Die Magie von Pax. Sarah Nicola Heidner

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Название Die Magie von Pax
Автор произведения Sarah Nicola Heidner
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783957448361



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Klassenraum?«, fragte ich.

      »Das wirst du sehen«, antwortete er nur. »Jetzt musst du dich an das Versprechen erinnern, das du mir gegeben hast.«

      Ich kannte das Schülerhaus der Rotkutten nicht so gut, wie man einen Ort, an dem man fast die gesamte Zeit seines Lebens verbracht hatte, eigentlich kennen müsste. Das lag aber vor allem daran, dass ich es vermieden hatte, mit anderen Leuten durch die Korridore zu gehen, oder auch nur von anderen gesehen zu werden. Tatsächlich fiel mir auf, als ich gerade darüber nachdachte, dass ich eigentlich die ganze Zeit entweder in den Klassenzimmern, in der Mensa oder aber in meinem Zimmer verbracht hatte.

      Schließlich drückte Yu Weiß eine Tür auf, und ich fand mich in einem Raum wieder, den man nur als eindrucksvoll beschreiben kann.

      Der Raum (viel eher eine Art Saal) war riesig. Die linke Seite bestand nur aus Fenstern und das morgendliche Sonnenlicht spiegelte sich auf der gegenüberliegenden Wand des Raumes, an der die Statue stand. Natürlich hatte ich im Unterricht von den Göttern der verschiedenen Kutten gehört, aber als Nichtmagier hatte mich es nicht sonderlich interessiert. Die Götter waren sowieso nicht auf meiner Seite. Aber dennoch konnte ich nicht anders, als die Statue des Rotkuttengottes zu bewundern. Sie reichte fast bis zur Decke, und die langen, kräftigen Beine standen auf einem runden Plateau. Der Gott (ich konnte mich daran erinnern, dass er Armet hieß) hielt in der Rechten Pfeil und Bogen, das Zeichen der Rotkutten. »Du darfst auch nicht von diesem Raum erzählen, Sofia«, sagte Yu Weiß und riss mich aus meinen Gedanken. Ich wandte den Blick von der Statue ab und nickte. Obwohl ich keine Ahnung hatte, warum ich ihm diese Versprechen geben musste, vertraute ich meinem Mentor. Ich hatte nur auf die beeindruckende Statue geachtet, aber der Raum war nicht vollkommen leer. In der Mitte waren Matten auf dem glatten Mamorboden ausgebreitet, und an der Wand hingen Waffen. Fasziniert trat ich näher. Ich hatte noch nie solche Waffen gesehen, da man normalerweise seine Magie nutzte, sollte man angegriffen werden. Das dachte ich jedenfalls.

      Der Großteil der Waffen waren Pfeil und Bogen, aber es gab auch lange Metallstäbe, die Yu Weiß »Lanzen« nannte, »Dolche« und »Schwerter«.

      Nachdem ich mir die Waffen angeschaut hatte, setzten Yu Weiß und ich uns auf die Matten in der Mitte des Raumes.

      »Wenn du kämpfst«, sagte er eindringlich, »kämpfst du nicht mit Magie, wie du vielleicht denkst. Die meisten nehmen das an, aber das liegt daran, dass sie noch nie wirklich gekämpft haben. Wenn man in einem Kampf Magie einsetzt, ist man viel zu schnell erschöpft und wird vielleicht sogar ohnmächtig und das ist das Letzte, was man sich vor einem Feind erlauben kann. Deshalb gibt es diese Waffen, die ich dir gerade benannt habe.« Yu Weiß stand auf, ging zu der Wand mit den Waffen und nahm eine in die Hand.

      »Dolche sind Stichwaffen, die zur Waffenart der Messer gehören«, erklärte Yu Weiß. »Siehst du hier die Klinge? Sie ist zweischneidig, und etwa vierzig Zentimeter lang. Das Griffstück besteht hier aus Holz, es gibt aber auch weit bessere Modelle aus Jade oder Elfenbein.«

      Es klingelte, die Mittagspause hatte begonnen. »Warum …«, fragte ich, »warum erzählen Sie mir das alles? Ich werde nie kämpfen, sondern irgendwo in einem Haushalt putzen oder etwas in der Art.«

      Yu Weiß lächelte mich verständnisvoll an. »Allgemeinwissen«, sagte er sanft, aber ich glaubte ihm kein bisschen. Waffen oder auch nur Kämpfen hatte ganz sicher nichts mit Allgemeinwissen zu tun und das lag nicht nur daran, dass die anderen Mentoren den Schülern das nicht beibrachten.

      Beim Mittagessen war ich sehr still, selbst für meine Verhältnisse, und das fiel auch Bea auf. »Alles in Ordnung?«, fragte sie leise, als Luis für uns Nachtisch besorgte, aber ich schüttelte den Kopf.

      »Nur viele Hausaufgaben«, log ich und verdrehte die Augen. Ich wollte Bea von der Stunde mit Yu Weiß erzählen, aber ich hatte auch ein Versprechen gegeben. Hin- und hergerissen überlegte ich, ob ich Bea davon erzählen sollte und hatte mich gerade dafür entschieden, als Luis mit einem abwertenden Blick auf mich zwei Puddingschalen brachte und sie vor seinen und Beas Teller stellte. Bea sah mich entschuldigend an.

      »Ich hab sowieso keinen Hunger, danke der Nachfrage«, versetzte ich und stand auf. An diesem Abend gingen Bea und Luis zusammen in die Stadt und ich legte mich auf mein Bett und versuchte die Lektüre über Pilze und Kräuter zu lesen, die Yu Weiß mir gegeben hatte. Aber immer wieder drifteten meine Gedanken ab, zu der Stunde mit Yu Weiß und den Fakten über Dolche. Ich wusste nicht wieso, aber ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Yu Weiß war niemand, der etwas ohne Grund machte. Und dass er mir Waffentraining gab, beunruhigte mich zutiefst. Vielleicht, überlegte ich, machte er das aber auch nur, weil ich keine Magie zu Verfügung hatte. Ich musste mich ja irgendwie verteidigen können. Allerdings – wovor sollte ich mich als Putzfrau verteidigen, etwa vor Putzlappen?

      Ich konnte nicht einschlafen, und setzte mich deshalb an das Fenster. Draußen war nur der Mond zu sehen und er beleuchtete den gepflasterten Innenhof in einem sanften Licht. In diesem Moment sah ich einen Schatten, nur wenige Meter vom Haus entfernt, auf dem Boden kauern. Ich hätte ihn nicht gesehen, hätte der Mond nicht so hell geschienen. Vorsichtig rutschte ich vom Fensterbrett und schob meine Hand, ohne den Blick von der Gestalt zu lassen, zentimeterweise über die Wand, bis meine Finger den Lichtschalter ertasteten. Dunkelheit fiel über das Zimmer, sobald ich das Licht ausgeschaltet hatte. Da die Gestalt mich jetzt auch nicht mehr sehen konnte, sollte sie nach oben schauen, kletterte ich wieder auf das Fensterbrett. Ich konnte mir nicht vorstellen, was jemand vor dem Schülerhaus der Rotkutten wollte. Vielleicht vor einem der Blaukutten – wenn jemand von einer Blaukutte Goldstücke erpressen oder teure Bücher klauen wollte. Aber hier? Ich wusste nicht, was ich machen sollte, deshalb blieb ich einfach sitzen und beobachtete die Gestalt. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann erhob sich die Gestalt, trat ein paar Schritte zurück und verschmolz mit der Dunkelheit. Mir lief ein Schauer über den Rücken, ohne dass ich genau sagen konnte, weshalb. Wahrscheinlich gab es eine natürliche Erklärung dafür, dass jemand in der Dunkelheit dort unten hockte, als ob er auf jemanden warten würde, nur um ihm gleich an die Kehle zu springen. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, welche.

      Ich war noch wach, als Bea die Tür zu unserem Zimmer leise öffnete und im Bad verschwand. Mit geschlossenen Augen lag ich da und lauschte dem unregelmäßigen Rauschen unseres Wasserhahns. Immer wieder musste ich an den merkwürdigen Schatten unter meinem Fenster denken, und es war weit nach Mitternacht, als ich endlich einschlief.

      Das Wochenende verbrachten wir wie immer; am Samstagmorgen lagen Bea und ich bis Mittag im Bett und aßen dann in der Mensa »Frühstück«. Danach zeigte Bea mir, wie sie Gegenstände verschob und wir gingen in die Stadt. Wir achteten sorgfältig darauf, nur in der Gegend der Rotkutten zu bleiben, wofür ich Bea dankbar war. Ich konnte diese riesigen Villen der Blaukutten einfach nicht ertragen, genauso wenig wie die blauen Funken Magie, die immer durch ihre Straßen zu fliegen schienen. Nachdem Bea sich neue Kleidung gekauft hatte, zog sie mich in ein Geschäft für Kräutertränke und Elixiere. Als wir durch die kleine Tür traten, klingelte eine Glocke und mir wehten die verschiedensten Düfte entgegen. Es war dunkel im Laden, und nur ein paar im Raum verteilt stehende Kerzen erzeugten ein Dämmerlicht. Überall standen Kessel und Töpfe herum, in denen wer weiß was blubberte. Bea grinste: Sie liebte diese Läden über alles. Ehrlich gesagt konnte ich mir gut vorstellen, dass Mischer ein guter Beruf für sie wäre.

      Während sie mit der Mischerin im Laden fachsimpelte, (»Fünf Jahre alte Froschschenkel aus dem Sumpfteich! Eine Schande, dass er eingegangen ist. Aber wie viel kostet denn dieses Weißbuschkraut?«) drifteten meine Gedanken zu Yu Weiß’ merkwürdigem Unterricht und der Gestalt unter meinem Fenster ab.

      Irgendwann (eine gefühlte Ewigkeit später!) zupfte Bea an meinem Ärmel und zog mich aus dem Laden in das gleißende Sonnenlicht, an ihrem Arm baumelten mindestens zehn Tüten, gefüllt mit kleinen Fläschchen und verpackten Kräutern.

      Am Sonntag holte Yu Weiß mich schon kurz nach dem Frühstück ab. Wir gingen wieder in den Trainingsraum, wo er mir dieses Mal alles über Knauf, Parierstange, Klinge und Fehlschärfe erklärte. Ich hatte, als wir bei der Fehlschärfe angekommen waren, schon wieder alles über den Knauf vergessen.

      »Ich