Название | Kleine Romane und Novellen |
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Автор произведения | Александр Дюма |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
In dem Augenblicke, wo die Messe begann, brachten die Krankenwärter des Irrenhospitals einen Sarg, den sie mitten in die Kirche stellten; er enthielt die Leiche einer im Laufe des Tages verstorbenen Wahnsinnigen, und der Direktor hatte gemeint, der Toten die Wohltat der Messe angedeihen zu lassen, welche für den gelesen wurde, der zum Tode ging. Außerdem war das für den Priester eine Ersparnis an Zeit und an Mühe, und da diese Einrichtung Jedermann recht war, so erlitt sie nicht die geringste Schwierigkeit. Der Messner zündete zwei Kerzen, die eine an dem Kopfe, die andere an dem Fuße des Sarges an, und der Gottesdienst begann, Pascal hörte ihm voller Andacht zu.
Als er beendigt war, ging der Priester zu ihm hinab, fragte ihn, ob er in besserer Stimmung sei, aber der Verurteilte antwortete ihm, dass trotz der Messe, welche er gehört hätte, trotz der Gebete, mit denen er sie begleitet, seine Gesinnungen des Hasses immer noch dieselben wären. Der Priester meldete ihm, dass er am folgenden Tage um sieben Uhr Morgens zurückkehren würde, um ihn zu fragen, ob eine Nacht der Einsamkeit und der Andacht in einer Kirche und dem Kreuze gegenüber nicht einige Veränderung in seinen Racheplänen hervorgebracht hätte.
Bruno blieb allein. Nun versank er in ein tiefes Sinnen. Sein ganzes Leben zog wieder seit den Jahren der ersten Kindheit, wo man sich zu erinnern beginnt, vor seinen Augen vorüber; erforschte und sann vergebens darüber nach, was er wohl getan haben konnte, um das Schicksal zu verdienen, das seine Jugend erwartete. Er fand nichts, als einen kindlichen und frommen Gehorsam gegen die Eltern, welche der Herr ihm gegeben hatte. Er erinnerte sich dieses zuerst so ruhigen und so glücklichen väterlichen Hauses, das plötzlich, ohne dass er noch die Ursache davon wusste, ein Aufenthalt voller Tränen und Leiden geworden war; er erinnerte sich des Tages, wo sein Vater mit einem Dolche ausgegangen, und voller Blut zurückgekehrt war, er erinnerte sich der Nacht, während welcher der, dem er das Leben verdankte, verhaftet worden war, wie er es jetzt war, in welcher man ihn als Kind in eine Trauerkapelle geführt hatte gleich der, in welcher er jetzt eingeschlossen war, und des Momentes, wo er in dieser Kapelle einen wie er gefesselten Mann fand. Es schien ihm, als ob es ein verhängnisvoller Einfluss, ein launischer Zufall, eine siegreiche Überlegenheit des Bösen über das Gute wäre, welche so Alles in seiner Familie zum Bösen geführt hätten. Nun begriff er nichts mehr von den Verheißungen von Glückseligkeit, welche der Himmel den Menschen macht; er forschte vergebens in seinem Leben nach dem Erscheinen der so sehr gepriesenen Vorsehung, und, indem er dachte, dass ihm vielleicht in diesem feierlichen Augenblicke etwas von diesem ewigen Geheimnisse offenbart werden würde, stürzte er sich mit der Stirn gegen den Boden, und beschwor Gott aus aller Macht seiner Seele, ihm die Lösung dieses schrecklichen Rätsels zu geben, eine Ecke des geheimnisvollen Schleiers zu lüften, und sich ihm wie ein Vater oder wie ein Tyrann zu zeigen. Diese Hoffnung war eitel, Alles blieb stumm, ausgenommen die Stimme seines Herzens, welche dumpf wiederholte: Rache! Rache! Rache! . . .
Nun dachte er, dass der Tod vielleicht beauftragt sei, ihm zu antworten, und dass zu diesem Zwecke der Offenbarung eine Leiche zu ihm gebracht worden wäre, so sehr ist es wahr, dass der geringste Mensch aus seinem eigenen Dasein den Mittelpunkt der Schöpfung macht, glaubt, dass Alles sich an sein Wesen knüpft, und dass seine armselige Person der Pfeiler ist, um den sich das Weltall dreht. Er erhob sich daher wieder langsam, weit finsterer und weit bleicher über seinen Kampf mit seinen Gedanken, als über seinen Kampf mit dem Schafotte, und wandte die Augen nach der Leiche; es war die eine Frau.
Pascal schauderte, ohne zu wissen warum; er suchte die Gesichtszüge10 dieser Frau zu erkennen, aber eine Ecke des Leichentuches war über ihr Gesicht herabgefallen und verschleierte es. Plötzlich erweckte eine instinktmäßige Erinnerung in ihm das Andenken an Theresa, an Theresa, die er seit dem Tage nicht wiedergesehen, an welchem er mit den Menschen und mit Gott gebrochen hatte; Theresa, welche wahnsinnig geworden war, und die seit drei Jahren das Irrenhaus bewohnte, aus welchem dieser Sarg und diese Leiche kamen; an Theresa, seine Verlobte, mit welcher er sich vielleicht an dem Fuße des Altares wiederfand, wohin sie zu führen er so lange gehofft hatte, und wo sie sich nun durch einen bitteren Hohn des Schicksals wieder zusammenfanden, sie gestorben, und er bereit, zu sterben. Ein längerer Zweifel war ihm unerträglich, er schritt auf den Sarg zu, um sich von der Wirklichkeit zu versichern; aber plötzlich fühlte er sich bei der Mitte des Körpers zurückgehalten: das war seine Kette, die nicht lang genug war, dass er die Leiche erreichen konnte, und die ihn an seinen Pfeiler gefesselt zurückhielt, er streckte die Arme nach ihr aus, aber es fehlten einige Fuß, um sie zu erreichen. Er suchte, ob er nicht in dem Bereiche seiner Hand irgend etwas fände, mit dessen Hilfe er diese Ecke von Schleier zurückschlagen könnte, aber er sah nichts, er erschöpfte allen Atem seiner Brust, um dieses Grabtuch zu lüften, aber dieses Grabtuch blieb regungslos wie eine Marmorfalte. Nun wandte er sich mit einer unmöglich zu schildernden Regung innerer Wut um, ergriff seine Kette mit beiden Händen, und versuchte durch einen Ruck, in welchem er alle Kräfte seines Körpers sammelte, sie zu brechen; die Ringe waren fest aneinander genietet, die Kette widerstand. Nun bedeckte der kalte Schweiß ohnmächtiger Wut seine Stirn; er kehrte um, setzte sich an den Fuß eines Pfeilers, ließ seinen Kopf in seine Hände sinken und blieb regungslos, stumm wie die Statue der Mutlosigkeit, und als der Priester am folgenden Morgen zurückkehrte, fand er ihn in derselben Stellung wieder.
Heiter und ruhig, wie es einer Sendung des Friedens und seinem Amte der Versöhnung geziemte, schritt der Mann Gottes auf ihn zu; er glaubte, dass Pascal schliefe, und legte ihm die Hand auf die Schulter; Pascal erbebte und erhob den Kopf.
– Nun denn! mein Sohn, sagte der Priester, sind Sie bereit, zu beichten? ich bin bereit, Sie zu absolvieren . . .
– Ich werde Ihnen sogleich antworten, mein Vater, aber zuvor erweisen Sie mir einen letzten Dienst, sagte Bruno.
– Welchen? Sprechen Sie.
Bruno stand auf, nahm den Priester bei der Hand, und führte ihn nach dem Sarg, dem er sich selbst so weit näherte, als es ihm seine Kette gestattete, indem er ihm hierauf die Leiche zeigte, sagte er zu ihm:
– Mein Vater, wollen Sie die Ecke des Leichentuches aufheben, welche mir das Gesicht dieser Frau verbirgt?
Der Priester erhob die Ecke des Leichentuches; Pascal hatte sich nicht geirrt, diese Frau war Theresa. Er betrachtete sie einen Augenblick mit unendlicher Traurigkeit, hierauf gab er dem Priester einen Wink, das Leichentuch zurückfallen zu lassen. Der Priester gehorchte.
– Nun denn mein Sohn, sagte er zu ihm, hat der Anblick dieser Frau Ihnen fromme Gedanken eingeflößt?
– Diese Frau und ich, mein Vater, antwortete Bruno, waren geboren, um glücklich und unschuldig zu sein, Sie hat sie meineidig, und mich zum Mörder gemacht; Sie hat uns, diese Frau auf dem Wege des Wahnsinnes, und mich auf dem der Verzweiflung an das Grab geführt, in das wir beide heute hinabsteigen werden . . . Möge Gott ihr verzeihen, wenn er es kann; aber ich, ich verzeihe ihr nicht! In diesem Augenblicke traten die Wachen ein, welche Pascal zu holen kamen, um ihn nach dem Schafott zu führen.
XII
Der Himmel war prachtvoll, die Luft klar und durchsichtig; Palermo erwachte wie zu einem Feste; man hatte den Schulen und den Seminarien Ferien gegeben, und die ganze Bevölkerung schien in der Straße Toledo versammelt, durch welche der Verurteilte in ihrer ganzen Länge kommen musste, um sich von der Kirche des heiligen Franz von Sales, in welcher er die Nacht zugebracht hatte, nach dem Marineplatz zu begeben, wo die Hinrichtung stattfinden sollte. Die Fenster der ersten Stockwerke waren mit Frauen besetzt, welche die Neugierde zu einer Stunde aus ihrem Bette gelockt, zu welcher sie gewöhnlich noch schlummerten; man sah gleich Schatten in ihren vergitterten Galerien11 sich die Nonnen der verschiedenen Klöster von Palermo und seiner Umgebung bewegen, und auf den platten Dächern der Stadt wogte gleich einem Kornfelde die dichtgedrängte Bevölkerung. An der Tür der Kirche fand der Verurteilte
10
In Italien stellt man die Tobten mit entblößtem Antlitze aus; erst in dem Augenblicke, wo man die Leiche in die Erde hinabsenkt, nagelt man den Deckel des Sarges zu.
11
In Palermo, wo die Nonnen sich nicht unter die weltlichen Feste mischen können, nehmen sie indessen mit den Augen daran Teil. Jedes ein wenig reiche Kloster hat gewöhnlich einen ersten Stock auf der Straße Toledo gemietet; von diesen vergitterten Fenstern aus, wohin sie sich auf unterirdischen Gängen begeben, die zuweilen eine Viertelstunde lang sind, und die das Kloster mit dem gemieteten Haus in Verbindung sehen, sehen die frommen Klausnerinnen den heiligen und profanen Festen zu.