Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte. Marie von Ebner-Eschenbach

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Название Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte
Автор произведения Marie von Ebner-Eschenbach
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
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aber die Wege seiner Dummheit habe ich noch nicht erforscht … Alter! die Vermessungen hat der Kaiser vornehmen lassen, weil er wissen will, wie groß sein Galizien ist, und wie viel Steuern es ihm zahlen kann.“

      Ungläubig wackelte der Greis mit dem Kopfe:

      „Das wissen wir besser, verzeih. Der Kaiser nimmt den Herren, die gegen ihn sind, das Land und schenkt es den Bauern, die für ihn sind. Dann wird es gut sein, glauben die meisten … Ich glaube, daß es schlecht sein wird. Jeden Tag wird Sonntag sein, und was tun die Bauern am Sonntag, als raufen und sich betrinken?.. O, mein gnädiger Herr, könnt man's doch verhüten.“

      „Sei du ganz ruhig, das wird gewiß verhütet werden,“ entgegnete Rosenzweig und lachte wieder.

      Da wurde der Alte plötzlich aufgebracht:

      „Wenn du gestern abend im Wirtshaus gewesen wärest und den Kommissär hättest predigen gehört, du würdest nicht lachen.“

      „Den Kommissär? Den Emissär, willst du wohl sagen! Ein Emissär, wie sie jetzt zu Dutzenden herumziehen.“

      „Nein, nein, kein solcher. Einer, der einmal ein Herr war und jetzt sagt, daß es keine Herren mehr geben soll. Er weiß so gut, was für Zeiten kommen werden, daß er lieber gleich von selbst ein Bauer geworden ist und hat alles verschenkt.“

      Diese Worte erweckten Nathanaels ganze Aufmerksamkeit und erhoben es ihm zur Überzeugung, daß der Alte von demselben Manne sprach, den der Kreishauptmann den Sendboten genannt, und vor dem er selbst eben erst Aug in Auge gestanden hatte.

      Derselbe! er war es – er gewiß, der Rätselhafte, dessen Lebensgeschichte die Vernünftigen einander mit Hohn und Spott erzählten, die Furchtsamen mit Haß, die Phantasten mit Begeisterung, es war – Eduard Dembowski.

      Oft hatte er sagen gehört, daß von diesem Menschen ein Zauber ausgehe, dem sich niemand zu entziehen vermöge, und dieser geheimnisvollen Einwirkung den größten Unglauben entgegengebracht, und nun gestand er sich, daß er doch etwas ihr Ähnliches erfahre.

      Ja! der bleiche Schwärmer schritt wie ein Gespenst neben ihm her. Ja! sein Bild verfolgte ihn mit unleidlicher Hartnäckigkeit. Vergeblich suchte er seine Gedanken von ihm abzulenken, immer wieder tauchte es auf und trotzte dem Willen, es zu verscheuchen.

      Das Gefährt des Doktors stand schon seit geraumer Weile auf der Straße. Eine bequeme Britzschka, bespannt mit einem Paar kugelrunder Falbenstuten, in zierlichen Krakauergeschirren, mit glockenbehangenen Kummeten. Der Kutscher war ein schlanker Bursche im saubern, einfach verschnürten Leibrock, und das Ganze bildete eine hübsche Equipage, um die so mancher Edelmann den Doktor beneidete.

      Dieser klopfte den Falben die starken Hälse und legte ihnen die Zöpflein der schwarzen, eingeflochtenen Mähnen zurecht. Schon war er im Begriff, in den Wagen zu steigen, da wandte er sich zu dem Alten am Fuße des Kreuzes zurück:

      „Du! wie heißt du?“

      „Semen Plachta, Herr.“

      „Hör an, Semen! Krieche heim und sage deinem Schwiegersohn, daß Doktor Rosenzweig morgen kommen wird, dich zu besuchen. Er soll dich zu Hause lassen. Verstehst du mich? Wenn ich komme und dich nicht zu Hause finde, werde ich dafür sorgen, daß dein Schwiegersohn noch vor der allgemeinen Verteilung als erste Abschlagzahlung auf das Künftige eine Tracht Prügel erhält.“ Rosenzweig hatte seine Brieftasche gezogen und ihr eine Fünfguldenbanknote entnommen. Sein Gesicht wurde sehr ernst, während er sie betrachtete. Ein kurzes Zögern noch – dann reichte er sie dem Greise hin.

      „Das aber gehört dir. Ich will morgen hören, ob das Geld für dich verwendet worden ist.“

      Semen streckte die Hand nach dem fabelhaften Reichtum aus; – zu sprechen, zu danken vermochte er nicht. Auch der Kutscher auf dem Bocke blieb starr, riß die Augen auf, ließ vor Erstaunen beinah die Zügel fallen. Was sollte das heißen, um Gottes willen? Sein Herr verschenkte fünf Gulden an einen Straßenbettler?!

      „Herr,“ sagte er, als der Doktor in den Wagen stieg, „du hast ihm fünf Gulden gegeben. Hast du dich nicht geirrt?“

      „Schweig und fahr zu!“ befahl Rosenzweig, und die Peitsche knallte, und die Falben griffen aus.

      Bald kam auf der weiten Ebene das Doktorhaus in Sicht. Es stand jetzt nicht mehr so allein da wie ein Grenzstein; sehr nette Stallungen und Schuppen erhoben sich hufeisenförmig im Hintergrund, und eine wohlgepflegte Baumschule füllte den Raum zwischen den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden.

      Die letzteren waren wirklich nach einem Plane des Chamers, dem der Architekt seine Sanktion gegeben hatte, ausgeführt worden und gut ausgefallen, das mußte man gelten lassen.

      Ob Rosenzweig zu seinem Daheim zurückkehrte aus dem Gehöft eines Schlachziz, aus dem Hause eines Grundherrn oder aus dem Schlosse eines Magnaten – sein geliebtes Besitztum begrüßte er stets mit der gleichen Freude. „Den andern das ihre, das meine mir!“ – Aufrichtig gesagt, getauscht hätte er, wenn auch noch so gewinnreich, mit keinem. Er hatte ja nie ein lebendes Wesen (seine Großmutter ausgenommen) so geliebt, wie er sein kleines Gut liebte. Und wie es da so schmuck vor ihm lag, das langsam und mühsam Erworbene, die Verkörperung seiner Kraft und Tüchtigkeit, ein so wahrhaft zu Recht bestehendes Eigentum, wie es wenige gab, da ballten sich seine Fäuste, und er vollzog einen imaginären Totschlag an dem imaginären ersten, der es wagen würde, ihm seinen Besitz anzutasten.

      Am Abend noch besuchte er den Kreishauptmann und berichtete ihm Wort für Wort sein Gespräch mit Semen Plachta.

      Der Beamte ließ sich in eine ausführliche Erörterung der kommunistischen Umtriebe im Lande ein; die eigentlichen Absichten ihres Urhebers jedoch, das Wesen des seltsamen Mannes überhaupt, wußte er nicht zu erklären, so genaue Kenntnis er auch von dessen ganzem Lebenslaufe besaß.

      Der Sendbote, der das Land rastlos durchpilgerte und in den Palästen und den Hütten das Evangelium der Gleichberechtigung aller Menschen und der Gleichteilung allen Grund und Bodens verkündete, gehörte, als Sohn des Senatorkastellans von Polen und Herrn der Herrschaft Rudy im Warschauer Gouvernement, dem hohen Adel an. Auch er war wie seine Standesgenossen aufgewachsen und erzogen worden im Bewußtsein überkommener Rechte, ererbter Macht und der Pflicht, sie zu wahren und sie auszuüben.

      Kaum jedoch in ihren Besitz gelangt, hatte er sich ihrer freiwillig entäußert. Die Erträgnisse seiner Güter flossen in die Bettelsäcke der Güterlosen oder wurden zu Revolutionszwecken verwendet. Er aber zog umher und warb Jünger für seine Lehre und fand ihrer in den Reihen seiner eigenen Standesgenossen. An die eindrucksfähigen Herzen der Jugend wandte er sich, und je reiner und unschuldiger diese Herzen waren, desto feuriger erglühten sie in Verehrung für ihn, und in Sehnsucht, seinem opfermutigen Beispiel zu folgen. Boten des Sendboten tauchten auf im Königreiche Polen, im westlichen Rußland, in Posen, in Galizien. Die Worte ihres Abgottes auf den Lippen, riefen sie dem Adel zu: – Wirf deine Reichtümer und deine zu lang genossenen Vorrechte von dir. Vorrecht ist Unrecht. Und dem Volke: – Kommt, ihr Armen! Nehmt euern Anteil an dem Boden, den seit Jahrhunderten euer Schweiß, und wie oft! auch euer Blut gedüngt hat. – Zu allen aber sprachen sie: Erhebt euch, schüttelt das Joch der Fremden ab! Wir wollen ein Reich gründen, darin es weder Überfluß noch Armut, nicht Herrschaft noch Knechtschaft gibt, das Reich – das Christus gepredigt hat.

      Der geistige Leiter dieser Missionen hatte sich inzwischen an dem gegen Rußland geplanten und fast im Augenblick des Losbruchs gescheiterten Aufstande des Jahres 1843 beteiligt. Als Flüchtling entkam er nach Posen, wurde dort binnen kurzem wegen Verbreitung kommunistischer Grundsätze zur Rechenschaft gezogen, in Haft genommen, endlich verbannt. Er begab sich nach Brüssel, wo Lelewel die Verirrungen seiner allzuheißen Freiheits- und Vaterlandsliebe in den Qualen bittersten Heimwehs verbüßte. Der Umgang mit diesem „Großmeister der Revolutionäre“ steigerte die Begeisterung Dembowskis zum Fanatismus. Was seine Seele fortan erfüllte, war nicht mehr Mitleid allein mit den Elenden und Armen, es war auch Haß gegen die Starken und Reichen, hießen sie nun die Beherrscher der Teilungsmächte oder die Inhaber der polnischen Zentralgewalt in Paris und Usurpatoren des Königreichs, das sie wiederherstellen wollten.

      Der Apostel der Nächstenliebe kehrte als ein politischer Agitator nach der Heimat