Название | Anna Karenina, 2. Band |
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Автор произведения | Лев Толстой |
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Год выпуска | 0 |
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Michail Wasiljewitsch Sljudin, war ein einfacher, verständiger, guter und moralischer Mensch, und in ihm verspürte Aleksey Aleksandrowitsch eine persönliche Neigung für sich, aber ihre fünfjährige amtliche Thätigkeit hatte zwischen beiden eine Schranke für seelische Beziehungen aufgerichtet.
Aleksey Aleksandrowitsch, die Unterschrift der Papiere beendend, schwieg lange, auf Michail Wasiljewitsch blickend, und versuchte mehrmals zu sprechen, ohne daß er es vermochte. Er hatte schon den Satz vorbereitet „habt ihr von meinem Unglück gehört?“ Aber er vollendete damit, daß er, wie gewöhnlich sagte, „macht mir das also fertig,“ womit er ihn entließ.
Der zweite Mensch war sein Arzt, der gleichfalls freundschaftlich gesinnt für ihn war, aber zwischen ihnen bestand schon seit langem ein schweigendes Einverständnis darüber, daß sie beide mit Geschäften überhäuft wären, und sich beeilen müßten.
An seine weiblichen Freunde, selbst an den nervösesten unter ihnen, die Gräfin Lydia Iwanowna, hatte Aleksey Aleksandrowitsch nicht gedacht. Alle Weiber, schlechtweg als Weiber, waren ihm furchtbar und widerlich.
22
Aleksey Aleksandrowitsch hatte die Gräfin Lydia Iwanowna vergessen, diese aber nicht ihn. In der schwersten Minute seiner Vereinsamung und Verzweiflung gerade kam sie zu ihm und trat ohne Meldung in sein Kabinett. Sie traf ihn in der Stellung, in welcher er gesessen hatte, den Kopf auf beide Arme gestützt.
„J'ai forcé la consigne,“ sagte sie, indem sie mit schnellen Schritten und schwer atmend vor Erregung und der schnellen Bewegung eintrat. „Ich habe alles gehört! Aleksey Aleksandrowitsch! – Mein Freund!“ – fuhr sie fort, mit beiden Händen fest die seine drückend und ihm mit ihren schönen, sinnigen Augen ins Auge blickend.
Aleksey Aleksandrowitsch verfinsterte sich, erhob sich ein wenig, und schob ihr, seine Hand von ihr losmachend, einen Stuhl zu.
„Nicht gefällig, Gräfin? Ich empfange nicht, weil ich krank bin,“ sagte er und seine Lippen bebten.
„Mein Freund!“ wiederholte die Gräfin Lydia Iwanowna, ohne die Augen von ihm zu verwenden, und plötzlich hoben sich ihre Brauen mit den inneren Seiten, ein Dreieck auf der Stirn bildend, und ihr unschönes gelbes Gesicht wurde noch unschöner; doch Aleksey Aleksandrowitsch empfand, daß sie ihn bemitleide und im Begriff war, zu weinen. Auch ihn überkam eine weiche Stimmung; er ergriff ihre fleischige Hand und küßte sie. „Mein Freund!“ sagte sie mit von Erregung unterbrochener Stimme. „Ihr dürft Euch dem Schmerz nicht so hingeben. Euer Leid ist groß, aber Ihr müßt Trost finden.“
„Ich bin zerschmettert, vernichtet, ich bin kein Mensch mehr,“ sagte Aleksey Aleksandrowitsch, ihre Hand freilassend, aber weiter, in ihre von Thränen gefüllten Augen schauend. „Meine Lage ist furchtbar dadurch, daß ich nirgends, in mir selbst nicht einmal, einen Stützpunkt dafür finde.“
„Ihr werdet eine Stütze finden; sucht sie aber nicht in mir; obwohl ich Euch bitte, an meine Freundschaft zu glauben,“ antwortete sie mit einem Seufzer, „unsere Stütze ist die Liebe, jene Liebe, die der da droben uns gegeben hat. Eine Bürde in ihm ist leicht,“ sagte sie mit jenem verzückten Blick, den Aleksey Aleksandrowitsch so gut kannte, „er wird Euch halten und Euch beistehen!“
Trotzdem, daß in diesen Worten sowohl das Mitleid mit seinen erhabenen Empfindungen, wie auch jene, Aleksey Aleksandrowitsch überflüssig erscheinende, neue verzückte, erst seit kurzem in Petersburg verbreitete, mystische Stimmung lag, war es diesem angenehm, sie jetzt zu vernehmen.
„Ich bin schwach. Ich bin vernichtet. Ich habe nichts vorausgesehen und fasse jetzt nichts.“
„Mein Freund,“ wiederholte Lydia Iwanowna.
„Nicht der Verlust dessen ist es, was jetzt nicht mehr ist, nicht dies!“ fuhr Aleksey Aleksandrowitsch fort, „ich klage um nichts. Aber ich muß mich schämen vor den Menschen wegen der Lage, in der ich mich befinde. Das ist schlimm, aber ich kann nicht, kann nicht anders.“
„Nicht Ihr habt jene erhabene That der Vergebung ausgeführt, von der ich entzückt bin, wie jedermann, sondern der droben, der in Eurem Herzen wohnt,“ sagte die Gräfin Lydia Iwanowna, verzückt die Augen hebend, „und daher dürft Ihr Euch Eurer Handlungsweise nicht schämen.“
Aleksey Aleksandrowitsch verzog das Gesicht und begann, die Hände hinter sich nehmend, mit den Fingern zu knacken.
„Man muß eben alle Einzelheiten kennen,“ sagte er mit dünner Stimme, „die Kräfte des Menschen haben ihre Grenze, Gräfin, und ich habe die Grenze der meinigen gefunden. Den ganzen Tag jetzt muß ich Verfügungen treffen, Verfügungen über das Hauswesen, die sich für mich ergeben haben“ – er betonte das letztere Wort – „aus meiner neuen, vereinsamten Stellung. Das Gesinde, die Gouvernante, die Rechnungen – dieses Kreuzfeuer hat mich versengt und ich war nicht bei Kräften, es zu ertragen. Bei Tische – ich bin gestern kaum seit der Mittagstafel hinausgekommen. Ich konnte es nicht ertragen, wie mich mein Sohn anblickte. Er frug mich nicht, was das alles bedeuten solle, aber er wollte fragen, und ich konnte diesen Blick nicht ertragen. Er fürchtete, mich anzuschauen, aber das ist noch wenig“ – Aleksey Aleksandrowitsch wollte jener Rechnung Erwähnung thun, die man ihm gebracht hatte, doch seine Stimme begann zu zittern und er hielt inne. An diese Rechnung auf blauem Papier, mit den Hüten und Bändern, konnte er nicht ohne Mitleid mit sich selbst denken.
„Ich verstehe, mein Freund,“ sagte die Gräfin Lydia Iwanowna. „Ich verstehe alles. Hilfe und Trost werdet Ihr nicht in mir finden, aber ich bin dennoch nur deshalb gekommen, Euch beizustehen, wenn ich kann. Wenn ich doch alle diese kleinlichen, erniedrigenden Mühewaltungen von Euch nehmen könnte. Ich verstehe, daß hier ein Frauenwort, ein weibliches Regiment not thut. Vertraut Ihr es mir an?“
Aleksey Aleksandrowitsch drückte ihr schweigend und dankerfüllt die Hand.
„Wir wollen uns mit dem kleinen Sergey beschäftigen. Ich bin nicht stark in praktischen Dingen. Aber ich werde mich nützlich machen und Eure Hausverwalterin sein. Dankt mir nicht. Ich thue das nicht von mir aus.“ —
„Ich muß danken.“
„Aber, mein Freund, überlaßt Euch nicht diesem Gefühl, von welchem Ihr gesprochen habt – daß Ihr Euch dessen schämtet, was das höchste Gebot des Christen ist: Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden. Und danken könnt Ihr nicht mir. Ihm ist zu danken, ihn muß man um Hilfe bitten, in ihm allein finden wir Ruhe, Trost, Heil und Liebe,“ sagte sie, und die Augen zum Himmel emporhebend, begann sie zu beten, wie Aleksey Aleksandrowitsch aus ihrem Schweigen erkannte.
Aleksey Aleksandrowitsch vernahm sie jetzt auch, und jene Ausdrücke, welche ihm früher, wenn nicht unangenehm, so doch überflüssig erschienen waren, kamen ihm jetzt natürlich und tröstlich vor. Aleksey Aleksandrowitsch liebte diesen neuen, verzückten Geist nicht; er war ein religiöser Mensch, der sich für Religion hauptsächlich im politischen Sinne interessierte, aber die neue Lehre, die sich mehrere neue Auslegungen gestattete, war ihm deshalb besonders, weil sie dem Streit und der Analyse Thür und Thor öffnete, grundsätzlich unangenehm. Früher hatte er sich kühl, ja selbst feindselig gegen diese neue Lehre verhalten, und mit der Gräfin Lydia Iwanowna, die von derselben eingenommen worden war, zwar nie gestritten, aber geflissentlich durch Schweigen ihre Herausforderungen umgangen. Jetzt nun zum erstenmal hörte er ihre Worte mit Befriedigung und widersprach ihnen innerlich nicht.
„Ich bin Euch sehr, sehr dankbar, sowohl für Eure Thaten als für Eure Worte,“ sprach er, als sie mit Beten fertig war.
Die Gräfin Lydia Iwanowna drückte ihrem Freunde nochmals beide Hände.
„Jetzt