Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag

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Название Die verlorene Handschrift
Автор произведения Gustav Freytag
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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hatte zuletzt doch um die Geliebte geworben, als sie gerade keinen Strumpf anhatte.

      11.

      Speihahn

      Ueber den feindlichen Häusern war rabenschwarze Nacht, die Welt sah aus wie eine große Kohlengrube, in der die Leuchte erloschen ist. Der Wind fuhr durch die Bäume des Parkes, man hörte ein Rauschen der Blätter, Geknarr der Aeste, ein tiefes, zorniges Brummen in der Luft, aber man sah nichts als einen ungeheuren schwarzen Vorhang, der den Stadtwald verhüllte, und ein schwarzes Zeltdach, das über die Häuser gespannt war. Die Straßen der Stadt waren leer, wer ein freundliches Verhältniß zu seinem Bett hatte, lag längst darin, wer eine Schlafmütze besaß, heut zog er sie über die Ohren. Alles Menschliche barg sich in tiefem Schweigen, auch den Stundenschlag der Thurmglocke zerriß der Sturmwind und führte die einzelnen Töne hierhin und dorthin, so daß Niemand die Schläge der Mitternachtsstunde vollständig zusammenbringen konnte. Nur um das Haus des Herrn Hummel kläffte die wilde Jagd, die Hunde fuhren im Hofe umher, unbeirrt durch Sturm und Finsterniß, und wenn der Wind wie ein Hifthorn zwischen den Häusern blies, bellte die Meute dem Schlafe der Menschen ein greuliches Halali.

      »Den ist heut wohl,« dachte Gabriel in seiner Kammer, »das ist ganz ihr Wetter.« Endlich entschlief auch er und hatte einen Traum, als wenn die beiden Hunde seine Kammerthür aufmachten, sich vor seinem Bett auf zwei Stühle setzten und abwechselnd die Zündhütchen ihrer Taschenpistolen auf ihn abknipsten.

      Er lag noch in unruhigem Schlaf, als es an seine Thür pochte.

      »Stehen Sie auf, Gabriel,« rief die Stimme des alten Schließers aus der Fabrik, »es ist ein Unglück geschehen.«

      »Durch die Hunde?« rief Gabriel, mit beiden Beinen aus dem Bette springend.

      »Es muß Jemand eingebrochen sein,« rief der Mann wieder durch die Thür, »die Hunde liegen auf der Erde.«

      Gabriel fuhr erschrocken in seine Stiefeln und eilte in den Hof, der durch die Morgendämmerung nothdürftig erhellt wurde. Da lagen die zwei armen nächtlichen Geschöpfe auf dem Boden, nur noch ein wenig zappelnd. Gabriel lief zu dem Waarenlager, sah nach Thür und Fenstern, dann untersuchte er das Haus, jeder Laden war geschlossen, nirgend Verstörung zu entdecken. Als er zurückkehrte, stand Herr Hummel vor den Liegenden.

      »Gabriel, hier ist eine Missethat geschehen, den Hunden ist etwas angethan, lassen Sie beide liegen, es muß eine Beweisaufnahme stattfinden, ich schicke zur Polizei.«

      »Ei was,« erwiederte Gabriel, »erst kommt das Erbarmen, dann die Polizei, vielleicht ist den Würmern noch zu helfen.« Er nahm die beiden Thiere, trug sie ans Licht und untersuchte ihren Zustand. »Der Schwarze ist dahin,« sagte er mitleidig, »der Rothe hat noch einigen guten Willen.«

      »Zum Thierarzt, Klaus,« rief Herr Hummel, »und auf der Stelle, er möchte mir den Gefallen thun und sogleich aufstehen, es soll sein Schade nicht sein. Dieser Fall muß ins Tageblatt. Ich verlange Satisfaction vor Stadtverordneten und Rath. – Gabriel,« fuhr er in zorniger Bewegung fort, »sie ermorden die Hunde von Bürgern. Damit fängt die niederträchtige Bosheit an, aber ich bin nicht der Mann, der sich durch Meuchelmörder behandeln läßt, es soll ein Exempel werden, Gabriel.«

      Gabriel streichelte unterdeß das Fell des rothen Hundes, der die Augen wild unter dem zottigen Stirnhaar rollte und kläglich mit den Pfoten schlug.

      Endlich kam der Thierarzt. Er fand die ganze Familie im Hofe versammelt, Frau Hummel, noch im Nachtgewande, trug ihm eine Tasse Kaffe zu, er bedauerte trinkend und begann die Untersuchung. Der Ausspruch des Sachverständigen lautete auf Vergiftung. Die Section ergab genossene Klößchen mit Arsenik, und was Herrn Hummel noch tiefer kränkte, außerdem mit Glassplittern. Der Rothe gewährte bei alledem eine unsichere Hoffnung gerettet zu werden.

      Das wurde der Familie Hummel ein finsterer Morgen. Herr Hummel setzte sich noch vor dem Frühstück an den Schreibtisch und verfaßte eine Anzeige für das Tageblatt, worin er zehn Thaler Belohnung für den Menschenfreund aussetzte, der ihm den tückischen Vergifter seiner Hunde angeben wollte. Die zehn Thaler unterstrich er dreimal mit Klecksen. Dann trat er an sein Fenster und sah grimmig hinüber nach dem Schlupfwinkel seines Gegners und nach dem chinesischen Tempel, der die Veranlassung des neuen Unfriedens geworden war. Und immer wieder wandte er sich zu seiner Frau und brummte auf und abgehend: »Mir ist der Fall nicht zweifelhaft.«

      »Ich begreife dich nicht,« erwiederte die Gattin, welche an dem anstrengenden Morgen zum zweiten Mal ihr Frühstück einnahm, »und ich verstehe nicht, wie du deiner Sache sicher sein kannst. Es ist wahr, in den Leuten ist eine Art, welche uns immer wieder abstößt, und es mag ein Unglück sein, daß wir diese Nachbarschaft haben. Aber du kannst nicht behaupten, daß sie Hunde vergiften. Und ich kann mir nicht denken, daß die Hahn solche Einfälle hat. Ich gebe dir zu, sie ist eine gewöhnliche Frau, und der Doctor sagt, daß es Klößchen waren, was auf eine weibliche Hand schließen läßt. Aber als unser Rother bei den Krammetsvögeln getroffen wurde, die sie in der Küche hatte, hat sie mir den Hund nur mit einer Empfehlung zurückgeschickt, und es wäre nicht schön von ihm, er hätte drei Vögel gefressen. Das war in der Ordnung und ich kann darin keine Mordlust finden. Und er, du lieber Gott, er sieht mir auch nicht aus, als ob er in finsterer Mitternacht sich mit unseren Hunden zu thun machte.«

      »Er ist tückisch,« grollte Herr Hummel, »aber du hast immer deine eigene Meinung von den Leuten gehabt. Er ist scheinheilig gegen mich gewesen von dem ersten Tage, wo er sich vor diesen Fenstern bei seinen Ziegeln aufstellte und mir den Rücken zukehrte. Und ich habe mich immer wieder von euch Weibern bewegen lassen, ihn als Nachbar zu behandeln mit Grüßen und Redensarten; und ich habe stillgeschwiegen, wenn ihr mit der Frau drüben euer Gewäsch getrieben habt.«

      »Unser Gewäsch, Heinrich,« rief die Gattin und setzte ihre Kaffetasse klirrend hin. »Ich muß dich bitten, daß du nicht vergißt, was du mir schuldig bist.«

      »Nun, es war nicht so böse gemeint,« räumte Herr Hummel ein, um den Sturm zu beschwichtigen, den er zur Unzeit heraufbeschworen hatte.

      »Wie es gemeint war, mußt du wissen, ich halte mich an das, was ich höre; es zeigt wenig Gefühl, Hummel, daß du um eines toten Hundes willen deine Gattin und deine Tochter als Waschfrauen behandelst.«

      Diese Auseinandersetzung trug noch mehr widerwärtiges Grau in die Stimmung des Morgens, förderte aber keineswegs die Entdeckung des Verbrechers. Es war vergebens, daß die Hausfrau, um den stöbernden Verdacht des Gatten von der Familie Hahn abzulenken, viele andere Vermuthungen aufstellte und mit Laura’s Hilfe wieder verwarf, gegen die eigenen Arbeiter, gegen den Nachtwächter, und daß sie zuletzt sogar den Markthelfer von drüben als möglichen Missethäter einräumte. Ach, die bürgerliche Stellung der Hunde war so trübselig gewesen, daß die Familie Hummel viel leichter die wenigen Menschen herzählen konnte, welche den Hunden nichts Böses anwünschten, als die vielen, welche Wunsch und Interesse hatten, die Scheusale zum Cocytus wandeln zu sehen. Denn wie Lauffeuer fuhr die Nachricht über die Straße, bei der Obstfrau an der Ecke war heut Versammlung wie auf der Börse, in den Kramläden standen die Leute und besprachen die Unthat, überall mitleidlos, feindselig, schadenfroh. Auch die äußeren Zeichen der Theilnahme, welche die Straße für schicklich hielt, verhüllten schlecht die herrschende Stimmung. Allerdings kamen die Mitfühlenden, zuerst Frau Knips, die Wäscherin, mit wortreicher Entrüstung; dann wagte sich sogar Knips der Jüngere bedauernd in die Nähe des Hauses, der Commis im feindlichen Geschäft, welcher zu den Feinden übergegangen war, aber nicht müde wurde, seinem früheren Lehrherrn gelegentliche Ehrfurcht und Fräulein Laura eine unbequeme Anbetung zu erweisen. Endlich kam ein Komiker der Stadtbühne, der häufig des Sonntags eingeladen wurde und dafür lustige Geschichten erzählte. Aber selbst diese wenigen Getreuen wurden von einzelnen Hausgenossen beargwöhnt. Der Familie Knips mißtraute Gabriel, den Commis verabscheute Laura, und der Komiker, sonst ein willkommener Gast, hatte einige Abende zuvor im Vorbeigehen leichtsinnig gegen einen Begleiter geäußert, daß es verdienstlich sein würde, diese Hunde von der Weltbühne zu entfernen. Heut war dieser unglückliche Einfall der Hausfrau hinterbracht worden, und er lag ihr schwer auf dem Herzen. Fünfzehn Jahre hatte sie gerade dieses Mannes Huldigung mit Wohlgefallen ertragen, viele Freundlichkeit, begeistertes Klatschen im Theater war ihm zu Theil geworden, der Sonntagsbraten und eingesottenen