Erdsegen: Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechtes. Peter Rosegger

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Название Erdsegen: Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechtes
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066111618



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vertreiben ist, beim Gebet, da fährt er ab. — Der häusliche Abendgottesdienst dauert an Werktagen gegen vierzig Minuten, an Feierabenden, sowie auch an Sonn- und Festtagen, nahezu eine Stunde. Mein Sack voll Stadtsünden, den ich hübsch vollgerüttelt mitgebracht — er ist sicherlich verbüßt. Durch das Beten kaum, denn das meinige dürfte beim lieben Gott nicht viel mehr gelten als beim alten Schragerer mein Silberzehner. Durch das Knieen auf dem Brette wohl auch kaum, bei dem der Kerl vierknieig dahockt. Hingegen alles sühnt das heldenmütige Ankämpfen gegen den Lachreiz. Den abscheulichen Lachreiz. Hast du es schon einmal gehört, wie Bauersleute beten? Ernsthaft betrachtet ist an diesem gottwilligen Hinmurmeln und Hindämmern einfältiger Seelen gewiß nichts Komisches enthalten; aber so ein Stadtbengel ist das Ungezogenste, Frivolste und Intoleranteste der ganzen Schöpfung. — Erst nach und nach, o Freund, habe ich das blutende Herz geahnt, womit sie unter gefalteten Händen und geschlossenen Augen beten, diese bekümmerten Menschen.

      Immer einmal geschieht’s wohl auch, daß sie den geistlichen Rat „Bete, und arbeite“ zu gleicher Zeit befolgen. Thut während des Psalters der Hausvater Späne klieben, die Hausmutter kochen, die Barbel spinnen, der Rocherl und der Franzel auf dem Tisch Bohnen säubern, die wir am nächsten Tage zu essen bekommen. Und der zugereiste Knecht? Auf den Waden sitzend wie ein Türke, rodelt er mit und trachtet es zu vertuschen, daß ihm weder das Vaterunser, noch das Avemaria wörtlich bekannt ist. Auch mir hat die Mutter einmal diese Hände gefaltet, als sie noch klein gewesen: „Vaterunser, der du bist im Himmel!“ In der Lehrzeit hat sich der Katechet noch ein paarmal erkundigt nach solchen Dingen, später, bei den Kaiserlichen und bei der „Kontinentalen“ ist keine Nachfrage mehr gewesen.

      Wenn die Unwissenheit ans Licht käme! Einige Rügen hat mir meine Aufführung ohnehin schon eingetragen. Die heillose Ungeschicklichkeit in der Arbeit wird mir jetzt zwar nicht schwer aufgemessen. Aber daß der „Zugereiste“ bei Tisch weder vor noch nach dem Essen ein Kreuz zieht mit dem Daumen über Stirn, Mund und Brust, daß er beim Nockenessen die Gabel mit der linken Hand zum Munde führt, daß er die Einbrennsuppe (den Bauernkaffee) nicht aus der gemeinsamen Schüssel essen will, sondern sie vorerst auf den Teller herausschöpft, daß er Sonntags wie Werktags dasselbe Gewand am Leibe hat, daß er sich täglich mit Seife wäscht und sogar mit einer kleinen Bürste die Zähne scheuert, daß er seinen Bartwust stehen läßt, anstatt sich allsamsttägig säuberlich zu rasieren, und andere Unarten — solcherlei hat mir der Hausvater schon ein paarmal in aller Güte vorgehalten, die Hausmutter mit schärferen Worten verwiesen.

      „Du, Hansel,“ sagte sie vor zwei Tagen, „mit deiner Hoffart wirst du uns noch die Kinder verderben! Wo die jungen Leut’ jetzund eh’ allerhand Dummheiten im Kopf haben! Das schlechte Beispiel da! Ich sag dir’s, Hansel! Sobald mir der Schulbub so ein grausliches Zahnbürstel heimbringt, nachher kannst du dir um einen anderen Platz schauen. Ich leids nit.“

      Was meinst du, wäre diese unwirsche Thatsache nicht etwa bei den „Fliegenden Blättern“ anzubringen? Nein doch, ich will mir die Seelenkonflikte dieses Jahres nicht von der ganzen Welt verlachen lassen. — Und wirklich? Thut’s es nicht auch am Ende ohne? Mein Hausvater scheuert sich des Morgens den Mund mit einem Hanflappen. Das Haar strählt er sich mit den fünf Fingern aus. Als Trinkgefäß am Brunnen benutzt er die aufgebogene Hutkrempe oder die hohle Hand. Sie entbehren nichts, nach ihrer Meinung, sie haben alles. Bis so ein Bauer von Mangel spricht, ist er schon nahe am Verhungern. Und da habe ich mir gedacht, daß der Mensch zweimal bedürfnislos ist, einmal im Naturzustande, das andere Mal auf dem höchsten Grade der Bildung. Was dazwischen liegt — daß Gott erbarm! Jeder Wunsch des Weltkindes gebärt im Augenblicke der Erfüllung sieben neue, und vor lauter Wünschen kommt es zu keinem Genießen.

      In voriger Woche war so Einer da. „Kramerzodl“ nannten sie ihn, aber nicht etwa im Schimpfe, sie meinen damit ganz harmlos das, was bei uns ein kleiner Agent oder ein Hausierer ist. Dieser Mann hatte zwar kein grünes Bündel bei sich, hingegen aber einen illustrierten Preiskonto für allerlei schöne Sachen. Der Hausmutter wollte er ein rotgepolstertes Sofa anbindern. Sie gab zur Antwort, auf der Bäuerei brauche man kein Lotterbett, er solle sich nur selber drauflegen. — Hierauf beklagte sich der strebsame Handelsmann über Mangel an Bildung bei diesen Leuten, kam mit mir in ein Gespräch und behauptete, Bedürfnislosigkeit sei ein Zeichen der Barbarei, je höher die Kultur, desto mehr Bedürfnisse. — Du, Doktor! Wetten möchte ich nicht, daß ein gewisser Hans Trautendorffer selbst einmal ähnliches drucken ließ. Und jetzt wäre ich am liebsten so ungebildet gewesen, den „Kramerzodl“ zur Thür hinauszujagen. Sollte es denn nicht vielmehr die höchste Kultur sein, daß der Mensch genießt, anstatt vermißt? Und er seine Wünsche gerade so einzurichten weiß, daß sie ohne unverhältnismäßigen Aufwand von Kraft und — Seelenfreiheit naturgemäß befriedigt werden können? Wer künstlich Bedürfnisse schafft wie es ein großer Teil unserer Industrie, unseres Handels thut, der schafft Unzufriedenheit. Wer sich von einem ursprünglichen harmlosen Lebensgenießen ablenken läßt und in eine Überfülle moderner Werte gerät, der ist bald ein Übersättigter und Ungesättigter zugleich. Warum dem armen Menschen tausend Fangorgane und tausend Genußherzen anzüchten wollen, wenn zwei Arme zur Arbeit und ein Herz zum Genießen bisher ausgereicht haben! Genüsse, die über den Erwerb zweier Arme oder eines Kopfes hinausgehen, müssen mit sittlichen Gütern bezahlt werden. Der vollkommene Mensch besitzt nichts und genießt alles. Wer auf jedem Holzbalken und Steinboden so gut ruht, wie auf einem Sofa, dem ist die ganze Welt voll Sofas. Wem ein Trunk Wasser an der Quelle so gut schmeckt, wie Johannisberger Auslese, dem sprudelt aus jedem Berge Rheinwein.

      Und so sprichst du? höre ich dich fragen, mein Freund. Ja, so spricht ein Mensch, der nicht in der Üppigkeit sitzt, der harten Mangel leidet unter Leuten, denen in ihrer Art nichts abgeht. Grausam ächze ich manchmal unter den Vorstellungen der mir anerzogenen „Kultur“. Gestern, nach einer schrecklichen Nacht, hatte ich schon mein Bündel geschnürt, um flüchtig zu werden. Als es aber geschnürt war und nur die Schwelle überschritten zu werden brauchte, fiel es mir ein: Schau, wie leicht das geht! Gerade so gut kannst du nach einer Stunde gehen, oder morgen, oder übermorgen! Gezwungen wäre es nicht zu ertragen. Aber im Gefühle der Freiheit! — Das Bündel wurde in den Schrank zurückgeschleudert.

      Unsers Herrgotts Schule! Nein, geschwänzt werden soll sie nicht. Dein

      Hans.

       Inhaltsverzeichnis

      Am siebenten Sonntage.

      Lieber Freund und Philosoph!

      Was treibst du um drei Uhr morgens? Ich vermute, du gehst um diese Zeit von einem Balle heim, oder stoßest in einem Kaffeehause die Billardkugeln hin und wieder. Oder liegst doch schon solide in den Federn und bereitest dich durch das Werk eines großen Denkers und eine wohl abgelegene Cigarre auf ein sanftes Einschlafen vor. — Bei mir im Adamshause macht sich diese späte Abendstunde dadurch bemerkbar, daß mein Dienstherr mit einem Holzscheit an die Kammerwand pocht: Zum Aufstehen ist’s! — Anfangs habe ich dieses Scheit furchtbar tragisch genommen und bin aus dem Stroh gesprungen, als wäre eine Feuersbrunst ausgebrochen. Jetzt lasse ich den guten Adam schon zweimal pochen, gestern sogar ein drittesmal, bis er den Ruf thut: „Hansel! Ich denk, jetzt wär’s nimmer zu früh!“

      Meine Taschenuhr zeigte ein Viertel auf Vier!

      Von der Kälte spricht man hier nicht viel. Das einzige Barometer, von dem man redet, ist die Gicht. Beim frostigen Aufstehen spitzt sich ein lebhaftes Verlangen nach der heißen Einbrennsuppe. Nichts da! Vorher heißt’s auf der Tenne drei Stunden Hafer dreschen. Das Kerzenlicht hängt am Wandnagel und zwinkert sozusagen beständig mit den Augen, wenn unsere Flegel durch die Luft sausen. Zu deinem Unterrichte: Die Tenne ist vollbelegt mit Hafergarben. Unser vier, der Hausvater, die Hausmutter, die Barbel und ich, jedes die Hände mit schafwollenen Fäustlingen bekleidet, hauen rhythmisch wie eine Klopstocksche Ode in Trochäen auf das Gestrohe los, damit dieses die letzten Körner hergiebt und weich wird zum Rinderfraß. Die Erlernung der Kunst, Stroh zu dreschen, hat