Название | Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte |
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Автор произведения | Eugenie Marlitt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026841036 |
»Und um meinetwillen erleidest du jetzt einen solchen Verlust?« rief Elisabeth betroffen.
»Es ist kein Verlust, Elisabeth, es ist nur ein Tausch, ein Tausch, bei welchem ich einen unermeßlichen Schatz, der Lebens höchste Glückseligkeit, gewinne.«
Eine Fackel tauchte seitwärts im Dickicht auf.
»Halt, hierher!« rief Herr von Walde.
Einer seiner Diener stand alsbald vor ihm. Er beauftragte denselben, so rasch wie möglich hinauf nach Gnadeck zu eilen und Fräulein Ferbers Zurückkunft anzumelden.
Der Bediente eilte spornstreichs davon.
»Ich bin sehr egoistisch gewesen, Elisabeth;« sagte Herr von Walde, indem er ihren Arm in den seinen legte und nun ungesäumt mit ihr vorwärts schritt. »Ich wußte, daß deine Verwandten in großer Angst und Unruhe um dich sind; Vater und Onkel suchen dich drüben im fürstlichen Waldreviere; meine sämtlichen Leute und die Lindhofer Bauern durchstreifen deinetwegen die Gegend nach allen Richtungen hin, und ich vergaß alles in dem Augenblicke, als ich dich fand.«
»Meine armen Eltern!« seufzte Elisabeth nicht ohne Gewissensbisse; auch für sie war ja die ganze Welt versunken, als er gekommen war, sie zu befreien.
»Friedrich hat flinke Füße,« tröstete Walde, »er wird lange vor uns auf dem Berge sein und die Deinen beruhigen.«
Sie traten in den Park ein und schritten am Schlosse vorüber. Es lag finster und schweigend da. Nur in Helenes Schlafzimmer schimmerte gedämpftes Lampenlicht.
»Dort wird jetzt ein Kampf auf Leben und Tod gekämpft,« murmelte Herr von Walde hinüberblickend. »Sie hat den Elenden wahrhaft fanatisch geliebt; wie furchtbar muß die Erkenntnis sein!«
»Gehe hinauf und tröste sie,« bat Elisabeth.
»Trösten? In solchem Augenblicke? … Kind, mir hätte einer mit Trostgründen kommen sollen, als ich dich zu verlieren glaubte … Helene hat sich eingeschlossen, seit ich den Befehl gegeben habe, man möge Herrn von Hollfelds Pferd vorführen, aber die Kammerfrau ist in ihrer Nähe. Es wird einer längeren Zeit bedürfen, ehe sie mich sucht und meinen Anblick wünscht, denn sie hat sich um jenes Erbärmlichen willen von mir losgerissen; ein Mensch aber, der so schwer getäuscht wurde, kehrt selten augenblicklich zurück zu denen, die ihn gewarnt haben … Uebrigens werde ich heute mein Haus nicht wieder betreten, ohne mich versichert zu haben, daß deine Eltern dich mir nicht entreißen wollen.«
Seitwärts zweigte sich der Weg ab, an welchem die bewußte Gartenbank stand.
»Weißt du noch?« fragte Elisabeth lächelnd und deutete hinüber.
»Ja, ja. Dort sprachst du den kühnen Entschluß aus, als Erzieherin in die weite Welt zu gehen, und ich nahm mir die Freiheit, zu denken, daß ich dies nun und nimmer zugeben würde. Es bedurfte all meiner Selbstbeherrschung, daß ich den kleinen verwegenen Zugvogel nicht sofort in meine Arme nahm und sein goldenes Köpfchen voll trotziger, stolzer Gedanken an meine Brust drückte … Dort entlockte ich dir das unbewußte naive Geständnis, daß deine Eltern noch den ersten Platz in deinem Herzen behaupteten. Aber du nahmst auch eine abweisende, kühle Haltung an, als ich mich unterfangen wollte, vertrauensvoll zu sprechen.«
»Das war Schüchternheit … und ich bin noch nicht sicher, ob ich nicht morgen, wenn ich deine strenge Stirn bei Tagesbeleuchtung sehe, in meine Verzagtheit zurückfalle.«
»Sie wird nicht mehr streng aussehen, mein Kind, das Glück hat sie mit weichem Finger berührt.« –
Bald nachher erlebten die alten Buchen, die über die Waldblöße hinweg in das hellerleuchtete Ferbersche Wohnzimmer sehen konnten, ein seltenes Schauspiel. Ein hoher Mann, dessen Gesicht die Blässe tiefer, innerer Bewegung bedeckte, führte die Tochter den Eltern zu, um sie in demselben Augenblicke zurückzufordern als sein künftiges Weib, sein zweites Ich. Die alten Buchen sahen, wie er die junge Braut in die Arme nahm und so den Segen der erschütterten Eltern empfing, sahen, wie ein unter Thränen lächelndes Muttergesicht dankend zum Himmel aufblickte, und wie der kleine Ernst an Hänschens Käfig rüttelte, um dem verschlafenen Sänger im ›gelben Fracke‹ feierlich zu verkünden, daß die Else merkwürdigerweise Braut sei.
20.
Während im Zwischenbau auf dem alten Gnadeck Glück und Freude einzogen, ereignete sich ein Fall trauriger Art unten im Thale.
Zwei Lindhofer Bauern, die, mit Fackeln versahen, nach Elisabeth suchten, hörten, als sie von ihrem Dorfe her nach dem Walde schritten, vor sich plötzlich ein heftiges Knurren, es klang wie das Knurren eines gereizten Hundes. Nicht weit von ihnen lag eine Gestalt quer über den Weg hingestreckt; ein großer Hund stand daneben und hatte, wie zur Verteidigung, beide Vorderpfoten auf das am Boden liegende Wesen gestellt. Das Tier wurde wütend bei Annäherung der Männer, fletschte die Zähne und machte Miene, auf sie loszuspringen. Sie wagten sich nicht weiter und liefen in das Dorf zurück, wo sich in denselben Augenblicke mehrere Fackelträger zusammenfanden, unter ihnen der Oberförster, der soeben durch Herrn von Waldes Bedienten erfahren hatte, daß Elisabeth gefunden sei.
Sofort eilten alle nach der bezeichneten Stelle. Diesmal knurrte der Hund nicht. Er winselte und kroch schwanzwedelnd bis zu den Füßen des Oberförsters; es war Wolf, sein Hofhund, und dort lag, anscheinend leblos, Bertha. Sie blutete aus einer Kopfwunde, und das Gesicht hatte die Blässe des Todes.
Der Oberförster sagte kein Wort. Er vermied es, den mitleidigen Blicken der Umstehenden zu begegnen; in seinen Zügen kämpften Groll und Schmerz. Er hob Bertha vom Boden auf und trug sie in das letzte Haus des Dorfes; es war das Weberhäuschen. Von dort aus schickte er einen Boten nach Sabine. Zum Glück verweilte der Wahlheimer Arzt noch bei einem Patienten im Dorfe. Er wurde herbeigeholt und brachte die Ohnmächtige sehr bald wieder zu sich. Sie erkannte ihn und verlangte nach einem Trunke Wasser. Ihre Wunde war ungefährlich; aber der Arzt schüttelte den Kopf und warf einen seltsamen Blick auf den Oberförster, der mit besorgter Miene seine Manipulationen verfolgte.
Der Doktor war ein gerader Mann von etwas rauhen, derben Manieren. Er trat plötzlich auf den Oberförster zu und sagte ihm mit nicht sehr unterdrückter Stimme einige Worte.
Wie von einem tödlichen Schusse getroffen, taumelte der alte Mann zurück, starrte den Doktor an wie geistesabwesend, und ohne auch nur eine Silbe zu erwidern, ohne einen Blick auf die Kranke zu werfen, schritt er zur Thür hinaus.
»Onkel, Onkel, verzeihe mir!« schrie das Mädchen mit herzzerreißender Stimme auf, aber er war schon verschwunden in der dunklen Nacht draußen.
Dafür erschien Sabine atemlos auf der Schwelle. Eine Magd folgte ihr und trug ein ungeheures Bündel Bettstücke auf dem Kopfe und einen Handkorb voll Verbandzeug, Erfrischungen und aller möglichen praktischen und nötigen Dinge am Arme.
»Gott im Himmel, was machen Sie für Streiche, Berthchen?« rief die Alte mit Thränen in den Augen, als sie das entfärbte Gesicht mit dem Verbande über der Stirn auf dem Kissen liegen sah. »Und gerade heute mittag,