Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band. Оноре де Бальзак

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Название Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026813170



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um daran zu sterben. Dem Trinken sollen antike Liebesfeste folgen, Gesänge, die Toten zu erwecken, und dreifache Küsse, endlose flammende Küsse, die wie eine Feuersbrunst über Paris auflodern, so daß die Gatten aus dem Schlaf fahren und in eine rasende Glut geraten, die sie alle verjüngt, selbst die Siebzigjährigen!«

      Gellendes Gelächter aus dem Munde des kleinen Alten tönte dem Wahnwitzigen in die Ohren wie ein Tosen der Hölle und unterbrach ihn so gebieterisch, daß er verstummte.

      »Glauben Sie«, sagte der Händler, »daß mein Fußboden sich plötzlich öffnen wird, um prächtig beladene Tische und Gäste aus der andern Welt heraufzulassen? Nein, nein, junger Hitzkopf. Sie haben den Pakt geschlossen, alles ist gesagt. Von jetzt ab werden Ihre Wünsche peinlich genau erfüllt, aber auf Kosten Ihres Lebens. Der Kreis ihrer Tage, den dieses Leder verkörpert, wird je nach Ausmaß und Zahl Ihrer Wünsche, vom kleinsten bis zum ungeheuerlichsten, immer enger werden. Der Brahmane, dem ich diesen Talisman verdanke, hat mir seinerzeit erklärt, daß eine geheimnisvolle Übereinstimmung zwischen dem Schicksal und den Wünschen des Besitzers eintreten wird. Ihr erster Wunsch ist vulgärer Natur, ich könnte ihn erfüllen, aber ich überlasse dies den Ereignissen Ihrer neuen Existenz. Schließlich und endlich wollten Sie doch sterben? Je nun, Ihr Selbstmord ist nur aufgeschoben.«

      Der Unbekannte, überrascht und nahezu gereizt, von dem sonderbaren Alten, dessen halb menschenfreundliche Absicht ihm mit dieser letzten Spottrede klar erwiesen schien, ständig aufgezogen zu werden, rief:

      »Ich werde ja sehen, Monsieur, ob sich mein Schicksal in der Zeit, in der ich den Quai überschreite, wandeln wird. Aber wenn Sie nicht bloß eines Unglücklichen spotten, wünsche ich, um mich für einen so verhängnisvollen Dienst zu rächen, daß Sie sich in eine Tänzerin verlieben! Sie werden dann das Glück einer Ausschweifung begreifen und vielleicht all die Schätze vergeuden, die Sie so philosophisch angehäuft haben.«

      Er ging hinaus, ohne den tiefen Seufzer zu hören, den der Greis ausstieß, durcheilte die Säle und lief die Treppen hinunter, während der pausbäckige Bursche ihm folgte und ihm vergeblich leuchten wollte. Er jagte jedoch davon wie ein Dieb, der auf frischer Tat ertappt wurde. Von einer Art Wahn wie geblendet, merkte er nicht einmal, wie unglaublich biegsam das Chagrinleder geworden war, das sich geschmeidig wie ein Handschuh in seinen fieberhaft bebenden Händen zusammenrollte, so daß es in seine Rocktasche paßte, wohin er es fast mechanisch steckte. Als er zur Ladentür hinaus auf die Straße stürzte, rannte er gegen drei junge Leute, die Arm in Arm vorübergingen.

      »Rindvieh!«

      »Schwachkopf!« Das waren die liebenswürdigen Redensarten, die sie austauschten.

      »Ah, du bist es, Raphael!«

      »Nun, wir suchten dich!«

      »Was, ihr seid es?« Diese drei Freundschaftsbekundungen folgten unmittelbar auf die Schimpfwörter, als nämlich das Licht einer Laterne, vom Wind aufflackernd, die Gesichter der erstaunten Gruppe beleuchtete.

      »Lieber Freund«, sagte der junge Mann, den er beinahe über den Haufen gerannt hätte, zu Raphael, »du kommst gleich mit uns.«

      »Um was handelt es sich denn?«'

      »Komm nur, ich erzähle dir die Geschichte unterwegs.«

      Raphael mochte wollen oder nicht, seine Freunde umringten ihn, faßten seine Arme, reihten ihn in ihre lustige Schar ein und zogen ihn in Richtung zum Pont-des-Arts mit sich fort.

      »Höre, Lieber«, fuhr der Redner fort, »wir stellen dir seit etwa einer Woche nach. In deinem ehrbaren Hotel Saint-Quentin, auf dessen unveränderlichem Schild, nebenbei gesagt, noch immer wie zu Rousseaus Zeiten die roten und schwarzen Buchstaben prangen, hat uns deine Leonarda gesagt, du seist aufs Land gereist. Und wir sehen doch wahrhaftig nicht nach Geldleuten, Gerichtsboten, Gläubigern, Häschern des Handelsgerichts und dergleichen aus. Gleichviel! Rastignac hatte dich am Abend vorher in den Bouffons gesehen, wir faßten wieder Mut und setzten unsern Stolz darein, zu entdecken, ob du in den Bäumen der Champs-Elysées dein Nest aufgeschlagen hast oder ob du dich für zwei Sous in jenen menschenfreundlichen Häusern einlogiert hast, wo die Bettler auf ausgespannten Gurten schlafen, oder ob du, im glücklicheren Fall, dein Lager vielleicht in irgendeinem Boudoir aufgeschlagen hast. Wir haben dich nirgends gefunden, weder auf den Häftlingslisten von Sainte-Pélagie noch auf denen von La Force. Nachdem die Ministerien, die Oper, die Klöster, Cafés, Bibliotheken, Präfektenlisten, Zeitungsredaktionen, Restaurants, Theaterfoyers, kurz alles, was es in Paris an guten und üblen Orten gibt, auf kundige Art durchforscht worden waren, beklagten wir den Verlust eines Mannes, der genial genug ist, sich sowohl bei Hofe als in den Gefängnissen suchen zu lassen. Schon redeten wir davon, dich wie einen Julihelden heiligsprechen zu lassen. Und meiner Treu, wir trauerten um dich!«

      In diesem Augenblick schritt Raphael mit seinen Freunden über den Pont-des-Arts, und ohne ihre Worte weiter zu beachten, starrte er auf die brausenden Wasser der Seine hinunter, in der die Lichter von Paris widerstrahlten. Über diesem Flusse, in den er sich vor kurzem noch hatte stürzen wollen, wurde die Voraussagung des Alten erfüllt: die Stunde seines Todes war schon vom Schicksal aufgeschoben.

      »Wir betrauerten dich wahrhaftig!« fing sein Freund, der sich nicht beirren ließ, wieder an. »Es handelt sich um ein Unternehmen, in das wir dich als Mann von hervorragenden Fähigkeiten, das heißt als Mann, der sich über alles hinwegzusetzen weiß, einbeziehen. Das Taschenspielerkunststück, den Konstitutionalismus unter dem royalistischen Hute verschwinden zu lassen, wird heute ernsthafter denn je betrieben, mein Lieber. Die vom Heldenmut des Volkes gestürzte schändliche Monarchie war eine Frau von schlechtem Lebenswandel, mit der man scherzen und prassen konnte: aber das Vaterland ist eine tugendhafte, mürrische Gattin: wir müssen wohl oder übel ihre kühlen Zärtlichkeiten hinnehmen. Nun ist aber, wie du weißt, die Macht von den Tuilerien auf die Journalisten übergegangen, wie der Staatshaushalt seinen Sitz vom Faubourg Saint-Germain zur Chaussée-d'Antin verlegt hat. Aber folgendes weißt du vielleicht nicht: Die Regierung, das heißt die Aristokratie der Bankiers und Advokaten, die heutzutage mit dem Vaterlande machen, was ehemals die Priester mit der Monarchie machten, hat es für nötig befunden, das gute Volk der Franzosen mit neuen Worten und alten Ideen, nach Art der Philosophen aller Schulen und der Mächtigen aller Zeiten, hinters Licht zu führen. Es gilt also, uns eine eminent nationale Idee einzutrichtern, indem man uns klarmacht, daß es viel vorteilhafter ist, 1200 Millionen 33 Centimes dem Vaterland in der Person der Messieurs Soundso zu zahlen als 1100 Millionen 9 Centimes einem Könige, der Ich sagte statt Wir. Kurzum, es ist eine Zeitung mit soliden 2-300000 Francs gegründet worden, um eine Opposition zu bilden, die die Unzufriedenen zufriedenstellt, ohne der nationalen Regierung des Bürgerkönigs zu schaden. Und da wir uns aus der Freiheit ebensowenig machen wie aus der Despotie, aus der Religion so wenig wie aus dem Unglauben; da das Vaterland für uns eine Hauptstadt ist, wo man die Gedanken für soundsoviel pro Zeile eintauscht und verkauft, wo jeder Tag üppige Diners, sehenswerte Schauspiele bringt, wo es von liederlichen Dirnen wimmelt, wo die Soupers bis zum nächsten Tage dauern und die Liebe nach der Stunde bezahlt wird wie die Droschken; da Paris immer das anbetungswürdigste aller Vaterländer sein wird, das Vaterland der Freude, der Freiheit, des Geistes, der hübschen Frauen, der schlechten Kerle, des guten Weins, das Vaterland, wo die Zuchtrute der Macht nie allzu fühlbar wird, weil man denen zu nahe ist, die sie schwingen … so haben wir, die wahren Anhänger des Gottes Mephistopheles, es unternommen, den öffentlichen Geist zurechtzuschminken, die Akteure neu zu kostümieren, an der Regierungsbaracke neue Bretter anzuschlagen, den Doktrinären Arznei einzuflößen, die alten Republikaner wieder aufzubacken, die Bonapartisten aufzufrischen und dem Zentrum Proviant zuzuführen, vorausgesetzt, daß es uns erlaubt sei, uns über Könige und Völker ins Fäustchen zu lachen, am Abend anderer Meinung zu sein als am Morgen und ein lustiges Leben à la Panurge zu führen oder more orientali auf weichen Kissen zu liegen. Dir bestimmten wir die Zügel dieses makkaronischen und burlesken Reiches, und so führen wir dich denn geradeswegs zu einem Diner, das der Gründer besagten Journals, ein ehemaliger Bankier, veranstaltet, der nicht weiß, was er mit seinem Golde anfangen soll und es in Geist umwandeln will. Man wird dich dort wie einen Bruder aufnehmen, wir werden dich als den König der mißvergnügten Geister willkommen heißen, die nichts erschreckt, deren Scharfsinn die Absichten Österreichs, Englands oder Rußlands enthüllt, bevor Österreich, England oder Rußland