Название | Die verlorene Handschrift |
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Автор произведения | Gustav Freytag |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
Das Dazwischentreten eines Dritten zwang den Schäfer zu neuer Anklage, deren Schluß war, daß er wieder in auflodernder Hitze das Mädchen anfassen wollte und daß seine Hunde gegen den Doctor heranfuhren. Aber tief empört gebot Fritz: »Sie halten die Hunde zurück und benehmen sich manierlicher, oder ich veranlasse, daß Sie selbst bestraft werden. Hat ein fremdes Thier Ihrer Herde Schaden gethan, so soll eine billige Entschädigung gezahlt werden, ich bin bereit, Ihnen oder dem Besitzer der Schafherde dafür zu bürgen.«
So rief er und hielt Laura fest im Arme, ihr Kopf lag auf seiner Schulter und das rothe Tuch hing über seine Weste bis auf das Herz hinab. »Fassen Sie sich, liebes Fräulein,« bat er herzlich besorgt. Laura erhob ihr Haupt, blickte furchsam auf das Angesicht, welches sich von Menschenliebe und Mitgefühl geröthet über sie beugte und erkannte mit Schrecken ihre Lage. Furchtbares Schicksal! Wieder er, zum dritten Male er, der unvermeidliche Beschützer und Retter! Sie entwand sich ihm und sagte mit schwacher Stimme: »Ich danke Ihnen, Herr Doctor, ich vermag allein zu gehen.«
»Nein, ich verlasse Sie nicht so,« rief Fritz und verhandelte mit dem Schäfer, der unterdeß die beiden Opfer des mörderischen Hundes herzugeholt und als Beweise der verübten Missethat niedergelegt hatte. Fritz griff in seine Tasche, reichte dem Schäfer ein Aufgeld zu der gebotenen Entschädigung, nannte seinen Namen und besprach mit dem Manne, der nach Anblick des Geldes ruhiger wurde, eine Zusammenkunft.
»Bitte geben Sie mir den Arm,« wandte er sich ritterlich zu Laura.
»Ich kann das nicht annehmen,« erwiederte das betäubte Mädchen, der großen Feindschaft eingedenk.
»Es ist nur Menschenpflicht,« begütigte Fritz, »Sie sind zu angegriffen, um allein zu gehen.«
»Dann bitte ich Sie, mich zu meiner Frau Pathe zu geleiten, es ist am nächsten dorthin.«
Fritz nahm ihr das Körbchen ab und las die herausgefallenen Früchte zusammen, darauf führte er sie dem Dorfe zu. »Vor dem Manne hätte ich mich nicht so sehr gefürchtet,« klagte Laura, »aber die schwarzen Thiere waren so furchtbar.« Dabei hielt sie ihren Arm schwebend in dem seinen, denn jetzt, wo der Schrecken verflog, fühlte sie das Peinliche ihrer Lage, ach, mit Gewissensbissen! Denn sie hatte erst heute früh die Reisetoilette des heimkehrenden Doctors unausstehlich gefunden. Nun war allerdings Fritz kein Mann, dessen Unausstehlichkeit lange vorhielt. Er war voll Zartgefühl und Sorge um sie, strebte ihr jede Unebenheit des Weges zu ersparen, streckte im Gehen seinen Fuß aus und stieß kleine Steine weg. Er begann ein gleichgültiges Gespräch über die Frau Pathe, wobei sie erzählen mußte und auf andere Gedanken kommen konnte. Darüber ergab sich, daß er selbst die Pathe recht hochschätzte, ja, sie hatte ihm einst, als er noch Schulknabe war, einen Kirschkuchen geschenkt und er dafür an ihrem Geburtstage ein Gedicht verfertigt. Ueber das Wort Gedicht erstaunte Laura. Also dort drüben konnte man das auch? Allein der Doctor sprach sehr rücksichtslos von den erhebenden Schöpfungen glücklicher Stunden. Und als sie ihn frug: »Sie haben auch gedichtet?« und er lachend erwiederte: »nur für’s Haus, wie Jedermann,« da fühlte sie sich durch seine kalte Nichtachtung der Poesie recht gedrückt. Es war jedenfalls ein Unterschied zwischen Vers und Vers, bei Hahns thaten sie das um Kirschkuchen. Aber gleich darauf tadelte sie sich wegen unziemlicher Gedanken gegen ihren Wohlthäter. Und sie wandte sich freundlich zu ihm und sprach von ihrer Freude über das heutige Eichhorn im Walde. Denn sie hatte früher einmal ein solches Thier von einem Straßenjungen gekauft und ins Freie gesetzt, das Thierchen war zweimal vom Baume wieder auf ihre Schultern gesprungen, sie war endlich mit Thränen weggelaufen, damit das Kleine in seinem Walde bleiben müsse. Und wenn sie jetzt ein Eichhorn sehe, sei ihr immer, als gehöre es ihr zu, und sie täuschte sich gewiß, aber die Eichhörner schienen ihr dieselbe Ansicht zu hegen. Diese Geschichte führte zu der merkwürdigen Entdeckung, daß der Doctor ganz ähnliche Erlebnisse mit einer kleinen Eule gehabt hatte, er machte der Eule nach, wie sie immer mit dem Kopfe nickte, wenn er ihr das Fressen brachte, und dabei sahen seine Brillengläser ganz wie Eulenaugen aus, und Laura konnte das Lachen nicht verbergen.
In diesem Gespräch kamen sie vor der Thür der Pathe an, Fritz entließ Laura’s Arm und wollte sich verabschieden, sie blieb an der Thürschwelle stehen, die Hand am Griffe, und sagte verlegen: »Wollen Sie nicht wenigstens einen Augenblick hereinkommen, da Sie die Frau Pathe kennen?« – »Mit Vergnügen,« erwiederte der Doctor.
Die Pathe saß in ihrer Sommerwohnung, welche etwas kleiner, feuchter und ungemüthlicher war als ihr Quartier in der Stadt. Als aber die Kinder der feindlichen Häuser miteinander eintraten, erst Laura, immer noch bleich und feierlich, und hinter ihr der Doctor, ebenfalls mit sehr ernsthaftem Gesicht, da erstaunte die gute Dame so, daß sie starr auf dem Sopha sitzen blieb und nur die Worte herausbrachte: »Was muß ich erblicken! Ist das möglich, ihr Kinder bei einander?« Dieser Ausruf löste den Zauber, welcher die jungen Seelen für einen Augenblick zusammenband. Laura ging erkältet auf die Pathe zu und erzählte, daß der Herr Doctor zufällig bei ihrem Unfall herbeigekommen; der Doctor aber erklärte, daß er nur das Fräulein ihr sicher habe übergeben wollen; dann erkundigte er sich nach dem Befinden der Pathe und nahm seinen Abschied.
Während die Pathe stärkende Mittel herbeiholte und beschloß, daß Laura unter dem Schutze des Dienstmädchens auf einem anderen Wege heimkehren solle, ging der Doctor mit leichten Schritten nach dem Walde zurück. Seine Stimmung war gänzlich verwandelt, häufig flog ihm ein Lächeln über das Antlitz. Immer wieder mußte er daran zurückdenken, wie fest ihm das Mädchen in dem Arm lag. Er hatte ihre Brust an der seinen gefühlt, ihr Haar hatte seine Wange berührt und er hatte auf den weißen Nacken und die Büste herabgesehen. Der wackere Junge erröthete bei dem Gedanken und beschleunigte seinen Marsch. Darin wenigstens hatte der Professor nicht Unrecht, ein Weib war immerhin noch etwas Anderes als die Summe der Gedanken, welche man über Menschenleben und Weltgeschichte aus ihr zu entwickeln vermochte. Dem Doctor schien allerdings, als ob etwas sehr Anziehendes in wallenden Locken, rothen Bäckchen und einem hübschen Halse liege. Er gab zu, daß diese Entdeckung nicht neu war, aber ihren Werth hatte er bis dahin noch nicht mit solcher Deutlichkeit gefühlt. Und es war so rührend gewesen, wie sie aus der Betäubung zu sich kam, die Augen aufschlug und sich schamhaft aus seinen Armen löste. Auch daß er sie trotzig vertheidigt hatte, erfüllte ihn jetzt mit heiterem Stolze, er blieb auf dem Schlachtfelde stehen und lachte recht herzlich vor sich hin. Dann ging er in demselben Wege, den Laura aus dem Walde gekommen war, er sah auf den Boden, als wenn er die Spuren ihrer kleinen Füße auf dem Kies zu erkennen vermöchte und er fühlte Glanz und Wärme der Luft, den Lockruf der Vögel, das Flattern der Libellen mit ebenso beflügeltem Muth wie kurz vorher seine hübsche Nachbarin. Dabei summte ihm die Erinnerung an den Freund durch den Kopf, behaglich dachte er auch an die Regungen dieses Gemüthes und an die Erschütterungen, welche Thusnelda darin hervorgebracht. Es hatte dem Professor närrisch gestanden, sein Freund war in dem Pathos der aufgehenden Leidenschaft sehr komisch gewesen. Solch schwerflüssiges ernsthaftes Wesen stach seltsam ab gegen die neckischen Angriffe, welche der Zufall auf das Leben der Erdgeborenen macht. Und als auf dem letzten Busch eine von den kleinen Heuschrecken rasselte, deren Geschwirr er in sorgenvoller Zeit oft gehört hatte, sagte er lustig vor sich hin: »auch die muß noch dabei sein, erst die Schafe, dann die Grillen.« Und er begann halblaut ein gewisses altes Lied, worin die Grillen aufgefordert wurden, dahinzufahren und sein Gemüth nicht weiter zu belästigen. So kam er von seinem Spaziergange in recht leichter, weltmännischer Stimmung nach Hause.
»Heinrich,« begann Frau Hummel am Nachmittage feierlich zu ihrem Gatten, »mache dich gefaßt auf eine fatale Geschichte, ich beschwöre dich, bleibe ruhig und vermeide eine Scene, mühe dich, deinen Widerwillen zu bezähmen, und vor allem, achte auch unsere Gefühle.« Und sie erzählte ihm das Unglück.
»Was den Hund betrifft,« versetzte Hummel nachdrücklich, »so ist durchaus noch nicht bewiesen, daß es unser Hund war. Das Zeugniß des Schäfers genügt mir nicht, ich kenne dieses Subject, ich verlange einen unbescholtenen Zeugen. Es laufen jetzt so viele fremde Hunde um die Stadt, daß die allgemeine Sicherheit darunter leidet, und ich habe schon oft gesagt, es ist eine Schande für unsere Polizei. Sollte es aber doch unser Hund gewesen sein, so kann ich kein