Unternehmenssanierung, eBook. Guido Koch

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Название Unternehmenssanierung, eBook
Автор произведения Guido Koch
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Год выпуска 0
isbn 9783811464056



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reduziert sich der Handlungsspielraum auf ein Minimum: Lieferanten liefern nur noch gegen Vorkasse, Banken verlangen die Rückzahlung von Krediten etc. Dem Unternehmen droht die Überschuldung und/oder die Illiquidität. Der Fortbestand des Unternehmens ist extrem bedroht.[24]

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      Im IDW S 6 werden die Stadien der Stakeholder-, Strategie-, Produkt- und Absatzkrise sowie der Erfolgs- und Liquiditätskrise und schließlich der Insolvenzreife unterschieden. Die Stakeholderkrise ist gekennzeichnet durch mangelnde Erkenntnis, Akzeptanz und Kommunikation von notwendigen Veränderungen des Unternehmens, z.B. hinsichtlich dessen Neuausrichtung. Häufig schwindet die Glaubwürdigkeit der handelnden Personen, gleichzeitig kommen bei den Stakeholdern Zweifel auf, ob die Unternehmensorgane den auf sie zukommenden Aufgaben gewachsen sind – das Vertrauen in die Organe schwindet.[25] Als Folge von Stakeholderkrisen ergeben sich häufig Strategiekrisen: infolge unzureichender Marktorientierung und unsystematischer Beobachtung der Wettbewerbsentwicklungserfolge, unangemessene oder ineffektive Innovationen und Investitionen, die zu strategischen Lücken (z.B. unzureichendes Produktprogramm) und strukturellen Defiziten (z.B. unangemessene Fertigungstiefe) führen.[26] In der Folge einer Strategiekrise kann sich eine Produkt- und Absatzkrise entwickeln, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Nachfrage nach den Hauptumsatz- und Haupterfolgsträgern nicht nur vorübergehend stark zurückgeht. Hieraus resultieren z.B. steigende Vorratsbestände, Unterauslastungen der Produktionskapazitäten können zu Ergebnisrückgängen führen.[27] Ohne wirksame Gegenmaßnahmen der Unternehmensleitung in der Stakeholder- und Strategiekrise bzw. in der Produkt- und Absatzkrise folgt zwangsläufig die Erfolgskrise: Der Renditeverfall wird vor allem dadurch sichtbar, dass die Eigenkapitalkosten nicht mehr verdient werden, das Eigenkapital wird infolge anhaltender Verluste u.U. vollständig aufgezehrt. Hierdurch wird die Aufnahme von neuem Fremd- oder Eigenkapital erschwert.[28] Dies führt dann in die Liquiditätskrise, in der der Fortbestand des Unternehmens erhöht gefährdet ist und die Insolvenz droht, wenn keine oder nur unzureichende Maßnahmen ergriffen werden.[29] Der Krisenprozess endet – sofern diese nicht abgewendet werden kann – in der Insolvenzreife.[30]

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      Zusammenfassend lässt sich sagen: Bei Unternehmenskrisen handelt es sich um außergewöhnliche, von der Unternehmensleitung nicht absichtlich herbeigeführte Prozesse. Unter Rn. 7 wurden die Merkmale einer Unternehmenskrise beschrieben und der Begriff „Unternehmenskrise“ definiert. Unter Rn. 10 ff. wurden Perspektiven zur Krisenprozessanalyse erläutert und gezeigt, dass diese Perspektiven miteinander vereinbar sind und einander ergänzen. Zum einen wurde gezeigt, dass Krisen nach bestimmten Mustern ablaufen und zum anderen, dass Krisen zu Beginn häufig gar nicht als solche wahrgenommen werden. Indes ist es für die Unternehmensleitung enorm wichtig, jede Krise so früh wie möglich zu erkennen, um noch möglichst viele Handlungsalternativen in einer möglichst großen Zeitspanne einsetzen zu können, mit dem Ziel, die (potenziell) bestandsgefährdende Situation abzuwenden und die Krisenursachen zu bekämpfen.

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      Im folgenden Abschnitt (Rn. 48) werden die Ursachen von Unternehmenskrisen beschrieben. Die Kenntnis der Ursachen ist wichtig, um Krisen einerseits frühzeitig an den Auslösern zu erkennen, andererseits, um diese Ursachen bekämpfen zu können. Hierzu werden die empirisch beobachteten Krisenursachen charakterisiert, die bei Befragungen oder empirisch-statistischen Auswertungen identifiziert worden sind.

III. Empirische Untersuchungen von Ursachen von Unternehmenskrisen

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      Unternehmenskrisen werden selten durch ein einziges Ereignis verursacht, sondern durch das Zusammenspiel von vielen, möglicherweise einander verstärkenden negativen Ereignissen. Dabei sind Krisenursachen und Krisenauslöser zu unterscheiden. Krisenursachen sind interne oder externe Ereignisse, z.B. Naturereignisse, aber auch politische Entscheidungen oder Entscheidungen der Unternehmensleitung, die zum Entstehen einer Krise führen (können). Einzelne Ursachen können einen sehr geringen bis wesentlichen Einfluss auf das Ausbrechen einer Krise haben. Eine wesentliche Ursache, durch die eine bisher nicht bestandsgefährdende Situation bedrohlich für das Unternehmen wird, wird als Krisenauslöser bezeichnet. Dabei kann ein Ereignis, das für das eine Unternehmen einen Krisenauslöser darstellt, für das andere unbedeutend sein (vgl. das folgende Bsp.). Krisen können aber auch durch viele kleine Ursachen verursacht werden.

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      Beispiel:

      Unternehmen A und Unternehmen B stellen beide ein sehr ähnliches Produkt (P) her.

      Die Unternehmensleitung des Unternehmens A habe mehrere Entscheidungen bzgl. des vom Unternehmen A angebotenen Produktes PA getroffen, die Kosteneinsparungen und Effizienzverbesserungen erbringen sollen. Nun stellt sich heraus, dass während der Nutzung des Produktes P durch die Kunden klima- oder gesundheitsgefährdende Gase emittiert werden. Der Gesetzgeber beschränkt diese Emission umgehend auf einen strengen Grenzwert, den das Produkt PA derzeit nicht erfüllt, während das Produkt PB von Unternehmen B die neu festgelegten Grenzwerte erfüllt.

      Das Unternehmen A gerät infolgedessen in eine bestandsgefährdende Krise, da es die Produktion nicht kurzfristig umstellen und demzufolge seine Produkte nicht mehr absetzen kann und sich daraufhin seine wirtschaftliche Lage dramatisch verschlechtert. Zum Zeitpunkt der Kosteneinsparungs- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen zeichnete sich die Krise nicht ab. Die Unternehmensleitung schien die richtigen Entscheidungen zu treffen, das Unternehmen steigerte den Gewinn, war also erfolgreich. Retrospektiv kann indes festgestellt werden, dass die Unternehmensleitung das Risiko, dass der Gesetzgeber eine strenge Emissionsobergrenze festlegen könnte/würde, nicht erkannt hat bzw. die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos als zu niedrig und somit falsch eingeschätzt hat. Diese Fehleinschätzung und die daraus folgenden Managemententscheidungen stellen rückblickend die Krisenursachen dar. Der Fortbestand des Unternehmens war zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Managements allerdings (noch) nicht gefährdet! Erst durch die Festlegung von strengen Emissionsschwellenwerten durch den Gesetzgeber war das Unternehmen A nicht mehr wettbewerbsfähig und geriet in eine bestandsgefährdende Krise. Die Herabsetzung der Emissionsgrenzwerte stellt also den Krisenauslöser dar.

      Die Leitung des Unternehmens B hat das Risiko einer Emissionsbegrenzung indes frühzeitig erkannt. Sie hat die Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Risikos als „hoch“ eingeschätzt und ihr Produkt PB bzgl. der Emissionen bereits frühzeitig verbessert. Die Festlegung von Schwellenwerten stellt daher für Unternehmen B – anders als für Unternehmen A – keinen Krisenauslöser dar. Vielmehr ergibt sich für Unternehmen B ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Unternehmen A, denn es kann nun entweder seinen Marktanteil oder seine Marge erhöhen.

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      Die Identifikation der Ursachen von Unternehmenskrisen ist nicht trivial. Es ist zwischen der prospektiven und der retrospektiven Identifikation von Krisenursachen zu unterscheiden.

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      Die prospektive Identifikation von Krisenursachen hat das Ziel, ein potenziell bestandsgefährdendes Risiko frühzeitig zu erkennen, dessen Eintrittswahrscheinlichkeiten und die damit verbundene Schadenshöhe zu bewerten und dieses Risiko derart zu steuern, dass keine Krise eintritt oder diese abgewendet werden kann. Die prospektive Identifikation von Krisenursachen ist Gegenstand des Risikomanagementsystems und wird in den Rn. 82–231 behandelt. In dem in Rn. 49 angeführten Bsp. hat Unternehmen B die potenzielle Krisenursache „Festlegung einer Emissionsobergrenze für