Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Ihrem Hause nicht bleiben.«

      Er sieht mich sehr verwundert an und entgegnet nach einer Weile: »Was wollen Sie denn beginnen?«

      »Ich muß fortgehen von dieser Stadt.«

      »Und wo werden Sie hingehen?«

      »Das weiß ich nicht.«

      Der gute Mann hat mir mit ruhigen Worten gesagt, daß ich überspannt und wohl krank sein müsse. Was mir geschehen, könne auch anderen geschehen; er wolle mich pflegen lassen, und im Frieden seines Hauses würde ich mich wieder erholen und übers Jahr die Prüfung gewiß mit Glück bestehen.

      Hierauf habe ich meine Absicht, fortzugehen, noch bestimmter dargetan; ich habe es wohl gewußt, die Ursache meines Falles ist die deutsche Rede über die lateinischen Könige gewesen, und in solchen Verhältnissen würde ich eine Hauptprüfung nimmer bestehen. Heinrich hat recht gehabt.

      »Gut, mein eigensinniger Herr«, ist der Bescheid des Edelmannes, »ich entlasse Sie.«

      Bei wem soll ich mich verabschieden? Bei meinem jungen Zögling? Bei der Jungfrau? Herrgott, führe mich nicht in Versuchung! Sie ist noch gar so jung. Sie hat mich freundlich und heiter entlassen. Ein Schlucker geht davon, ein gemachter Mann kehrt wieder zurück. Mehr Trotz als Mut ist in mir gewesen.

      Meine alte Muhme habe ich noch besucht. Jetzund, wie ich nicht mehr im feinen Frack, sondern in einem groben Zwilchrock vor ihr stehe und ihr meinen Entschluß sage, daß ich fortginge, fort, vielleicht zur Rechten, vielleicht zur Linken hin – – da hat nicht viel gefehlt, daß ich wieder die ausdrucksvolle Bezeichnung bekomme. »Nein«, ruft sie, »nein, aber du bist ein – ein – recht absonderlicher Mensch! Da ist er schier ein braver, rechtschaffener Mann gewesen, und jetzt – ach, geh' mir weiter!«

      Sie ist meine einzige Verwandte auf der Welt.

      Zu Heinrich bin ich endlich gegangen: »Ich danke dir zu tausendmal für deine Lieb', du getreuer Freund, wie tut es mir weh, daß ich sie dir nicht lohnen kann. Du weißt, was geschehen ist. Wie du mich hier siehst, so gehe ich davon. Habe ich etwas Bedeutendes vollbracht, so werde ich wiederkehren und dir vergelten.«

      Es ist mir nicht mehr erinnerlich, ob ich ihm von ihr auch noch was gesagt habe. Jung, sehr jung bin ich freilich gewesen, als ich meinen Fuß hab' in die weite Welt gesetzt.

      Heinrich hat mich eine weite Strecke begleitet. Am Scheidewege hat er mich gezwungen, seine Barschaft anzunehmen. Brust an Brust haben wir uns ewige Treue gelobt, dann sind wir geschieden.

      O Heinrich! du goldgetreues Herz, du hast es gut mit mir gehalten. Und wie habe ich es dir gelohnt, mein Heinrich, mein Heinrich!...

       Die Sonne geht von Morgen gegen Abend; sie hat mir meinen Weg gewiesen. »Ade, Welt, ich gehe nach Tirol!« hab' ich gesagt; im Tirolerland tun sich jetzund die Leut' zusammen gegen den Feind. Der Höllenmensch Bonaparte führt die Franzosen ein, will uns das Vaterland zertreten ganz und gar.

      Nach etlichen Tagen steig' ich zu Innsbruck die Burgtreppen hinan. »Mit dem Andreas Hofer will ich reden!« sag' ich zum Torwart.

      »Wer wehrt dir's denn!« sagt der und stößt seinen Spieß auf den Marmelstein, daß es gerade klingt. Ich geh' durch der Zimmer drei oder vier, eines vornehmer wie das andere; große Spiegel an den Wänden, güldene Kronleuchter an den Decken, und gar der Fußboden glänzt, wo nicht bunte Webematten gebreitet sind, wie Glas und Edelholz. Bauernbursche gehen aus und ein, singen, pfeifen, poltern, rauchen Tabak und sind in Alpentracht von den derben Nägelschuhen bis hinauf zu dem spitzen Hahnenfederhut. Letztlich stehe ich in einer großen Stube; sitzen ein paar bäuerliche Männer am Schreibtisch, ein paar andere stehen daneben, laden ihre großen Pfeifen mit Tabak, halten bayerische Geldnoten über eine brennende Kerze und zünden sich damit das Rauchzeug an.

      »Will mit dem Andreas Hofer sprechen«, sage ich. Sollt' warten, heißt's, er tät gerad' regieren. Ich stelle mich an. Allerhand Leute gehen aus und ein. Ein junges Menschenpaar ist mir noch im Kopf, das ist arg verzagt, wie es eintreten soll. »Daß sie uns gerad erwischt haben müssen!« knirscht der Bursche der Maid zu, »desweg sag' ich ja allemal: Nur in keiner Hütten nit!« – »Ach, leider Gottes!« sagt sie, »und jetzt setzen sie uns den Strohkranz auf oder tun uns was anderes an, daß wir uns nimmer haben können. Der Sandwirt ist so viel gestreng.«

      Sie werden vorgerufen. Da höre ich drinnen aufbegehren: »Luderei leid' ich keine! Wer seid's denn?« – »Der und die.« – »Seid's nit etwan blutsverwandt?« – »Ah, das nit.« – »Habt's euch wirklich gern?« – »Freilich wohl.« – »Auf der Stell' z'sammheiraten!«

      Ich habe meiner Tage nicht so viel lustige Gesichter gesehen als die gewesen, womit das junge Menschenpaar jetzund ist heraus und davongelaufen. Die sind arm allzwei, und dennoch' geht's so leicht. Nun komme ich daran.

      Da steht ein Mann in Hemdärmeln mit einem großmächtigen Vollbart auf: »Was willst denn?«

      »Ich will zur Wehr gehen!«

      Der bärtige Mann – es ist der Hofer über und über – schaut mich an, und nicht allzu laut sagt er: »Bist gleichwohl noch recht Jung. Hast Vater und Mutter?«

      »Nimmermehr.«

      »Bist vom Land Tirol?«

      »Nicht, aber gleich von der Nachbarschaft her.«

      »Wohl ein Studiosus? Willst Geistlich werden?«

      »Zur Wehr möcht' ich gehen und fürs Vaterland streiten.«

      Nun greift er in den Ledergurt, zieht Silbergeld heraus, legt's auf den Tisch: »Da Bursche, Gott gesegnet; magst nach Wien gehen und dich beim Karl werben lassen. Bist ein unerfahrener Mensch. Bist auch unser Landsmann nicht.«

      Ich mach' meine Begrüßung und will mich kehren.

      »He da!« ruft er mir nach, schiebt mir das Silbergeld vor.

      »Ich sage meinen Dank. Das Geld brauch' ich nicht.«

      Jetzund, wie ich das gesagt, hebt dem Mann das Aug' an zu glühen: »Das ist wacker, das ist brav«, ruft er. »Kannst schreiben? Brauch' einen Schreiber, der eine gute Schrift und ein gutes Gewissen hat.«

      »Mein Gewissen ist auch für einen Soldaten gut genug«, sage ich finster.

      »He, Seppli!« ruft drauf der Hofer, »weis' dem Mann Messer und Stutzen bei! – Schau, das ist brav!« er preßt mir die Hand, »Arbeit werden wir schon kriegen, selbander.«

      Ich bin Kriegsmann, Tirolerschütz'. Arbeit hat es bald gegeben.

      Die Franzosen und die Bayern und etwan auch die Österreicher hinten haben es nicht gelitten, daß in der Burg zu Innsbruck ein Bauer sollt' König sein. Mit Haufen ist der früher von den Tirolern dreimal geschlagene Feind eingebrochen ins Land. Der Stutzen ist mir besser in die Hand gegangen, als ich vermeint. All Vergangenes hab' ich vergessen, nur meinen Freund Heinrich hätt' ich an der Seit' mögen haben gegen den Feind. Eine welsche Fahne hab' ich genommen, und wie ich die zweit' will holen, haben sie mich ertappt. Drei bärtige Franzosen haben mir wütendem Knaben lachend das Wehrzeug abgenommen... Gefangen haben sie mich dann davongeschleppt, durch das Bayern- und Schwabenland hinein in das Frankenreich.

      Ich mag die Zeit nicht wieder beschreiben. Eine Hundenot ist es gewesen. Eine Hundenot, nicht weil ich drei Jahr' lang gelegen bin in der Gefangenschaft eines fremden Landes, sondern weil ich ein Empörer gegen mein eigen Land. Gegen unseres Kaisers Willen – hat es geheißen – hätten sich die Tiroler erhoben, denn von seiner Hand seien sie den Bayern zugeteilt gewesen. Deutsche Landsleute selber haben es gesagt, und so ist mein Herzensunglück angegangen. – Anstatt ein Heldenwerk hast du eine böse Tat vollführen helfen, Andreas; als Empörer liegst du in Ketten.

      Von einem großen Feldzug nach Rußland und ins Morgenland hinein wird gesprochen. Selbunter werde ich, wie viele andere meiner Landsleute, frei. Viele andere haben der Heimat zugestrebt. Ich weiß von einer Heimat nichts; darf nichts wissen. Blutarme Narren, wie ich einer bin, sind in der Heimat übler daran als anderswo. Und als Empörer, der ich nun bin, kehre ich schon gar nicht