Название | Die verlorene Handschrift |
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Автор произведения | Gustav Freytag |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
Endlich hörte sie den schnellen Trab eines Reiters und das Schnauben des ungeduldigen Rosses an dem verschlossenen Thor. »Vater!« rief sie, riß den Riegel zurück und flog an den Hals des Absteigenden. Bestürzt vernahm der Landwirth ihren schnellen Bericht, er warf die Zügel des Pferdes dem Sohne zu und eilte in die Kinderstube, seine Kleinen zu herzen, die beim Anblick des Vaters ihres Unglücks gedachten und weinend neue Wehklage begannen.
Als der Landwirth in den Hof trat, zogen die Gutsleute vor das Haus und der Inspector berichtete: »Niemand war um das Feuer und in der Nähe zu sehen. Am Feuer keine Spur, daß dabei gerastet worden, es war zur Täuschung angezündet, sie haben hier nur stehlen wollen, der größere Theil der Bande ist schon am Abend weitergezogen. Sie liegen irgendwo in den Wäldern versteckt, und wenn die Sonne aufgeht, sind sie längst über die Grenze. Das Gewürm kenne ich aus alter Zeit.«
»Er hat Recht,« sagte der Landwirth zu den Freunden, »und ich meine, wir haben nichts mehr zu fürchten. Doch werden zuverlässige Augen diese Nacht geöffnet bleiben. Ihnen aber dankt ein armer Vater,« fügte er bewegt hinzu, »der letzte Tag, den Sie bei uns verlebten, Herr Doctor, sollte vom Morgen bis zum Abend abenteuerlich sein. Das ist sonst nicht unsere Art.«
»Ich scheide allerdings in Sorge um das, was ich hier zurücklasse,« versetzte der Doctor zwischen Ernst und Scherz. »Daß jetzt gar noch verlorene Kinder Asiens um die alten Mauern schleichen, ist außer Spaß.«
»Des Gesindels sind wir ledig, wie ich hoffe,« fuhr der Landwirth gegen seine Tochter fort, »aber auf einen andern Besuch magst du dich bei Zeiten gefaßt machen, der Landesherr wird in einigen Wochen vor diesem Hause absteigen. Ich bin nur deshalb fortgesprengt worden, um Geschwätz über seinen Besuch zu hören und zu vernehmen, daß noch nicht entschieden sei, wo Serenissimus vor der Jagd das Frühstück einnehmen werde. Diesen Wink kenne ich, es war vor fünfzehn Jahren ebenso. Da hilft nun nichts, zu Rossau im Lindwurm kann er nicht bleiben. Auch diese Störung wird vorübergehen. – Und jetzt uns Allen eine gute Nacht und ein Schlaf in Frieden.«
Die beiden Freunde traten nachdenklich in ihr Schlafzimmer. Der Professor stand am Fenster und horchte auf den Tritt der Wächter, die von außen und innen den Hof umzogen, auf das Zirpen der Grillen und auf die gebrochenen Laute, welche aus der schlummernden Flur in das Ohr drangen. Und wieder hörte er ein Geräusch neben sich und sah in das treue Gesicht seines Freundes, der in seiner Aufregung die Hände gefaltet hatte: »Sie ist fromm,« rief Fritz klagend.
»Sind wir’s nicht auch?« erwiederte der Professor und richtete sich hoch auf.
»Sie ist dem Leben deines Geistes so fremd wie die heilige Elisabeth.«
»Sie hat Verstand,« entgegnete der Professor.
»Sie steht so sicher und abgeschlossen in ihrem Kreise, sie wird in deiner Welt nie heimisch werden.«
»Sie ist tüchtig hier, sie wird es überall sein.«
»Du verblendest dich,« rief Fritz händeringend. »Willst du in den Frieden deiner Tage einen Zwiespalt bringen, dessen Ende du nicht absehen kannst? Willst du ihr selbst die ungeheure Umwandlung zumuthen, welche sie aus einer tüchtigen Wirthin zur Vertrauten deiner rücksichtslosen Forschung machen soll? Darfst du ihr das sichere Selbstgefühl eines kräftigen Lebens rauben und in ihre Zukunft den Kampf, die Unsicherheit, den Zweifel hineintragen? Wenn du nicht an dich und deine Ruhe denkst, so hast du doch die Verpflichtung, ihr Wesen zu ehren.«
Der Professor legte das heiße Haupt an das Holz des Fensters. Endlich fuhr er auf: »Wir aber sollen Diener der Wahrheit sein und ihre Verkünder. Und wenn wir diese Pflicht gegen tausend Fremde üben, gegen Jeden, der uns hören will, wächst nicht Recht und Pflicht da, wo wir lieben?«
»Täusche dich nicht,« antwortete Fritz, »du, der feinfühlende Mann, der jedes Leben in seiner Berechtigung so willig anerkennt, du wärst der Letzte, die Harmonie ihres Wesens zu stören, wenn du sie nicht für dich begehrtest. Was dich treibt, ist nicht Pflichtgefühl, sondern Leidenschaft.«
»Was ich der Fremden nicht zumuthen darf, das ziemt mir an dem Weibe zu thun, das ich für immer mit mir verbinde. Und hat nicht jede Frau, die unserm Leben nahe tritt, ähnliche Wandlung zu erfahren? Wie hoch stellst du das Wissen der Frauen in der Stadt, welche in unseren Kreisen heraufkommen?«
»Was sie wissen, ist in der Regel unsicherer als ihnen und uns gut ist,« versetzte Fritz, »aber von klein auf sind sie gewöhnt, mit Theilnahme die wissenschaftlichen Interessen der Männer zu begleiten. Die besten Resultate des geistigen Schaffens sind ihnen doch so leicht zugänglich, daß sie überall Anknüpfungspunkte für ein herzliches Verständniß finden. Hier aber, wie schön, wie liebenswerth sich unsern Augen dies Leben darstellt, es ist vielleicht gerade darum so anziehend, weil es uns zugleich so fremdartig gegenübersteht.«
»Du übertreibst und wirst unwahr,« rief der Professor. »Gerade in diesen Tagen habe ich tief gefühlt, was wir über den Büchern leicht vergessen, wie groß die Rechte sind, welche eine edle Leidenschaft in unserm Leben hat. Wer kann sagen, was zwei Menschen einander so lieb macht, daß sie sich nicht scheiden können? Es ist nicht nur die Freude am Dasein des Andern, nicht das Bedürfniß der Ergänzung des eigenen Wesens, auch nicht Sinn und Phantasie allein, welche das Fremde uns so innig verbinden. Ist denn nöthig, daß die Frau nur das feinere Rohr wird, welches eine Octave höher immer dieselben Noten tönt, welche der Mann spielt? Die Sprache ist arm für den mächtigen Ausdruck der Freude und Erhebung, welche ich in ihrer Nähe empfinde, und ich kann dir nur sagen, mein Freund, das ist etwas Gutes und Großes, und es fordert in meinem Leben sein Recht. Was aber jetzt aus dir spricht, das ist nur der kalte Zweifler Verstand, der allem Werdenden abhold so lange seine Ansprüche erhebt, bis er durch die vollendete That widerlegt ist.«
»Es ist nicht allein der Verstand,« versetzte Fritz gekränkt. »Daß du meine Rede so verkennst, habe ich nicht verdient. War es anmaßend, daß ich mit dir über Gefühle gesprochen habe, welche dir jetzt für heilig gelten, so darf ich zu meiner Entschuldigung sagen, daß ich nur die Rechte in Anspruch nahm, welche mir deine Freundschaft bis zu dieser Stunde eingeräumt hat. Ich mußte meine Pflicht gegen dich thun, bevor ich dich hier verlasse. Kann ich dich nicht überzeugen, so suche diese Unterredung zu vergessen, ich werde dies Thema nie wieder berühren.«
Er ließ den Professor am Fenster stehn und wandte sich zu seinem Lager. Diesmal zog er die Stiefeln leise aus und legte sich auf sein Bett, den Kopf zu der Wand gekehrt. Nach einer Weile fühlte er seine Hand ergriffen, der Professor saß an seinem Lager und hielt die Hand des Freundes fest, ohne ein Wort zu sprechen. Endlich entzog sie ihm Fritz mit herzlichem Druck und wandte sich wieder zur Wand.
Im ersten Morgengrau stand er auf, trat leise an das Lager des schlummernden Gelehrten und ging still zur Thür hinaus. Im Wohnzimmer erwartete ihn der Hausherr, der Wagen fuhr vor, ein kurzer, freundlicher Abschied und Fritz fuhr davon und ließ seinen Freund allein unter den Grillen des Feldes und unter den Aehren, deren schwere Häupter sich im Morgenwind hoben und senkten, gleich den Wellen des Meeres, in diesem Jahr wie vor tausend und abertausend Jahren.
Der Doctor sah zurück auf den Stein, der das alte Haus trug, auf die Terrasse darunter mit dem Friedhofe und der Holzkirche, und auf den Laubwald, welcher den Fuß der Anhöhe umzog. Und alle Vergangenheit und Gegenwart der gefährlichen Stätte waren ihm deutlich. Das uralte Wesen