Handbuch des Strafrechts. Jörg Eisele

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Название Handbuch des Strafrechts
Автор произведения Jörg Eisele
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Год выпуска 0
isbn 9783811449664



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bei Kollegialentscheidungen stellen sich vor allem deshalb, weil nach der c.s.q.n.-Formel der tatbestandliche Erfolg gerade nicht entfallen muss, wenn es auf die einzelne Stimme bei Mehrheitsentscheidungen ohne Einstimmigkeitserfordernis nicht ankommt. Im Ledersprayfall wurde einstimmig gegen einen Produktionsstopp oder andere Vorgehensweisen entschieden, sodass hier die Kausalität nicht problematisch war. Es stellen sich aber auch gerade mit Blick auf den Rückruf von potentiell schädlichen Produkten schwierige Probleme der (Quasi-)Kausalität beim Handeln bzw. Unterlassen. Grundsätzlich kommt es bei Gremienentscheidungen auf die einzelfallorientierte Bewertung von Tatbeiträgen an, die sowohl die Voraussetzungen der Beschlussfassung (Mehrheit ausreichend oder Einstimmigkeit nötig) und sodann das individuelle Stimmverhalten (Gegenstimme, Enthaltung, Zustimmung) berücksichtigen muss.[323]

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III. Besondere Fragestellungen auf der Ebene der Rechtswidrigkeit

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      Körperliche Misshandlungen bzw. tatbestandsmäßige Gesundheitsschädigungen indizieren die Rechtswidrigkeit der Körperverletzungshandlung, da der Schutz des verletzten Rechtsguts einziger Zweck der Norm ist. Bei Vorliegen eines die Norm einschränkenden, selbstständigen Rechts der handelnden Person zur zulässigen tatbestandlichen Beeinträchtigung des Tatopfers kann deren Handeln jedoch gerechtfertigt sein. Dem kommt im Kontext der Körperverletzungsdelikte im Vergleich zu anderen Tatbeständen eine besonders herausragende Bedeutung zu. Zum einen handelt es sich häufig um interaktive Geschehensabläufe zwischen mehreren Personen, in denen verschiedene Parteien einschlägige Handlungen vornehmen, die es anschließend rechtlich zu bewerten gilt. Zum anderen kann der*die Rechtsgutsinhaber*in angesichts der Dispositionsbefugnis (Rn. 28) recht weitgehend Beeinträchtigungen in Form von Körperverletzungen gestatten.

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      Ein solches Recht zur Körperverletzung kann zum einen aufgrund gesetzlicher Rechtsfertigungsgründe bestehen. Hier ist insbesondere an die Notwehr (§ 32 StGB, § 227 BGB) und das Festnahmerecht (§ 127 Abs. 1 StPO) zu denken. Weiterhin kann eine Körperverletzung bei Handeln durch Amtsträger*innen durch öffentlich-rechtliche Eingriffs- und Befugnisnormen gerechtfertigt sein (Rn. 115 ff.). Zum anderen können ungeschriebene (durch Gewohnheitsrecht anerkannte) Rechtfertigungsgründe das Handeln rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn eine rechtfertigende Einwilligung oder eine Pflichtenkollision vorliegen. Der Einwilligung kommt im Rahmen der Körperverletzungsdelikte eine besondere Bedeutung zu (Rn. 92 ff.).

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