Ein Kind unserer Zeit. Odon von Horvath

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Название Ein Kind unserer Zeit
Автор произведения Odon von Horvath
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027227877



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Gotteswillen!« kreischt der Leutnant. Was ist denn los?! Er starrt auf den Himmel. Dort, der Flieger! Er stürzt ab!

      »Der linke Flügel ist futsch«, sagt der Feldwebel durch den Feldstecher. Er stürzt, er stürzt. Mit einer Rauchwolke hinter sich her – Immer rascher.

      Wir starren hin. Und es fällt mir ein: Komisch, hast du nicht grad gedacht: stürzt ab -?

      »Mit denen ists vorbei«, meint der Leutnant. Wir waren alle aufgesprungen. »Deckung!« schreit uns der Feldwebel an. »Deckung!«

      Drei Särge liegen auf drei Lafetten, drei Fliegersärge. Pilot, Beobachter, Funker. Wir präsentieren das Gewehr, die Trommel rollt, und die Musik spielt das Lied vom guten Kameraden.

      Dann kommt das Kommando: »Zum Gebet!« Wir senken die Köpfe, aber wir beten nicht. Ich weiß, daß bei uns keiner mehr betet. Wir tun nur so. Reine Formalität.

      »Liebe deine Feinde« – das sagt uns nichts mehr. Wir sagen: »Hasse deine Feinde!« Mit der Liebe kommt man in den Himmel, mit dem Haß werden wir weiterkommen -.

      Denn wir brauchen keine himmlische Ewigkeit mehr, seit wirs wissen, daß der einzelne nichts zählt – er wird erst etwas in Reih und Glied.

      Für uns gibt’s nur eine Ewigkeit: das Leben unseres Volkes. Und nur eine himmlische Pflicht: für das Leben unseres Volkes zu sterben. Alles andere ist überlebt.

      Wir treten an. Ausgerichtet, Mann für Mann. Ich bin der neunte von rechts, von den Größten her. Der Größte ist einsachtundachtzig, der Kleinste einssechsundfünfzig, ich einsvierundsiebzig. Gerade richtig, nicht zu groß und nicht zu klein. So äußerlich gesehen, gefall ich mir ja.

      DAS VERWUNSCHENE SCHLOß

      Heute ist Sonntag.

      Da haben wir frei. Von vierzehn bis zweiundzwanzig Uhr. Nur die Bereitschaft bleibt zurück.

      Gestern bekam ich meinen zweiten Stern und heute werde ich zum erstenmal mit zwei Sternen am Kragen ausgehen. Der Frühling ist nah, man hört ihn schon in der Luft. Wir sind zu dritt, zwei Kameraden und ich. Wir haben weiße Handschuhe an und reden über die Weiber. Ich rede am wenigsten, ich denk mir lieber meinen Teil. Die Weiber sind ein notwendiges Übel, das ist bekannt. Man braucht sie zur Sicherstellung einer möglichst großen Zahl kinderreicher, erbgesunder, für das Vaterland rassisch wertvoller Familien. Aber ansonsten stiften sie nur Wirrwarr. Ich könnt darüber manches Lied zum besten geben! Besonders die älteren Jahrgänge und vor allem die ganz Gescheiten. Die laufen dir nach, weil du sportlich ausgebildet bist, und wenn du ihnen zu Gefallen warst, dann werden sie arrogant. Sagen: dummer Junge, grün, naß hinter den Ohren und dergleichen. Oder sie kommen mit dem Seelenleben daher, und dann Werdens ganz unappetitlich. Eine nicht mehr ganz junge Frau hat keine Seele zu haben, sie soll froh sein, wenn man sie anschaut. Sie hat kein Recht, einem hinterher mit Gefühlen, wie zum Beispiel Eifersucht oder sogenannter Mütterlichkeit, zu kommen.

      Die Seele ist im besten Falle ein Vorrecht der jungen Mädchen. Die dürfen sich eine solche Romantik fallweise noch leisten, vorausgesetzt, daß sie hübsch sind. Aber auch die romantischen Hübschen wollen, schon im zartesten Jungmädchenalter, nur einen Kerl mit Geld. Das ist das ganze Problem.

      Ich bewege mich lieber in männlicher Gesellschaft. Mein Kamerad sagt grad, daß sich dereinst vor dreihundert Jahren ein großer Philosoph gefragt hätt, ob die Weiber überhaupt Menschen sind?

      Man könnts schon bezweifeln, das glaub ich gern. Bei dem weiblichen Geschlechte weißt du nie, woran du bist. Da findest du keine Treu und keinen Glauben, immer kommens zu spät, ein Nest voller Lügen und so weiter. Und obendrein sollst du noch auf ihr Inneres eingehen – Denn das verlangen sie.

      Aber das ist keine Betätigung für einen richtigen Mann. Jaja, die Herren Weiber sind ein Kapitel für sich! Sie bringen dich auf die Welt und bringen dich auch wieder um. -

      Die Straßen der inneren Stadt sind leer, denn hier gibt’s nur Geschäfte und hohe Bürohäuser und die haben heute zu. Die Arbeiter der Stirn und der Faust, sie feiern daheim, essen, schlafen, rauchen – heut werdens kaum Ausflüge machen, denn es regnet immer wieder.

      Zwar nur ein bißchen, aber es ist halt unsicher. Still ists in der inneren Stadt, direkt friedlich, als wäre alles ausgestorben. Wir hören uns gehen, jeden Schritt. Es klappert auf dem Asphalt.

      Und ich bemerk es wieder, daß wir uns spiegeln. In den vornehmen Auslagen. Jetzt gehen wir durch ein Korsett. Jetzt durch einen Hummer und einen Schinken so zart. Jetzt durch seidene Strümpfe. Jetzt durch Bücher und dann durch Perlen, Schminken, Puderquasten. Zerreißt sie, zertrampelt sie!

      Es ist fad in der inneren Stadt, und wir gehen zum Hafen hinab. Dort ist nämlich ewig Betrieb. Du kannst es zwar nicht erblicken, das weite Meer, denn dieses beginnt erst weiter draußen, aber herinnen liegen bereits die fremden Schiffe mit den schwarzen und gelben Matrosen.

      Wir gehen die breite Allee zum Hafen hinab. Sie wird immer breiter und lauter. Rechts und links beginnen die Sehenswürdigkeiten – große und kleine Affen, dressiert und undressiert. Schießbuden und Spielautomaten, ein Tanzpalast und die dickste Dame der Welt. Ein Schaf mit fünf Füßen, ein Kalb mit zwei Köpfen – Karussell neben Karussell, Schaukel neben Schaukel und eine bescheidene Achterbahn, direkt bemitleidenswert. Wahrsagerinnen, Feuerfresser, Messerschlucker, saure Gurken und viel Eis. Tierische und menschliche Abnormitäten. Kunst und Sport. Und dort hinten am Ende das verwunschene Schloß. An den ersten Schießbuden gehen wir noch vorbei, aber bei der vierten oder fünften können wir es nicht mehr lassen, es zwingt uns zu schießen. In dieses Schwarze zu treffen ist für uns ein Kinderspiel, und das Fräulein, das unsere Gewehre ladet, lächelt respektvoll.

      Wenn Soldaten schießen, schauen immer viele zu. So auch jetzt. Besonders zwei Fräulein sind dabei, sie lachen bei jedem Schuß, als gelte er ihnen. Dadurch erregen sie unsere Aufmerksamkeit. Mir gefallen sie nicht, aber meine Kameraden fangen mit ihnen an. Ich will ihnen prinzipiell nicht im Wege stehen, so als überflüssiges Rad am Wagen, und überlasse sie ihrem Schicksal.

      Sie gehen tanzen, ich bleib allein zurück. Ich schau ihnen nach. Nein, diese beiden Fräulein könnten mich nicht interessieren. Die eine hat krumme Beine, die andere hat überhaupt keine Beine und wo der Hintern sitzen soll, sitzt nichts. Und die erste hat vorn einen schwarzen Zahn und einen schmutzigen Büstenhalter. Nein, mich stören diese Kleinigkeiten der Liebe, ich bin nämlich sehr anspruchsvoll. Ich betrete das Hippodrom. Dort reiten zwei andere Fräulein und ein Kind. Die Musik spielt, die Peitsche knallt, die alten Pferde laufen im Kreis.

      Das Kind hat Angst, die Fräulein sind sehr bei der Sache. Das Kind verliert seine Matrosenmütze und plärrt, die beiden Fräulein lächeln. Ihre Röcke sind hoch droben und man kann es sehen, daß sie dort nackt sind, wo der Strumpf aufhört. Die könnten mir schon gefallen, besonders die Größere! Aber ein reitendes Fräulein täuscht.

      Denn ein Fräulein hoch zu Roß kann gar leicht gefallen, das ist keine Kunst. Aber wenn sie hernach herunten ist, dann merkt mans erst, was in Wirklichkeit los ist – ich kenn das schon, diese Enttäuschungen!

      Jetzt steigen sie aus dem Sattel, und die Größere gefällt mir noch immer. Aber sie haben schon einen Kavalier. Ein kleines Männchen, eine elende

      Ratte. Die beiden hängen sich in die Ratte und lächeln: »Wir wollen noch reiten – bitte, bitte!« »So oft ihr wollt«, sagt die Ratte. Ich blicke nach der Preistafel. Einmal reiten kostet fünfzig. Und so oft ihr wollt? Viel zu teuer für mich. Aber so treibens halt die feschen Weiber! Lieber eine alte Ratte, die nach Ge ld stinkt, als ein junger durchtrainierter Mann, der außer seiner selbst nur zwei silberne Sterne am Kragen besitzt.

      Da nützen auch die weißen Handschuhe einen großen Dreck. Ich verlasse das Hippodrom und wandle langsam die Buden entlang, ohne ein direktes Ziel. Rechts gibt’s den Mann mit dem Löwenkopf und links die Dame mit dem Bart. Ich bin etwas traurig geworden.

      Die Luft ist lau – ja, das ist der Frühling, und nachts konzertieren die Katzen. Wir hören sie auch in der Kaserne. Der Abend kommt, und am Horizont geht der Tag mit einem lila Gruß. Hinter mir ist es schon Nacht. Und wie ich so weiterwandle, treffe ich einen unangenehmen Gedanken: es fällt mir auf,