Die schönsten Erzählungen von Guy de Maupassant. Ги де Мопассан

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Название Die schönsten Erzählungen von Guy de Maupassant
Автор произведения Ги де Мопассан
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027206551



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nichts.

      Da hatte ich eine Nacht, ein Vierteljahr nach dem Verbrechen, einen furchtbaren Traum. Es war mir, als sähe ich die Hand, die entsetzliche Hand wie einen Skorpion, wie eine Spinne längs der Vorhänge hinhuschen. Dreimal wachte ich auf, dreimal schlief ich wieder ein, dreimal sah ich dieses entsetzliche Überbleibsel um mein Zimmer herumjagen, indem es die Finger wie Pfoten bewegte.

      Am nächsten Tage brachte man mir die Hand, die man auf dem Kirchhof, wo Sir John Rowell begraben war, da man seine Familie nicht eruiert hatte, auf seinem Grabe gefunden hatte.

      Der Zeigefinger fehlte.

      Das, meine Damen, ist meine Geschichte, mehr weiß ich nicht.

      Die Damen waren bleich geworden, zitterten, und eine von ihnen rief:

      – Aber das ist doch keine Lösung und keine Erklärung, wir können ja garnicht schlafen, wenn Sie uns nicht sagen, was Ihrer Ansicht nach passiert ist.

      Der Beamte lächelte ernst:

      – O meine Damen, ich will Sie gewiß nicht um Ihre schönsten Träume bringen, ich denke ganz einfach, daß der Besitzer dieser Hand gar nicht tot war und daß er einfach gekommen ist, um sie mit der Hand wieder zu holen, die ihm übrig geblieben war; aber ich weiß nicht, wie er das angestellt hat. Das wird eine Art Vendetta sein.

      Eine der Damen flüsterte:

      – Nein, das kann nicht so gewesen sein!

      Und der Untersuchungsrichter schloß immer noch lächelnd:

      – Ich habe es Ihnen doch gesagt, daß meine Erklärung Ihnen nicht passen würde.

      Elternmord

       Inhaltsverzeichnis

      Der Verteidiger hatte auf Geistesgestörtheit plädiert. Wie sollte man sich sonst dieses seltsame Verbrechen erklären?

      Eines Morgens hatte man in Chatou zwei zusammengebundene Leichen gefunden, Mann und Frau, zwei bekannte Persönlichkeiten der guten Gesellschaft, reich, nicht mehr ganz jung, aber erst seit einem Jahr verheiratet, die Frau war jedoch seit drei Jahren Witwe gewesen.

      Man hätte keinen Feind nennen können, den sie gehabt. Ein Raubmord lag offenbar nicht vor, aber es war, als müßten sie über den Uferrand in den Fluß hinab geworfen worden sein, nachdem man sie beide, einen nach dem andern mit einem schweren Eisen erschlagen.

      Die Untersuchung hatte kein Ergebnis; die Schiffer wußten nichts, und die Sache würde eingeschlafen sein, hätte sich nicht ein junger Tischler aus dem benachbarten Dorf Georg Louis, allgemein ›der Bürger‹ geheißen, der Obrigkeit gestellt.

      Auf alle Fragen antwortete er nur:

      – Ich kannte den Herrn seit zwei Jahren, die Frau seit einem halben Jahr. Sie kamen oft zu mir, um alte Möbel reparieren zu lassen, denn ich verstehe mich darauf.

      Und als man ihn fragte:

      – Warum haben Sie sie denn ermordet? – antwortete er beharrlich:

      – Ich habe sie getötet, weil ich sie töten wollte! – Mehr war nicht herauszubekommen.

      Der Mann war offenbar ein natürlicher Sohn, der auf dem Land einer Ziehfrau übergeben und da vernachlässigt worden war. Er hieß nur Georg Louis, aber da er, als er größer wurde, seltsam aufgeweckt war, mit natürlichem Geschmack und allerlei Feinheiten, die seine Kameraden nicht besaßen, nannte man ihn den »Bürger« und gar nicht mehr anders.

      Er war Tischler geworden und galt für einen außerordentlich geschickten Handwerker; er schnitzte sogar in Holz.

      Man hielt ihn für etwas überspannt, Anhänger von kommunistischen, sogar nihilistischen Ideen. Er las viel Hintertreppenromane, und in den Volksversammlungen war er unter Bauern und Arbeitern ein einflußreicher, gewandter Redner.

      Der Verteidiger plaidierte auf Unzurechnungsfähigkeit.

      Wie konnte man in der That annehmen, daß dieser Arbeiter seine besten Kunden ermordet hätte, reiche und gut zahlende, (wie er anerkannte), die ihm seit zwei Jahren für dreitausend Franken Arbeitslohn eingebracht (seine Bücher wiesen es aus).

      Es gab nur eine einzige Erklärung: Geistesgestörtheit, die fixe Idee eines Kranken, der sich an allen Besitzenden, durch die Ermordung von zwei von ihnen, rächen will.

      Und der Verteidiger spielte in geschickter Weise auf den Spitznamen »der Bürger«, an und rief:

      – Ist das nicht eine Ironie, eine Ironie, die wohl im stande ist, den unglücklichen Menschen, der weder Vater noch Mutter hat, verrückt zu machen? Er ist ein glühender Republikaner, was sage ich, er gehört sogar jener politischen Partei an, die einst die Republik standrechtlich erschießen und guillotinieren ließ, und die sie heute mit offenen Armen aufnimmt. Jener Partei, für die Brandstiftung ein Prinzip bedeutet und Mord ein ganz gewöhnliches Mittel zum Zweck.

      Jene traurigen Grundsätze, die jetzt in den Volksversammlungen breitgetreten werden, haben diesen Mann auf dem Gewissen.

      Er hat gehört, wie Republikaner, ja sogar Frauen, jawohl Frauen, Gambettas und des Präsidenten Grévi Blut gefordert haben. Sein kranker Geist ist dem unterlegen, er hat Blut sehen wollen, das Blut der Bürger.

      Meine Herren, Sie müssen nicht ihn anklagen, sondern die Kommune!

      Ein beifälliges Murmeln ward gehört, man fühlte, daß der Verteidiger das Spiel gewonnen. Der Staatsanwalt antwortete nicht. Da stellte der Präsident die übliche Frage:

      – Angeklagter, haben Sie noch etwas zu Ihrer Verteidigung vorzubringen?

      Der Mann erhob sich.

      Er war klein, flachsblond, mit grauen, scharfen, klaren Augen. Seine Stimme klang stark, offen und laut, und bei den ersten Worten schon hatte man von ihm einen anderen Begriff, als man sich zuerst von ihm gemacht.

      Er sprach laut, mit Ausdruck und so deutlich, daß man bis in die letzte Ecke des großen Saales jedes Wort verstand:

      – Herr Präsident! Da ich nicht in ein Irrenhaus kommen mag und die Guillotine vorziehe, werde ich alles gestehen. Ich habe diesen Mann und diese Frau getötet, weil sie meine Eltern waren. Nun hören Sie; und dann verurteilen Sie mich.

      Eine Frau, die ein Kind bekommen hatte, ließ es irgend wohin zu einer Ziehfrau bringen. Hat sie überhaupt gewußt, wohin ihr Mitschuldiger das kleine unschuldige Wesen schleppte, das zu ewigem Elend verurteilt worden, zur Schmach außerehelicher Geburt, ja zu mehr noch, zum Tode, da man sich nicht mehr darum kümmerte und die Ziehfrau, als sie die monatlichen Zahlungen nicht mehr erhielt, es sterben lassen konnte, wie solche Frauen es oft thun, sterben lassen vor Hunger und vor Vernachlässigung.

      Die Frau, zu der mich der Zufall führte, war eine brave Frau, ehrlicher, braver, eine bessere Mutter, als meine Mutter. Sie zog mich groß. Sie that Unrecht, indem sie ihre Pflicht erfüllte. Besser, jene elenden Wesen, die man in die Vororte stößt, wie man Steine hinausfährt, umkommen zu lassen.

      Ich ward groß mit dem unbestimmten Gefühl, daß ein Makel an mir hafte. Die anderen Kinder nannten mich eines Tages einen Bastard; sie wußten nicht, was das hieß, sie hatten es irgend einmal zu Haus gehört, ich wußte es auch nicht, aber ich fühlte es.

      Ich war, das kann ich wohl sagen, eines der fleißigsten Kinder in der Schule und, Herr Präsident, ich wäre auch ein ehrlicher, ein tüchtiger Mann geworden, wenn meine Eltern nicht das Verbrechen begangen hätten, sich nicht um mich zu kümmern.

      Ja, dieses Verbrechen haben sie gegen mich begangen, ich war das Opfer, sie die Schuldigen. Ich konnte mich nicht wehren, sie fühlten kein Mitleid; sie hätten mich lieben müssen: sie verstießen mich.

      Ich verdanke ihnen das Leben, aber ist denn das Leben ein Geschenk? Mein Leben jedenfalls war nur Unglück! Nach ihrer schmachvollen Vernachlässigung war ich ihnen nur noch Rache schuldig.