Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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letzte Rindenschüppchen, um etwan die Puppe einer Ameise zu erhaschen. – Dem ist das bestrahlte Kreuz ein Gottesreich; dem ist es ein Tummelplatz seines Strebens und Genießens.

      Unserer Gemeinde möge es das erstere sein!

      Es ist gut, daß kein Mensch weiß, wer den Pfahl im Felsentale gezimmert und aufgestellt hat. Denn niemals sollen sich unter den Anbetenden jene Hände falten, die das Bild der Gottheit geschnitzt haben. Von dem Berge Sinai herab hat Moses die Gesetztafeln geholt, dem Volke als wahres Bild Gottes. Erst als die Israeliten aus ihrem eigenen Geschmeide und mit eigenen Händen ein Bild geformt, ist ein Götzenbild daraus geworden.

      Als wir auf den Fels gestiegen, um den Kreuzpfahl abzulösen, hat der Rüpel sein Gesicht bedeckt mit beiden Händen. »Wir brechen den Altar im Felsenkar!« ruft er in Erregung, »bei wem soll nun im Sturme beten der Baum und das verfolgte Reh am Waldsaum?«

      Mir selbst haben die Hände gezittert, als wir das Kreuz ausheben und auf unsere Schultern nehmen. Ich habe es so getragen, daß der Querbalken an meinem Nacken gelegen wie ein Joch; der Rüpel hat den Stamm nachgeschleppt.

      Und so gehen wir mit der Last hin zwischen den Klötzen und zwischen den Baumrunen. Als wir zu dem Hange kommen, da bricht die Abenddämmerung an.

      Die ganze Nacht sind wir mit dem Kreuze gegangen her durch die Waldungen. In den Schluchten und Engpässen ist es ganz grauenhaft finster gewesen, und an manch alten Stamm hat unser Pfahl gestoßen. Wo der Weg über Höhen geht, da rieselt durch das Geäste das Mondlicht, und wir schreiten hin über die weißen Tafeln und Herzen, die auf dem Boden liegen.

      Mehrmals haben wir das Kreuz auf die Erde gestellt und uns den Schweiß getrocknet; gar wenig haben wir mitsammen gesprochen. Nur einmal hat der Rüpel den Mund aufgetan und folgende Worte gesagt: »Das Kreuz ist schwer und derb; mag's nur tragen, bis ich sterb'. Aber tun sie mich begraben, möcht' ich ein grünes Bäumlein haben, das nicht zusammenbricht auf mein Gebein, das aufwächst gegen Himmel im Sonnenschein!«

      Da ist es bei so einem Ablasten, daß neben uns eine dunkle Gestalt über den Weg huscht. Sie streckt eine Hand aus, deutet auf einen breiten Stein und dann ist sie verschwunden. Wir haben beide diese Erscheinung bemerkt, aber wir haben kein Wort gesagt, und erst, als wir auf der Wiese der Karwässer das Kreuz wieder aufrecht auf die Erde stellen, so daß dessen scharfer Schatten ruhesam über dem tauigen Grasgrunde liegt, sagt der Alte: »Wie in den bitteren Leidestagen der Herr das Kreuz auf den Berg hat getragen, und wie er mit seinen schweren Lasten auf einem Stein hat wollen rasten, da tritt aus dem Haus ein Jud' heraus und sagt: der Stein gehört mein. Und der Herr schwankt weiter in seiner Pein. – Und selbiger Jud kann nicht sterben und ruhen, muß heut' noch wandern von Landen zu Landen, von einem Jahrtausend zum andern, in glühenden Schuhen.« – Dann nach einer kleinen Weile fährt der Rüpel fort: »Und weil in der heutigen Nacht wir mit dem Kreuze gehen, so haben wir gar den Ewigen Juden gesehen. Er hat uns geladen ein zur Ruh' auf den Stein, das wäre gewesen nicht unsere Rast, aber die Ruhe sein.«

      In der Kohlstatt der hinteren Lautergräben haben uns vier Männer aus dem Winkeltale erwartet. Diese nehmen uns das Kreuz ab, legen es auf eine sprossige Bahre und tragen es davon.

      Wie wir herauskommen zu unserem Tale, da bricht der Tag an. Und es klingt und zittert ein Ton durch die Luft, der nicht vergleichbar ist mit Menschengesang und Saitenspiel und aller Musik auf Erden. Schon Jahrelang habe ich diesen Ton nicht gehört, weiß ihn kaum mehr zu deuten. Wir alle stehen still und horchen; es ist die Glocke von unserer neuen Kirche.

      Während wir im Felsentale gewesen, sind die Glocken angekommen und erhöht worden.

      Wie ich an diesem Morgen das Glöcklein gehört, da hab' ich es nicht lassen mögen, habe laut gerufen: »Leute, Jetzt sind wir nimmer allein! Alle Gemeinden draußen läuten zu dieser Stunde; wir haben mit ihnen den gleichen Morgengruß, den gleichen Gedanken. Wir sind nicht mehr stumm, wir haben unsere gemeinsame Zunge auf dem Turm, die in Freude und in Trübsal spricht, was wir empfinden, aber nicht vermögen zu sagen. Und der ewige Gottesgedanke, der überall weht und webt, aber nirgends faßbar und in keinem Bilde und durch kein Wort voll und ganz ausgedrückt werden kann, im klingenden Reife der Glocke allein nimmt er Gestalt an für unsere Sinne und wird faßbar unserem Herzen. Und so bringst du uns, du süßer Glockenklang, trostreiche Botschaft von außen und von innen und von oben!«

      Die Männer haben mich angestaunt, daß ich rede, und was es denn viel zu reden gäbe, wenn Kirchenglocken läuten; das höre man draußen zu Holdenschlag doch alle Tage. Nur der gute Rüpel ist beiseite geeilt und hinter die Erlenbüsche hinauf, auf daß er unbeschadet von meiner heiseren Rede den reinen Glockenton hat hören können.

      Vor der Kirche sind sehr viele Menschen versammelt, um die Glocken zu vernehmen und das Kreuz zu sehen. Jenes Kreuz, das entsprossen ist aus dem Samenkorne, so das Vöglein hat gebracht, welches alle tausend Jahre einmal durch den Wald fliegt.

      Kirchweih 1818

      Sonntag ist!

      Der erste Sonntag in den Winkelwäldern. Die Glocken haben es schon im Morgenrot verkündet, und da sind die Leute herbeigekommen aus dem Hinterwinkel, aus dem Miesenbacheck, von den Lautergräben, von den Karwassern und aus allen Klausen und Höhlen der weiten Wälder. Heute sind sie nicht Holzer oder Kohlenbrenner oder was sie eben sonst sein mögen, heute zum erstenmal schmelzen sie zusammen in eins, in einen Körper und heißen: die Gemeinde.

      Die Kirche ist fertig. Über dem Altartische ragt das Kreuz aus dem Felsentale; es steht hierorts so anspruchslos und schier so stimmungsvoll, wie es dort in der Einsamkeit gestanden. Unter den Leuten werden Äußerungen gehört, das sei das wahrhaftige Kreuz des Heilandes. Wenn sie Trost und Erhebung in diesem Gedanken finden, dann ist es, wie sie sagen.

      Das Gezelt des Heiligsten ist ein Geschenk des Freiherrn; die Kerzenleuchter und das Speisegitter hat der Ehrenwald geschnitzt. Wer doch die zwei schönen Altarfenster mit den Glasmalereien gespendet hat? werde ich gefragt. Es ist gut, daß die Fenster so hoch sind, sonst müßte man es wohl merken, daß über den Glastafeln nur buntes Papier klebt. Die beiden Fenster stellen in einem grünen Dornenkranze mit roten und weißen Rosen die zwei Gesetztafeln Mosis vor. über dem Altare und dem Kreuze ist ein Rundfenster mit dem Auge Gottes und den Worten: »Ich bin der Herr, dein Gott, der dich befreit aus der Knechtschaft. Mache dir kein geschnitztes Bild, um es anzubeten«

      Der Pfarrer von Holdenschlag, der hier gewesen, um die Weihe und den Gottesdienst zu vollziehen, hat mir bedeutet, die Worte paßten nicht. »Du sollst allein an einen Gott glauben!« müsse es heißen. Ich antwortete daß ich die angewendeten Worte in einer sehr alten Bibel gelesen hätte.

      Der Schulmeister von Holdenschlag hat die Orgel gespielt, die einen sehr reinen, ich möchte sagen, innigen Klang hat. »Die Freuden und Schmerzen, die der Mund nicht kann sagen, sie sprudeln aus Musik, wie ein Bronnen in der Sonnen!« sagt der alte Waldsänger.

      Wie ich mich auf der Zither geübt habe, so übe ich mich nunmehr auf der Orgel. Jeder liebliche Ton ist ein Eimer, der niedersteigt in das Herz des Andächtigen und die Seele emporhebt zum Altare Gottes

      Der Pfarrer von Holdenschlag hat eine Predigt gehalten über die Bedeutsamkeit der Kirchweih und der Pfarrkirche und über das Leben des Menschen vom Taufstein bis zum Grabe. Da fällt mir ein, daß wir noch keinen Friedhof haben. Kein Mensch hat daran gedacht oder denken wollen, sooft auch die Rede vom Taufstein gewesen. – Meine ganze Andacht ist weg, und während hernach bei der Messe der Schleier des Weihrauches aufsteigt, habe ich immer daran denken müssen, wohin wir doch den Friedhof legen werden. Und nach dem Hochamte, da alles herausströmt auf den Platz zu den Verkaufsbuden der Hausierer, um die Schätze und Künste zu betrachten, die nun die Welt der neuen Gemeinde im Winkel hereinzusenden beginnt, steige ich den Hang hinan bis zur sanften Hebung, über die sich der finstere Hochwald hinzieht gegen das Gewände. Dort lege ich mich auf die abgefallenen Fichtennadeln des Bodens.

      Ich bin schier abgespannt von den ungewohnten Erregungen des Ereignisses und versuche des Friedhofs wegen, wie sich's hier oben ruhen läßt.

      Vom Platze herauf höre ich das Geschrei der Marktleute und das Gesurre der Menge.

      Vielen