Gesammelte Werke. George Sand

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke
Автор произведения George Sand
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962816148



Скачать книгу

ge­se­hen; aber er ließ sich durch­aus nicht an den Zwang der Re­gel ket­ten, und wenn er mit ei­nem der Brü­der aus sei­nem Klos­ter ter­mi­nie­ren war und sie einen Esel bei sich führ­ten, wel­cher die Ga­ben der Gläu­bi­gen trug, so ließ er Sack, Esel und Bru­der ge­hen und mach­te sich lan­ge Fe­ri­en im Wal­de.

      Als Al­bert auf Rei­sen ging, ver­fiel Zden­ko in Schwer­mut, hing die Kut­te an den Na­gel und wur­de völ­lig zum Va­ga­bun­den. Sein Trüb­sinn ver­lor sich nach und nach, aber das biss­chen Ver­nunft, was im­mer noch bei ihm durch­ge­blickt hat­te, ging mit ver­lo­ren. Er sprach nur noch un­zu­sam­men­hän­gen­de Din­ge, trieb tau­sen­der­lei un­be­greif­li­che Pos­sen und wur­de wirk­lich un­sin­nig. Da er aber im­mer nüch­tern, ent­halt­sam und durch­aus un­schäd­lich ist, so kann man sa­gen, er ist mehr ge­müts­krank als ver­rückt. Un­se­re Bau­ern nen­nen ihn kurz­weg den »Un­schul­di­gen«.

      – Al­les, was Sie mir von die­sem ar­men Men­schen er­zäh­len, sag­te Con­sue­lo, flö­ßt mir Teil­nah­me für ihn ein; ich möch­te wohl mit ihm re­den; ver­steht er et­was Deutsch?

      – Er ver­steht es, und spricht es auch so gut es gehn will, aber er hasst, wie alle böh­mi­schen Bau­ern, die­se Spra­che; und wenn er so in sei­ne Träu­me­rei­en ver­sun­ken ist, wie jetzt, so ist es sehr zwei­fel­haft, ob er Ih­nen Ant­wort ge­ben wird, wenn Sie ihn fra­gen.

      – Ver­su­chen Sie doch, ihn in sei­ner Spra­che an­zu­re­den, und sei­ne Auf­merk­sam­keit auf uns zu len­ken, sag­te Con­sue­lo.

      Ama­lie rief Zden­ko zu wie­der­hol­ten Ma­len an, und frag­te ihn auf Böh­misch, ob es ihm wohl­ge­he und ob er et­was wün­sche; aber sie konn­te ihn nicht be­we­gen, auch nur sei­nen zur Erde nie­der­ge­bück­ten Kopf auf­zu­rich­ten, oder ein Spiel­chen zu un­ter­bre­chen, das er sich mit drei Stei­nen mach­te, ei­nem wei­ßen, ei­nem ro­ten und ei­nem schwar­zen, in­dem er un­ter Ge­läch­ter mit ei­nem der­sel­ben nach ei­nem der an­de­ren warf und sich sehr freu­te, wenn ei­ner fiel.

      – Sie se­hen, es ist um­sonst, sag­te Ama­lie. Wenn er nicht Hun­ger hat, oder Al­bert sucht, so spricht er nie­mals. Ist ei­nes von Bei­dem der Fall, so kommt er an das Tor, und wenn er nur Hun­ger hat, bleibt er da. Man gibt ihm, was er for­dert, er dankt und geht. Wenn er aber Al­bert se­hen will, tritt er ins Haus, klopft an Al­ber­t’s Tür, die nie­mals für ihn ver­schlos­sen, ist, und bleibt Stun­den lang bei ihm, still und ru­hig wie ein furcht­sa­mes Kind, wenn Al­bert ar­bei­tet, red­se­lig und ver­gnügt, wenn Al­bert Lust hat, ihm zu­zu­hö­ren, nie, wie mir scheint; mei­nem lie­bens­wür­di­gen Cou­sin zur Last und hier­in glück­li­cher als ir­gend ein Mit­glied der Fa­mi­lie.

      – Und wenn nun Graf Al­bert un­sicht­bar wird, wie jetzt zum Bei­spiel, bleibt dann Zden­ko, der ihn so liebt, Zden­ko, der sei­ne Fröh­lich­keit ver­lor, als der Graf auf Rei­sen ging, bleibt sein treues­ter Ge­fähr­te, Zden­ko, dann zu­frie­den? Ver­rät er kei­ner­lei Un­ru­he?

      – Nein! Er sagt, Al­bert be­su­che den großen Gott und wer­de bald wie­der­kom­men. Das sag­te er auch, wäh­rend Al­ber­t’s großer Rei­se, als er sich end­lich dar­ein fand.

      – Und ist Ih­nen noch nicht die Ver­mu­tung ge­kom­men, lie­be Ama­lie, dass Zden­ko wohl bes­sern Grund ha­ben möch­te als Sie und die Ih­ri­gen, sich so si­cher zu füh­len? Dach­ten Sie nie dar­an, ob er nicht viel­leicht im Ge­heim­nis sei, und über Al­bert wäh­rend sei­nes Wahn­sinns oder sei­ner Schlaf­sucht wa­che?

      – Wir dach­ten wohl dar­an, und man hat Zden­ko lan­ge be­ob­ach­tet, aber wie sein Be­schüt­zer Al­bert dul­det er kei­nen Auf­pas­ser, und schlau­er als ein Fuchs, spot­tet er al­ler Be­mü­hun­gen, täuscht alle List und macht alle Beo­b­ach­tun­gen zu Schan­den. Auch er scheint, wie Al­bert, sich un­sicht­bar ma­chen zu kön­nen, so oft es ihm ge­fällt. Er ist manch­mal un­ter den Au­gen de­rer, die Acht auf ihn hat­ten, im Nu ver­schwun­den, als ob er in die Erde ge­sun­ken wäre, oder als ob ihn eine Wol­ke mit un­durch­dring­li­chem Schlei­er um­hüllt hät­te. We­nigs­tens be­haup­ten das un­se­re Leu­te und Tant­chen Wences­la­wa eben­falls, die bei al­ler ih­rer Fröm­mig­keit, nicht viel frei­er denkt, was die Ge­walt des Sa­t­ans an­be­langt.

      – Aber Sie, lie­be Baro­nin! Sie glau­ben doch wohl die­se Ab­ge­schmackt­hei­ten nicht?

      – Ich? ich den­ke dar­über wie On­kel Chris­ti­an. Der On­kel meint, wenn etwa Al­bert bei sei­nen ge­heim­nis­vol­len Lei­den nie­man­den zur Hil­fe und Stüt­ze hat, als die­sen Wahn­sin­ni­gen, so ist es sehr be­denk­lich, ihm die­se zu rau­ben, und man läuft Ge­fahr, wenn man Zden­ko durch Beo­b­ach­ten stört und scheu macht, Al­bert viel­leicht Stun­den oder Tage lang die Pfle­ge und viel­leicht die Nah­rung zu ent­zie­hen, die er von Zden­ko ha­ben mag. Aber, bit­te, las­sen wir das, lie­be Nina! ge­nug und mehr als ge­nug über die­ses Ka­pi­tel! Der Ver­rück­te flö­ßt mir nicht das­sel­be In­ter­es­se ein wie Ih­nen. Ich bin ganz hin von sei­nen Ro­man­zen und von sei­nem Sin­gen, und sei­ne ge­bro­che­ne Stim­me macht mir Übel­keit.

      – Ich wun­de­re mich, sag­te Con­sue­lo, in­dem sie sich von ih­rer Ge­fähr­tin weg­zie­hen ließ, dass die­se Stim­me nicht einen großen Reiz für Sie hat. So ver­zehrt sie ist, macht sie doch einen tiefe­ren Ein­druck auf mich als die Stim­me der größ­ten Sän­ger.

      – Das macht, weil Sie des Schö­nen zu viel ge­habt ha­ben und sich nur noch vom Neu­en rei­zen las­sen.

      – Die Spra­che, in wel­cher er singt, hat eine ei­gen­tüm­li­che Wei­che, ver­setz­te Con­sue­lo, und sei­ne ein­tö­ni­gen Wei­sen sind nicht, was Sie glau­ben: es sind im Ge­gen­teil sehr lieb­li­che und ei­gen­tüm­li­che Ide­en.

      – Für mich nicht, die ich da­von be­la­gert bin, ant­wor­te­te Ama­lie; ich habe mich An­fangs für die Wor­te ein we­nig in­ter­es­siert, denn ich dach­te mit den Leu­ten hier im Lan­de, dass es alte Na­tio­nal­ge­sän­ge von his­to­ri­scher Merk­wür­dig­keit wä­ren; aber da er sie nie zwei­mal auf die näm­li­che Art singt, so bin ich ge­wiss, dass er al­les im­pro­vi­siert, und ich habe mich bald über­zeugt, dass es nicht der Mühe ver­lohn­te, da­nach hin­zu­hö­ren, ob­gleich un­se­re Ge­birgs­be­woh­ner einen sym­bo­li­schen Sinn dar­in zu fin­den su­chen.

      So­bald Con­sue­lo sich von Ama­lie los­ma­chen konn­te, eil­te sie wie­der in den Gar­ten und fand Zden­ko noch an der­sel­ben Stel­le, jen­seit des Gra­bens, und noch in sein Spiel ver­tieft. In der Über­zeu­gung, dass die­ser Un­glück­li­che mit Al­bert in ge­hei­mer Ver­bin­dung ste­he, war sie ver­stoh­len in die Kü­che ge­gan­gen und hat­te einen vom Stifts­fräu­lein ei­gen­hän­dig sehr sorg­sam ge­k­ne­te­ten Fla­den von fei­nem Mehl und Ho­nig weg­ge­nom­men. Sie er­in­ner­te sich be­merkt zu ha­ben, dass Al­bert, der sehr we­nig aß, im­mer me­cha­nisch nach die­sem Back­werk griff, wel­ches sei­ne Tan­te mit be­son­de­rem Fleiß für ihn be­rei­te­te. Sie wi­ckel­te den Fla­den in ein wei­ßes Tuch, und da sie ihn dem Zden­ko zu­wer­fen woll­te, so ver­such­te sie es, die­sen an­zu­ru­fen. Aber da er nicht hö­ren zu wol­len schi­en, so fiel ihr ein, mit wel­cher Leb­haf­tig­keit er ih­ren Na­men ge­nannt hat­te, und sie sprach ihn aus, zu­erst in der deut­schen Über­set­zung. Zden­ko schi­en zu hö­ren, aber er war in die­sem Au­gen­bli­cke schwer­mü­tig, und ohne auf­zu­bli­cken wie­der­hol­te er seuf­zend und den Kopf schüt­telnd: Trost, Trost! als woll­te er sa­gen: ich hof­fe kei­nen mehr.

      –