Название | Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea |
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Автор произведения | Hans-Peter Schwintowski |
Жанр | |
Серия | C.F. Müller Wirtschaftsrecht |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811437579 |
3.1.2 Anwesenheitsquoren
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Ist das Aufsichtsorgan der SE nicht paritätisch mitbestimmt, ist es möglich, für die Beschlussfähigkeit auch ein niedrigeres oder höheres Anwesenheitsquorum festzulegen.[17] Die insoweit von Teichmann vertretene Gegenauffassung,[18] ein niedrigeres Beschlussquorum könne in der Satzung nicht vorgesehen werden, überzeugt nicht. Nach dieser Ansicht würde ein Beschlussquorum, das unterhalb der Hälfte der Mitglieder festgesetzt würde, dem Charakter des Aufsichts- bzw. Leitungsorgans als Kollegialorgan widersprechen. Diese Ansicht ist indessen nicht mit dem klaren Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 a SE-VO in Einklang zu bringen. Hiernach wird dem Satzungsgeber ausdrücklich das Recht zur abweichenden Festlegung in der Satzung eingeräumt und dies nicht etwa auf die Festlegung eines höheren Beschlussquorums beschränkt.
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Fraglich ist indessen, ob der Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers bzgl. des Anwesenheitsquorums bei einem paritätisch besetzten Überwachungsorgan beschränkt ist. Insoweit wird die Ansicht vertreten, dass ein Anwesenheitsquorum von mehr als 50 % mit dem Rechtsgedanken des Art. 50 Abs. 2 S. 2 SE-VO nicht in Einklang zu bringen sei. Art. 50 Abs. 2 S. 2 SE-VO untersagt für paritätisch mitbestimmte Aufsichtsorgane ausdrücklich, das Stichentscheidsrecht des Vorsitzenden zu beschränken. Hieraus wird zum Teil verallgemeinernd der Grundsatz abgeleitet, dass die Arbeitnehmerseite eine Beschlussfassung nicht allein verhindern können soll.[19] Würde man nun ein höheres Anwesenheitsquorum in der Satzung festlegen, könnte die Arbeitnehmerseite durch kollektives Fernbleiben Beschlussfassungen allein verhindern.
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Wenn der Satzungsgeber gleichwohl höhere Anwesenheitsquoren festsetzen möchte, ist ihm dies indessen nach richtiger Ansicht gestattet.[20] Denn Art. 50 Abs. 1 SE-VO räumt dem Satzungsgeber insoweit ausdrücklich einen Gestaltungsspielraum ein. Für eine einschränkende Auslegung des Art. 50 Abs. 1 SE-VO ist kein Raum. Denn wenn der Verordnungsgeber in Art. 50 Abs. 2 S. 2 SE-VO die Konstellation der paritätisch mitbestimmten SE ausdrücklich adressiert und in Art. 50 Abs. 1 SE-VO weitgehende Gestaltungsspielräume einräumt, ohne nach dem Mitbestimmungsregime zu differenzieren, kommt damit klar zum Ausdruck, dass der Verordnungsgeber bei der Anwesenheitsquote gerade nicht zwischen mitbestimmten und nicht mitbestimmten Aufsichtsorganen unterscheiden wollte. Dementsprechend kann der Satzungsgeber – unabhängig von der Frage, ob eine mitbestimmte SE vorliegt oder nicht – höhere oder niedrigere Anwesenheitsquoren für das Aufsichtsorgan festlegen. Gleiches gilt für das Leitungsorgan.
3.1.3 Regelungen zur Anwesenheit von Organmitgliedern
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Zu den möglichen Regelungsgegenständen in der Satzung der SE zählt ebenfalls die Frage, wann Organmitglieder als anwesend bzw. vertreten gelten oder wie eine Teilnahme der Organmitglieder stattfinden kann. Im Hinblick darauf, dass ohne ausdrückliche Satzungsbestimmung eine erhebliche Rechtsunsicherheit herrschen würde,[21] sind Satzungsregelungen anzuraten. Insoweit empfiehlt es sich vorzusehen, dass Organmitglieder auch dann als anwesend gelten, wenn diese per Telefon- oder Videokonferenz an der Sitzung teilnehmen.[22] Zudem könnte erwogen werden, auch die schriftliche Beschlussfassung im Wege des Umlaufverfahrens für zulässig zu erklären, soweit nicht wenigstens ein Drittel der jeweiligen Organmitglieder einer Beschlussfassung im Umlaufverfahren widerspricht.
3.1.4 Regelungen zur Beschlussfassung
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Möglich und empfehlenswert ist es, die Beschlussfassung abweichend von Art. 50 Abs. 1 b SE-VO zu regeln. Diese Vorschrift sieht vor, dass ein Beschluss nur dann gefasst wird, wenn die Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Mitglieder für den Beschlussvorschlag stimmen. Damit ist gleichsam klargestellt, dass Enthaltungen als Nein-Stimmen zählen,[23] was vielfach nicht sachgerecht sein wird. Es empfiehlt sich dementsprechend, eine Satzungsregelung aufzunehmen, nach der ein Beschluss dann angenommen ist, wenn die Ja-Stimmen die Nein-Stimmen überwiegen.
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Da Art. 50 Abs. 1 SE-VO hinsichtlich der Beschlussfähigkeit und der Beschlussfassung den Satzungsgeber ermächtigt, Regelungen vorzusehen, können derartige Bestimmungen nicht in einer etwaigen Geschäftsordnung vorgesehen werden.[24]
3.1.5 Stärkung der Rechtsstellung des Vorsitzenden eines Organs
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Fraglich ist, inwieweit die Stellung des Vorsitzenden des Aufsichts- oder Leitungsorgans durch die Satzung gestärkt werden kann. Denkbar wäre beispielsweise, dem Vorsitzenden ein Veto-Recht oder das Recht zuzubilligen, andere Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu einem bestimmten Verhalten anzuweisen. Insoweit ist zwischen Aufsichts- und Leitungsorgan zu unterscheiden:
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Beim Leitungsorgan steht dem Vorsitzenden – mangels abweichender Regelung in der Satzung – nach Art. 50 Abs. 2 S. 1 SE-VO das Stichentscheidsrecht zu, so dass dem Vorsitzenden des Leitungsorgans schon nach dem Leitbild der SE-VO eine herausgehobene Stellung zukommt. Welchen Spielraum der Satzungsgeber darüber hinaus in Bezug auf den Vorsitzenden hat, ergibt sich nicht unmittelbar aus der SE-VO. Überwiegend wird es für zulässig gehalten, dem Vorsitzenden des Leitungsorgans ein Veto-Recht einzuräumen.[25] Auch die registergerichtliche Praxis lässt ein satzungsmäßig etabliertes Veto-Recht des Vorsitzenden zu.[26] Damit könnte dieser auch gegen den Willen sämtlicher anderer Mitglieder des Leitungsorgans die Ablehnung eines Beschlussantrags bewirken. Für die Zulässigkeit eines Vetorechts lässt sich tatsächlich anführen, dass es ebenfalls nach Art. 50 Abs. 1 SE-VO möglich wäre, Einstimmigkeit für Beschlüsse vorzusehen. Ein solches Einstimmigkeitserfordernis würde in der Sache jedem Mitglied des Leitungsorgans ein Veto-Recht einräumen, so dass es erst recht zulässig sein muss, nur dem Vorsitzenden ein solches Recht zuzubilligen, denn der SE-VO lässt sich nicht der Grundsatz entnehmen, dass sämtliche Mitglieder des Leitungsorgans gleich zu behandeln sind. Dementsprechend kann für den Vorsitzenden ein Veto-Recht satzungsmäßig festgelegt werden.
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Dies gilt – anders als für die deutsche AG[27] – ebenfalls für die mitbestimmte SE. Denn Art. 50 Abs. 1 SE-VO differenziert nicht zwischen der mitbestimmten und nicht mitbestimmten SE. Zudem ist die Stellung des Arbeitsdirektors, anders als in der AG, nicht als gleichberechtigtes Organmitglied ausgestaltet.[28] Dies ergibt eine systematische Auslegung des § 38 SEBG. Während § 38 Abs. 1 SEBG ausdrücklich für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan anordnet, dass diese die gleichen Rechte und Pflichten haben, wie die Vertreter der Anteilseigner, fehlt diese Bestimmung in § 38 Abs. 2 SEBG für den Arbeitsdirektor im Leitungsorgan.[29] Für die SE gibt es dementsprechend keine dem § 33 Abs. 1 MitbestG entsprechende Vorschrift. Ein Veto-Recht kann dementsprechend durch die Satzung im Leitungsorgan der SE unabhängig davon angeordnet werden, ob die SE mitbestimmt ist oder nicht.
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Fraglich ist aber, ob dem Vorsitzenden des Leitungsorgans auch ein Alleinentscheidungsrecht oder das Recht, andere Organmitglieder anzuweisen, durch die Satzung eingeräumt werden kann. Dafür würde