Название | Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band |
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Автор произведения | Оноре де Бальзак |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026813170 |
Am folgenden Tage zog sich Rastignac sehr elegant an, um Madame de Restaud nachmittags um 3 Uhr seinen Besuch zu machen. Auf dem Weg gab er sich ganz den übertriebenen, tollen Hoffnungen hin, wie sie das Leben junger Menschen so glücklich machen. Sie rechnen dann nicht mehr mit Hindernissen und Gefahren, sehen in allem nur noch den Erfolg und idealisieren ihre Existenz durch das bloße Spiel ihrer Einbildungskraft. Aber ebenso können sie unglücklich und traurig durch das Mißlingen ihrer Projekte werden, die nur durch ihre zügellosen Wünsche geschaffen wurden. Gäbe es ihre Unwissenheit und Furchtsamkeit jedoch nicht, wäre die gesellschaftliche Welt unmöglich.
Eugen legte seinen Weg unter tausend Vorsichtsmaßregeln zurück, um sich nicht schmutzig zu machen. Er dachte an die Dinge, die er Madame de Restaud sagen wollte, er versorgte sich mit geistreichen Bemerkungen, erfand Erwiderungen einer Konversation, die nur in der Einbildung existierte, bereitete Phrasen à la Talleyrand vor und dachte sich günstige Gelegenheiten aus, die die Erklärung ermöglichen sollten, auf der er seine Zukunft aufbaute. Bei diesen Gedanken übersah er, daß er doch einige Spritzer abbekam, und er mußte schließlich am Palais Royal seine Stiefel und Hosen reinigen lassen. »Wenn ich reich wäre«, dachte er, als er das Fünffrancstück wechselte, das er für den Notfall eingesteckt hatte, »so hätte ich einen Wagen nehmen können, um nach Herzenslust nachzudenken.«
Endlich war er in der Rue du Helder und fragte nach Gräfin de Restaud. Mit der Kaltblütigkeit des Mannes, der gewiß ist, eines Tages zu triumphieren, ließ er den verächtlichen Blick der Diener an sich abgleiten, die gesehen hatten, wie er den Hof zu Fuß durchquerte, ohne das Geräusch eines Wagens vor dem Tore zu vernehmen. Die Gesichter der Diener waren deshalb so peinlich, weil seine Unterlegenheit durch ein luxuriöses Kabriolett unterstrichen wurde, vor dem ein glänzend gezäumtes Pferd wieherte. Eines jener Fahrzeuge, die von einem verschwenderischen Leben zeugen und die Gewöhnung an alle Pariser Glückseligkeiten voraussetzen. So geriet er in schlechte Laune. Plötzlich schlössen sich die geöffneten Schubfächer seines Gehirns, in denen er eben noch soviel Geist angetroffen hatte. Während ein Kammerdiener der Gräfin den Besuch ankündigte, trat Eugen an das Fenster des Vorzimmers und sah mechanisch auf den Hof hinaus. Er fand die Zeit sehr lang, und er wäre schon wieder fortgegangen, wenn er nicht jene südliche Zähigkeit in sich gehabt hätte, die Wunder tun kann, wenn sie den geraden Weg verfolgt.
Endlich kam der Kammerdiener zurück: »Madame ist in ihrem Boudoir, sie ist sehr beschäftigt, und ich habe keine Antwort erhalten. Aber wenn Sie, bitte, in den Salon gehen wollen, es ist bereits ein Besucher da.«
In stiller Verwunderung über die furchtbare Macht dieser Menschen, die mit einem bloßen Wort ihre Herren anklagen und verurteilen, öffnete Rastignac die Tür, durch die der Kammerdiener verschwunden war … Damit wollte er dem unverschämten Diener klarmachen, daß er im Hause bereits bekannt war. Aber er geriet in ein Zimmer, in dem nur Lampen, Anrichtetische und ein Apparat zum Wärmen der Badetücher standen und das auf einen dunklen Korridor und eine Hintertreppe führte. Das verstohlene Lachen im Vorzimmer brachte seine Verwirrung auf den Gipfelpunkt.
»Mein Herr, der Salon ist auf der anderen Seite«, sagte der Kammerdiener mit jenem erheuchelten Respekt, der schlimmer ist als offener Hohn.
Eugen machte so hastig kehrt, daß er gegen eine Badewanne stieß. Er konnte gerade noch rechtzeitig seinen Hut auffangen, bevor er ins Wasser fiel. In diesem Moment öffnete sich am anderen Ende des nur durch eine kleine Lampe erhellten Korridors eine Tür. Rastignac hörte gleichzeitig die Stimme der Madame de Restaud, die des Vaters Goriot und das Geräusch eines Kusses. Er durchschritt das Speisezimmer, folgte dem Kammerdiener und betrat einen Salon. Er begab sich an das Fenster, das auf den Hof ging. Er wollte wissen, ob es wirklich Vater Goriot gewesen war. Das Herz schlug ihm seltsam, er dachte an die furchtbaren Bemerkungen Vautrins. Der Kammerdiener wartete an der Salontür auf Eugen. Plötzlich ließ er einen eleganten jungen Mann durch, der ungeduldig sagte:
»Ich gehe also, Maurice. Sagen Sie Frau Gräfin, daß ich mehr als eine halbe Stunde gewartet habe.« Dann summte dieser Unverschämte, der ohne Zweifel ein gewisses Recht zu seinem Benehmen hatte, eine italienische Koloratur und trat an das Fenster, vor dem Eugen wartete. Offenbar wollte er sowohl das Gesicht des Studenten betrachten, als auch den Hof überschauen.
»Herr Graf würden besser tun, noch einen Augenblick zu warten. Madame ist bereit«, sagte Maurice, der ins Vorzimmer zurückkehrte.
In diesem Augenblick durchschritt Vater Goriot den Torweg, nachdem er die Hintertreppe herabgestiegen war. Der Alte war im Begriff, seinen Regenschirm zu öffnen, ohne zu beachten, daß das Tor weit aufstand, um einen ordengeschmückten jungen Mann durchzulassen, der einen Tilbury lenkte. Vater Goriot prallte gerade noch im letzten Moment zurück, um nicht überfahren zu werden. Der Schirm hatte das Pferd scheu gemacht, das mit einem Satz beinahe an der Treppe gestürzt wäre. Der junge Mann wandte sich zornig um, bemerkte den Vater Goriot und warf ihm, bevor er den Hof verließ, einen Gruß zu, der die erzwungene Achtung ausdrückte, die man gegenüber Wucherern an den Tag legt, und über den man später errötet. Vater Goriot erwiderte mit einem freundlichen Kopfnicken. Diese Ereignisse spielten sich mit Blitzesschnelle ab. Eugen, der so aufmerksam zusah, daß er die Anwesenheit des anderen nicht merkte, hörte plötzlich die Stimme der Gräfin.
»Ah, Maxime, Sie wollten schon gehen?« sagte sie vorwurfsvoll und leicht verärgert.
Die Gräfin hatte die Ankunft des Tilburys nicht bemerkt. Rastignac wandte sich hastig um und erblickte die Gräfin, die kokett in einen Morgenrock aus weißem, mit roten Schleifen besetztem Kaschmir gehüllt war. Ihr Haar war lose aufgesteckt, wie es die Pariserinnen gewöhnlich des Morgens tragen. Ohne Zweifel hatte sie ein Bad genommen, und ihre Schönheit, die jetzt ein wenig weicher wirkte, war dadurch um so aufreizender. Ihre Augen schimmerten feucht. Der Blick junger Leute entdeckt alles. Ihre Sinne nehmen die Ausstrahlungen der Frau auf, so wie die Pflanze in der Luft ihre Nahrung findet. Eugen empfand so die Frische ihrer Hände, ohne daß er sie berührt hätte. Er sah durch den Kaschmir den rosigen Schimmer der Haut, die der leicht geöffnete Morgenrock hin und wieder ahnen ließ. Ein einfacher Gürtel genügte, um die biegsame Taille der Gräfin anzudeuten, ihr Hals kam voll zur Geltung, ihre Füße steckten in zierlichen Pantoffeln. Erst als Maxime ihre Hand ergriff, um sie zu küssen, bemerkte ihn Eugen, und auch die Gräfin wurde erst jetzt auf Eugen aufmerksam.
»Ah, Sie sind es, Herr von Rastignac – ich bin sehr erfreut, Sie zu sehen«, sagte sie in einem Ton, den kluge Menschen nicht mißverstehen.
Maxime betrachtete abwechselnd Eugen und die Gräfin mit einem Ausdruck, der den Eindringling verscheuchen sollte. »Meine Liebe, ich hoffe, daß du diesen Burschen hinauswerfen wirst.« Dies war die deutlichste Verdolmetschung der Blicke des hochmütigen jungen Mannes, den die Gräfin Maxime genannt hatte und den sie mit jener Hingebung ansah, die alle Geheimnisse einer Frau verrät, ohne daß sie selbst etwas davon ahnt. Rastignac fühlte einen starken Haß gegen den jungen Menschen in sich aufsteigen. Zunächst belehrten ihn die blonden wohlfrisierten Haare Maximes darüber, wie scheußlich seine eigene Haartracht war. Maxime hatte feine und saubere Schuhe, während die seinigen trotz aller Sorgfalt, die er beim Gehen aufgewandt hatte, leicht beschmutzt waren. Endlich trug Maxime einen Überrock, der seine Figur vorteilhaft zum Ausdruck brachte und ihm einen geradezu weiblichen Scharm verlieh, während er, Eugen, jetzt um zweieinhalb Uhr einen schwarzen Anzug trug. Der kluge Sohn des Südens erkannte die Überlegenheit, die die Kleidung diesem schlanken und eleganten Dandy verlieh, diesem jungen Mann mit dem klaren Blick und dem bleichen Teint, einem dieser Menschen, die fähig sind, ein Waisenkind ins Unglück zu stürzen. Ohne die Antwort Eugens abzuwarten, zog sich Madame Restaud leichtfüßig in den anderen Salon zurück, wobei ihr flatterndes Peignoir sie wie ein Schmetterling erscheinen ließ. Maxime folgte ihr, Eugen folgte wütend Maxime und der Gräfin. Die drei Personen standen sich so am Kamin im Salon gegenüber. Der Student wußte recht gut, daß er dem verhaßten Maxime unerwünscht war, aber er wollte ihm, selbst wenn er Madame de Restaud mißfiele, einen Streich spielen. Plötzlich erinnerte er sich, daß er diesen jungen Mann auf dem Ball der Madame de Beauseant gesehen hatte, und er ahnte, was Maxime für Madame de Restaud bedeutete. Mit dem jugendlichen Mut, der zu so vielen Torheiten und zu so großen Erfolgen führt, sagte er sich: Das ist mein Rivale; ich will über