Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Vater gestorben. Er ist schon zwei Jahre krank gewesen. Die Leut' sagen, es ist ein rechtes Glück. Die Muhme-Lies sagt es auch. Jetzt haben sie den Vater schon fortgetragen. Der Leib kommt in die Totenkammer, die Seel' geht durch das Fegefeuer in den Himmel hinauf. Lieber Gott, und da hätt' ich jetzt eine recht schöne Bitt'. Schick meinem Vater einen Engel entgegen, der ihn weist. Für den Engel leg ich mein Patengeld bei; es sind drei Groschen. Mein Vater wird recht eine Freud' haben im Himmel, und führ' ihn gleich zu meiner Mutter. – Ich grüß Dich tausendmal, lieber Gott, den Vater und meine Mutter.

      Andreas Erdmann

      Salzburg, im 1797iger Jahr, am Apostel Simonitag

      Dieser Brief ist zufällig erhalten geblieben, mit ihm hebe ich an. Ich weiß noch den Tag. Ich habe in meiner sehr großen Einfalt die drei Groschen wollen in das Papier legen. Kommt selbunter die Muhme-Lies herbei, liest mit ihren Glasaugen die Schrift und schlägt die Hände zusammen. »Du bist ein dummer Junge!« ruft sie aus, »ein sehr dummer Junge!« Eilends nimmt sie mein Patengeld, läuft davon und erzählt meine Sach' im ganzen Hause, vom Torwartgelaß an bis hinauf zum dritten Stock, wo ein alter Schirmmacher wohnt. Jetzt kommen die Leut' alle miteinander zusammen in unser Zimmer herein, zu sehen, wie ein sehr dummer Junge denn ausschaut.

      Gelacht haben sie, und so lang' haben sie gelacht, bis ich anfang' zu weinen. Jetzund haben sie noch ärger gelacht. Der alte Schirmmacher mit seinem himmelblauen Schurz ist auch da; der hebt die Hand auf und sagt: »Ihr Herrschaften, das ist ein närrisches Lachen; etwan ist er gescheiter als ihr alle miteinand. Geh her zu mir, Büblein; heute ist dein guter Vater gestorben; deine Muhme ist viel zu gescheit und ihr Haus zu klein für dich, du kleinwinziger Bub'. Geh mit mir, ich lehre dich das Regenschirmmachen.«

      Was hat jetzo die Muhme gegreint überlaut! Aber das kann ich mir denken: insgeheim ist es ihr recht gewesen, da ich mit dem Alten die zwei Treppen hinaufgestiegen bin.

      Selbunter, wie mir mein Vater gestorben, werd' ich im siebenten Jahr gewesen sein. Ich weiß nur, daß meine Eltern mit mir bis zu meinem fünften Jahr im Waldland gelebt haben. Im Waldland am See. Felsberge, Wald und Wasser haben die Ortschaft eingefriedet, in der mein Vater Salzwerksbeamter gewesen. Wie die Mutter gestorben, hebt mein Vater an zu kränkeln; hat seine Stelle aufgeben müssen, ist mit mir zu seiner wohlhabenden Schwester in die Stadt gezogen. In einem leichteren Amt hat er wieder arbeiten wollen, um seiner Schwester, die sich stets der Tugend der Sparsamkeit beflissen, Dach und Nahrung redlich erstatten zu können. Aber in der Stadt ist er krank Jahr und Tag; nur daß er mich zur Not das Lesen und Schreiben lehrt, sonst hat er gar nichts getan. Und es ist gekommen, wie ich es im frühern Blatt aufgeschrieben habe.

      Bei dem alten Mann im dritten Stock bin ich mehrere Jahre gewesen. Wie er, so habe auch ich einen himmelblauen Brustschurz getragen. Man erspart dadurch an Gewand. In der ersteren Zeit bin ich mehrmals zur Muhme hinabgegangen auf Besuch; aber sie hat mich fortweg und so lange einen sehr dummen Jungen geheißen, bis ich nicht mehr hinabgegangen bin. Selbunter hat mein Meister einmal das Wort gesagt: »Gib acht, Andreas, daß du nicht so gescheit wirst wie deine Frau Muhme!«

      Wir haben lauter blaue und rote Regenschirme gemacht, haben sie dann in großen Bünden auf Jahrmärkte getragen und verkauft. Einen breiten Schirm haben wir über unsere Ware gespannt, und die Marktbude ist fertig gewesen. Und wenn das Geschäft so gut ist gegangen, daß wir letztlich auch die Bude verkauft, so sind wir allbeide in ein Wirtshaus gegangen und haben uns was gut sein lassen. Ansonsten aber haben wir die Ware in Bünden wieder nach Hause getragen und daheim eine warme Suppe genossen.

      Wie mein Meister über die siebzig Jahre alt ist, wird ihm die Welt nicht mehr recht; hat müssen eine andere haben – ist mir gestorben. Gestorben wie mein Vater.

      Ich bin der Erbe gewesen. Zweithalb Dutzend Schirme sind da; die pack' ich eines Tages auf und trag sie dem Markte zu. Auf demselbigen Markt hab' ich Glück gehabt. Er ist in einem Tal gar weit von der Stadt; Menschen in Überfluß, aber die wenigsten werden sich zur Morgenfrühe gedacht haben, sie gehen auf den Markt, daß sie Regenschirme kauften.

      Kommt zur Mittagszeit jählings ein Wetterregen; wie weggeschwemmt sind die Leute vom Platz, und mit ihnen meine Schirme. Ein alleinziger ist mir noch geblieben für mich selber, daß ich trocken bliebe mitsamt meinem gelösten Geld. Was läuft doch über den Platz ein Mann daher, daß alle Lachen spritzen! Meinen Regenschirm will er kaufen.

      »Hätt' ich selber keinen!« sage ich.

      »Hab' schon manchen Schuster barfuß laufen sehen«, lachte der Mann. »aber hörst, Junge, wir richten uns die Sach' schlau ein. Bist du aus der Stadt?«

      »Ja«, sag' ich, »aber kein Schuster.«

      »Das macht nichts. Ein Wagen ist dahier nicht zu haben; so gehen wir zusammen, Bursche, und benützen den Schirm gemeinsam; letztlich magst ihn behalten oder das Geld dafür haben.«

      Gottesschad' wär's um den feinen Rock, den er anhat, denk' ich, und sag': »So ist es mir recht.«

      Arm in Arm bin ich, der Schirmmacherbursch, mit dem vornehmen Herrn in die Stadt gegangen. Wir haben unterwegs miteinander geplaudert. Er hat es so zu fügen gewußt, daß ich ihm nach und nach all meine Umstände und meine ganze Lebensgeschichte erzählt hab.

      Der Regen hörte auf; die Sonne scheint, ich trage den Schirm noch offen über der Achsel, daß er trocknen mag. Wir kommen zur Stadt, da will ich zurückbleiben – es ist nicht schicksam, daß ich mit einem so feinen Herrn durch die Stadt gehe. Er hat mich aber freundlich eingeladen, nur mit ihm zu kommen. Er hat mich zuletzt mit in sein Haus geführt, hat mir Speise und Trank vorsetzen lassen, hat mich endlich gar gefragt, ob ich nicht bei ihm bleiben wolle, er stehe einer Bücherei vor und benötige in ihr einen Handlanger.

      Was weiß ich unfertiger Mensch mit der Schirmmacherei anzufangen? Ich werde Handlanger in der Bücherei.

      Damalen hab' ich's gut gehabt. Mit meinem Herrn bin ich zufrieden gewesen; der hat mir das Regenschirmdach reichlich erstattet; kein Lüftlein hat mich beleidigt unter seinem Dach. Aber die Handlangerarbeit hat mir nicht vonstatten gehen wollen. Der helle Fürwitz ist's gewesen; mit jedem Buch, das ich zur Hand bekommen, hätt' ich auch gleich Bekanntschaft machen mögen. Allerweile hab ich's mit den Aufschriftblättern und Inhaltsverzeichnissen zu tun gehabt, und ich hab das, was mir insonderheit erfahrungswert geschienen, gar zu lesen angefangen. Auf das Zurechtstellen und Ordnen der Bücher hab' ich vergessen.

      Was sagt mein Herr eines Tages zu mir? – »Bursche, für das Auswendige der Bücher bist du nicht zu brauchen, du mußt in das Inwendige hinein. Mir dünkt es gut, daß ich dich in einer Lehranstalt unterbringe.«

      »Ja freilich, ja freilich – das ist mein heimlich Verlangen.«

      »Es wird gelingen, dich in die dasige GelehrtenschuleHier scheint ein Irrtum obzuwalten; unseres Wissens hat zu jener Zeit in Salzburg keine Gelehrtenschule bestanden. Vielleicht ist der wahre Name der Anstalt absichtlich verhüllt worden. (Der Herausgeber) zu stellen, du wirst rechtschaffen und fleißig sein, wirst Unterstützung finden; es geht rasch aufwärts und, kehr' die Hand, wird's heißen: Herr Doktor Erdmann!«

      Ganz heiß wird mir bei diesen Worten. Nicht gar lange nachher und mir ist noch heißer geworden. Mein Brotherr hat es durchgesetzt; ich bin in die Gelehrtenschule gekommen und schnurgerade mitten hinein in das Innere der Bücher. Aber in der Schule, da werden einem trutz die allerlangweiligsten Bücher in die Hand gegeben; die kurzweiligen sind allesamt verboten. Dinge, die mich auswendig und einwendig gar nichts angegangen, hab' ich müssen in meinen Kopf hineinpressen. Das ist eine Pein gewesen; denn damalen haben mir meine Jahre und Lebensumstände den Kopf schon hübsch vollgepfropft gehabt mit anderen Dingen.

      Eine siebenfältige Speiskarte ist mein Wochenkalender gewesen. Mein Mittagstisch ist gestanden: am Montag bei einem Lehrer; am Dienstag bei einem Freiherrn; am Mittwoch bei einem Kaufmann; am Donnerstag bei einem Schulgenossen, der ein reicher Tuchmacherssohn gewesen und mich zu sich in einen Gasthof geladen hat. Am Freitag hab' ich bei einem alten Obersten gegessen; am Samstag bei sehr armen Leuten in einer Dachstube, denen ich dafür die Kinder im Rechnen unterrichtet; und am Sonntag bin ich bei meinem Schutzherrn gewesen, dem Vorsteher der Bücherei. Auch habe ich von all diesen Menschen