Die Technik des Dramas. Gustav Freytag

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Название Die Technik des Dramas
Автор произведения Gustav Freytag
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066113346



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größten historischen Stücken nur die geschichtliche Katastrophe, die letzten Scenen eines wirklichen Menschenlebens verwerthet, und er hat für einen so kleinen historischen Ausschnitt im Wallenstein drei Dramen gebraucht. Möge man dies Beispiel beherzigen. Es ist wahr, Götz von Berlichingen wird immer für ein sehr liebenswerthes Gedicht gehalten werden, weil die Reiteranekdoten, welche mit knappen kurzen Strichen vortrefflich dargestellt sind, den Leser fesseln, aber ein auf der Bühne wirksames Drama ist das Stück nicht, ebensowenig Egmont, obgleich die üble Handlung desselben und die mangelhafte Charakterzeichnung des Helden durch die größere Ausführung eines bewegten Frauencharakters einigermaßen gut gemacht sind.

      Den Deutschen ist die kunstlose Behandlung historischer Stoffe durch die epischen Ueberlieferungen unserer alten Bühne, vor Allem durch Shakespeare nahe gelegt worden. Seine historischen Dramen aus der englischen Geschichte, deren Bau wir, Richard III. ausgenommen, nicht nachahmen sollen, hatten doch eine weit andere Berechtigung. Damals gab es noch keine Geschichtschreibung, wie wir dieselbe fassen, und als der Dichter die einfachen Berichte seiner historischen Quellen zu künstlerischer Gestaltung benutzte, da arbeitete er noch aus dem Vollen und schloß seinem Volke in einer Anzahl von meisterhaften Charakterbildern die nächste Vergangenheit auf. Er selbst aber hat für seine Bühne den großen Fortschritt zu einer geschlossenen Handlung durchgemacht, und gerade ihm verdanken wir, seit er an die italienischen Novellenstoffe kam, das Verständniß, wie unersetzlich die edlen Wirkungen sind, welche eine einheitlich geordnete Handlung hervorbringt. Seine Römerdramen sind, wenn man einige Gewohnheiten seiner Bühne und etwa den dritten Akt von Antonius und Kleopatra abrechnet, Muster eines festen Baues. Wir thun nicht gut, nachzuahmen, was er überwunden hat.

      Unleugbar ist im modernen Drama die Einwirkung des Charakters auf das Gefüge der Handlung stärker, als auf der Bühne des Alterthums. Wie dem Germanen der erste Anreiz zum Schaffen häufig durch Charakterzüge eines historischen Helden kommt, wie die Zeichnung der Charaktere und ihre Darstellung durch unsere Schauspieler mehr Einzelzuthaten und feinere Ausführung erhalten hat, als bei der griechischen Maskentragödie möglich war, so wird auch der Charakter der Helden stärkere Einwirkung auf den Bau der Handlung ausüben. Aber nur dadurch, daß wir mit größerer Freiheit die innerlich zusammenhängende einheitliche Handlung durch Charaktereigenthümlichkeiten der Helden erklären dürfen. Fremd war solche Motivirung auch den Hellenen nicht. Schon in einem der älteren Stücke des Aeschylos, in den Hiketiden, ist der schwankende Charakter des Königs von Argos so stark hervorgehoben, daß man deutlich erkennt, wie der Dichter in dem verlorenen folgenden Stück die Auslieferung der schutzflehenden Danaiden darauf gegründet hat. Und Sophokles ist gerade darin Meister, einen Grundzug seiner Charaktere als bewegendes Motiv vorzustellen, so bei Antigone, Aias, Odysseus. Ja Euripides ist sogar darin den Germanen noch ähnlicher als Sophokles, daß er auch Besonderheiten der Charaktere mit Behagen hervorhebt. Im Ganzen aber war der epische Zwang der Fabel weit mächtiger als bei uns, die Personen wurden in der Regel nach dem Bedürfniß eines allbekannten, bereits fertigen Gewebes der Begebenheiten geformt, so Agamemnon, Klytämnestra, Orestes. Das war dem Griechen ein Vortheil, uns würde es als Beschränkung erscheinen. Bei uns wird der Dichter nicht selten in die Lage kommen, daß sein Held sich eine Handlung sucht, als ein lichtstrahlender Mittelpunkt, der Allem, was an ihn herangezogen wird, Beleuchtung gibt. Wir werden Tieferes und Geheimeres aus seinem Wesen erklären können. Aber wie sehr wir die Handlung nach seinen Bedürfnissen zurichten, sie wird immer nur aus Einzelheiten zusammengefügt sein dürfen, welche einer und derselben Begebenheit angehören, die vom Anfang bis zum Ende des Stückes reicht.

      Unter den Griechen ist für uns Sophokles ein Meister in Handhabung dieser dramatischen Einheit, ganz gewissenlos dagegen Euripides. Wie Shakespeare in seinen ernsten Stücken sich und uns allmählich, gegenüber der Bühne des sechzehnten Jahrhunderts, dies Gesetz aufschloß, ist gesagt. Von den Deutschen hält Lessing die Einheit sehr fest, auch Goethe in der kurzen Handlung des Clavigo und in den spätern Dramen, bei welchen er an die Bühne gedacht hat, in Tasso und Iphigenie. Schiller hat von Kabale und Liebe an dies Gesetz treu beobachtet; ist es ein Zufall, daß er es in seinen letzten Dramen, im Tell und im Demetrius, soweit man über diesen aus den erhaltenen Notizen urtheilen darf, vernachlässigt? Wo er einmal an die Grenze des Erlaubten kam, geschah es nur wegen seiner Freude an Episoden und an Doppelhelden, wie in Carlos, Maria Stuart, Wallenstein.

      Von den Stoffen machen die aus der epischen Sage genommenen nicht schwer, die Einheit der Handlung fest zu halten, aber ihre Handlung verträgt ungern dramatische Ausarbeitung der Charaktere. Die Novellenstoffe bewahren gut die Einheit der Handlung, aber die Charaktere werden leicht durch die verflochtene Handlung zu unfrei umhergeworfen oder durch Situationsschilderungen in der Bewegung gehemmt. Die historischen Stoffe bieten für Charakterzeichnung die schönsten und größten Aufgaben, aber es ist sehr schwer, aus ihnen eine gute Handlung zusammenzufügen.

      Leicht steigert sich dem Dichter das Interesse an den Charakteren der Gegenspieler so hoch, daß auch diesen reichliche Einzelschilderung, eine theilnahmvolle Darlegung ihrer Strebungen und ihrer Kampfstimmung und ein besonderes Schicksal gegönnt wird. Dadurch zunächst entsteht für das Drama eine Doppelhandlung. Oder die Handlung des Stückes mag so beschaffen sein, daß zu ihrer Beleuchtung und Ergänzung eine Nebenhandlung wünschenswerth wird, welche durch Darstellung gleichlaufender oder gegensätzlicher Verhältnisse die Hauptpersonen und ihr Thun und Leiden stärker abhebt. Verschiedene Einseitigkeiten des Stoffes können derartige Ergänzung wünschenswerth machen. Ein Drama soll nicht den ganzen großen Kreis rührender und erschütternder Stimmungen durchlaufen, und es soll von seiner ernsten Grundfarbe aus nicht in alle möglichen andern Farbentöne spielen; aber eine Abwechselung in den Stimmungen und bescheidene Farbengegensätze sind einem Drama ebenso nöthig, wie einem figurenreichen Gemälde neben den Hauptlinien und Gruppen ein abstechender Schwung in den Nebenlinien, gegenüber der Hauptfarbe Verwendung der abhängigen Ergänzungsfarben. Ein vorzugsweise finsterer Stoff macht die Einfügung heller Nebengestalten nöthig. Zu den trotzigen Charakteren der Iphigeneia und des Kreon sind die milderen Gegenbilder Ismene und Hämon erfunden, durch das Eintreten der Tekmessa erhält die Verzweiflung des Aias eine rührende Nebenfarbe, deren zauberischen Reiz wir noch heut empfinden. Der düstere pathetische Othello heischt ein Gegenspiel, in welchem etwas von der unumschränkten Freiheit des Humors sichtbar wird. Die finstere Gestalt Wallensteins und seiner Intriganten fordert gebieterisch die Einfügung des glänzenden Max.

      Wenn aus diesem Grunde schon die Griechen ihre Dramen in einfache und in solche mit Doppelhandlung theilten, so haben die modernen Stücke die Erweiterung des Gegen- oder Nebenspiels zu einer Nebenhandlung noch weniger vermieden. Die Einflechtung derselben in die Haupthandlung geschah allerdings zuweilen auf Kosten der Gesammtwirkung. Die Germanen namentlich, welche immer geneigt sein werden, während der Arbeit auch die Bedeutung der Nebenpersonen mit herzlicher Wärme zu fassen, mögen sich vor einer zu weiten Ausdehnung der Nebenhandlung hüten. Schon Shakespeare hat sich einigemal dadurch die Wirkung des Dramas beeinträchtigt, am auffälligsten im Lear, in welchem die ganze Parallelhandlung des Hauses Gloster, nur lose mit der Haupthandlung verbunden und ohne besondere Liebe behandelt, den Fortschritt aufhält, das Ganze ohne Noth herber macht. Daß dem Dichter in den beiden Dramen Heinrich IV. die Episoden zu einer Nebenhandlung heraufwuchsen, deren unsterblicher Humor die ernsten Wirkungen des Stückes überglänzt, macht diese Dramen allerdings zu Lieblingen des Lesers. Daß aber die Gesammtwirkung auf der Bühne trotz dieses Zaubers nicht die entsprechende Gewalt hat, soll jeder Bewunderer Falstaff's zugeben. Nur nebenbei sei bemerkt, daß in den Komödien Shakespeare's die Doppelhandlung zum Wesen gehört, er suchte seinen Clowns das Episodische zu nehmen, indem er sie mit einer ernstern Handlung verflocht. Die gute Laune, welche aus ihren Scenen strahlt, muß zuweilen Härten des Stoffes verdecken; so muß z. B. die Bürgerwache über das peinliche Geschick der Hero weghelfen. Unter den deutschen Dichtern war Schiller am meisten in Gefahr, durch Doppelhandlungen sich zu stören; das zu mächtige Heraufwachsen der Nebenhandlung beruht im Carlos und in der Maria Stuart darauf, daß seine Wärme für den Gegenspieler zu groß wird, im Wallenstein hat derselbe Grund das Stück bis zur Trilogie erweitert. Im Tell laufen sogar drei Handlungen neben einander.[5]

      Die Handlung hat die Aufgabe, uns den innern Zusammenhang einer Begebenheit darzustellen, wie er den Bedürfnissen des Verstandes und Herzens entspricht; was in dem rohen Stoffe nicht dazu dient, wird der Dichter wegzuwerfen