in dem Einzelnen unablässig rege das ganze Menschendasein unterwühlt?«
Der Alte schwieg einige Zeit.
»Das große Geheimniß des Daseins,« sprach er dann mit feierlicher Ruhe, »soll ich dir es offenbaren?«
»Nenne es mir.«
»Das Geheimniß ist, ein Jeder will leben durch Andere, durch Raub und Mord, und soll leben durch sich selbst, durch seine Arbeit. Die Arbeit allein befreit uns von allem Elende. So lange Jeder darnach strebt, Andere für sich arbeiten zu lassen, mühlos die Früchte fremder Anstrengung zu genießen, so lange ein Theil der Menschheit Sklaverei und Noth dulden muß, damit der Andere im Ueberflusse schwelgt, so lange gibt es keinen Frieden auf Erden.
»Die Arbeit ist unser Tribut an das Dasein: wer leben und genießen will, muß arbeiten. Und in der Arbeit und in dem Streben liegt überhaupt alles das, was uns vom Glück gegönnt ist. Nur im männlichen, muthigen Kampfe um das Dasein kann man es überwinden, Jener, der nicht arbeitet, und sich dessen freut, ist doch zuletzt der Betrogene, denn über ihn kommt jene nagende Unzufriedenheit, welche gerade in den Palästen der Vornehmen und Reichen am meisten zu Hause ist, jener tiefe Ekel am Leben, dem die qualvollste Todesangst beigesellt ist.
»Ja! der Tod ist es, welcher alle Unzufriedenen, alle Unglücklichen, und sogar die meisten von denen, welche die Richtigkeit des Daseins erkannt haben, in dasselbe zurückschreckt – der Tod mit seinen bösen folternden Genossen, dem Zweifel und der Furcht.
»Kaum einer erinnert sich, will sich der Zeit, der unendlichen erinnern, da er noch nicht war. Jeder zittert vor jener zweiten Unendlichkeit, in der er nicht mehr sein soll. Warum das fürchten, was wir einst waren, und so lange waren, einen Zustand, mit dem wir uns so vertraut gemacht haben, während unser jetziger uns nur durch seine Kürze ängstiget, durch tausend grausame Räthsel quält.
»Ueberall ist der Tod um uns, er mag uns im Augenblicke der Geburt, oder später, plötzlich, gewaltsam oder nach langer Pein und Krankheit, oder in einem allgemeinen großen Sterben treffen, und doch denkt und müht sich jeder unausgesetzt, ihm auszuweichen, sein Dasein zu verlängern, das früher oder später genau so erbärmlich, ja lächerlich enden muß.
»Wie wenige begreifen, daß der Tod es ist, der uns allein vollkommene Erlösung, Freiheit, Frieden bringt, wie wenige haben den Muth, vom Leben bedrängt, ihn freiwillig und heiter aufzusuchen. Besser freilich ist nie geboren zu werden, und wenn man schon geboren wurde, den Traum ruhig, mit lächelnder Verachtung seiner schimmernden, lügnerischen Bilder auszuträumen, um für immer im Schooße der Natur unterzutauchen.«
Der Alte legte die braunen, verwitterten Hände über das von tiefen, traurigen Runzeln bedeckte Gesicht, und schien selbst zu träumen.
»Du hast mir gesagt, was dir im Leben an Erkenntniß geworden,« sprach ich hierauf zu ihm, »willst du mir nicht auch von den ewigen Wahrheiten sprechen, welche du daraus abgeleitet hast, von der Lehre, der du nachfolgst?«
»Ich sah die Wahrheit,« rief der Greis, »und sah, daß das Glück nur in der Erkenntniß liegt und sah, daß es besser ist, dies Geschlecht Kains stirbt aus, ich sah, daß dem Mann besser ist zu darben, als zu arbeiten, und sprach: ich will nicht mehr das Blut meiner Brüder vergießen und sie nicht mehr berauben, und ich verließ mein Haus und mein Weib, und ergriff den Wanderstab. Der Satan hat die Herrschaft über die Welt, und so ist es eine Sünde an der Kirche, oder dem Gottesdienste, oder an dem Staate theilzunehmen. Und auch die Ehe ist eine Todsünde.
»Und diese sechs: die Liebe, das Eigenthum, der Staat, der Krieg, die Arbeit und der Tod sind das Vermächtniß Kains, der seinen Bruder schlug und seines Bruders Blut schrie gegen Himmel, und der Herr sprach zu Kain: »Du sollst verflucht sein auf der Erde, und unstät und flüchtig.«
»Der Gerechte verlangt nichts von diesem fluchwürdigen Vermächtniß, nichts von den Söhnen, den Töchtern Kains. Der Gerechte hat keine Heimath, er ist auf der Flucht von der Welt, den Menschen, er muß wandern, wandern, wandern.
»Wie lange,« fragte ich. Ich erschrak vor meiner eigenen Stimme.
»Wie lange? wer weiß das! erwiederte der Greis. Und wenn ihm sein Freund naht, der Tod, dann muß er ihn heiter erwarten, unter freiem Himmel, im Felde oder im Walde, damit er sterbe, wie er gelebt auf der Flucht.
»Mir war es heute Abend, als sei er an meiner Seite – ernst, freundlich und tröstlich, aber er ist mir vorübergegangen, so will ich meinen Stab ergreifen, und ihm nachfolgen, und ich werde ihn finden.«
Der Wanderer erhob sich und ergriff seinen Stab.
»Dem Leben entfliehen ist das Eine,« sprach er, und eine allerbarmende Güte glänzte in seinen Augen, »– den Tod wünschen und suchen das Zweite.« Und er hob den Stock und wanderte weiter. In Kurzem hatte ihn das Dickicht verschlungen.
Ich blieb allein in tiefer Waldeinsamkeit, und es ward Nacht um mich.
Vor mir lag ein faulender Baumstamm. Sein morsches Holz begann zu leuchten, und eine ganze unruhige und thätige Welt von Pflanzen, Moosen und Insekten wurde auf ihm sichtbar.
Ich versank in mich. Die Bilder des Tages rauschten an mir vorbei wie Wellen, Blasen, die das Wasser wirft und wieder verschlingt; ich sah sie ohne Sorge, ohne Angst, aber auch ohne Freude.
Ich begann die Schöpfung zu begreifen, ich sah wie Tod und Leben nicht so sehr Feinde als freundliche Genossen sind, nicht Gegensätze, die sich aufheben, als vielmehr eines aus dem andern fließend Wandlungen des Daseins. Ich fühlte mich losgelöst von der Welt, der Tod erschien mir nicht mehr schrecklich, ja minder schrecklich als das Leben. Und jemehr ich in mir gleichsam untergehe, um so mehr wird Alles um mich her lebendig und gesprächig und greift in meine Seele.
Bäume, Stauden, Halme, ja Stein und Erde strecken ihre Arme nach mir aus.
»Du willst uns entfliehen, Thor? vergebens, du kannst es nicht. Du bist wie wir und wir sind wie du. Dein Pulsschlag schlägt nur im Pulsschlag der Natur. Du mußt entstehen, wachsen und vergehen wie wir, leben, sterben und im Tode neues Leben geben, das ist dein Loos Sonnenkind, wehre dich nicht dagegen, es hilft dir nichts.«
Ein tiefes, feierliches Rauschen