Название | Die Verlängerung |
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Автор произведения | Theo Beck |
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Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960086086 |
Stopp! Das Bild ist viele Jahre später. Ja, das ist immer noch die gleiche Halle an der, ach ja, Burgstraße heißt die. Aber da ist Hans schon ein junger Mann, ist Trainer der ersten Herren! Zurück! Zurück! Die Zeit davor kann man doch nicht einfach überspringen. Da ist doch noch so viel passiert!
Ja, das Bild passt schon besser. Da, in dem Schwimmbad Kupfermühle, ist er auch schon größer. Sein Haar ist bereits etwas dunkler, fast hellbraun. Aber er tobt noch mit anderen am Beckenrand rum. Er kennt die Jungs gar nicht genau, nur vom Sehen. Sie rennen rum und schubsen sich. Wenn das man gut geht. Einer fliegt rein, noch einer. Dann schubst Hans noch einen rein und fliegt gleich hinterher. Im Wasser geht es weiter. Unterdükern. Hans mischt kräftig mit. Ihn kriegen sie nicht zu fassen. Als sie zu dritt auf ihn losgehen, flitzt er schnell aus dem Becken. Aber die anderen laufen ihm nach. Hans rennt von den Becken weg, um die Tischtennisplatten rum, dann um das Bademeisterhaus, doch sie verfolgen ihn weiter. In der äußersten Ecke, am Zaun, kommen sie von beiden Seiten und ihm bleibt nur die Richtung über die Liegewiese, quer durch die Handtuchlager, immer im Zickzack. An der Hecke ist er schließlich in einer Sackgasse. Mit einer Körpertäuschung versucht er zu entwischen, aber ein schnell ausgefahrenes Bein lässt ihn stolpern und schon werfen sich die drei Verfolger auf ihn.
Hans liegt auf dem Bauch und windet sich. Aber da setzen sich zwei einfach auf seinen Rücken. Der Dritte kniet über den Kniekehlen, die Beine des Gefangenen dazwischen. Hans versucht in den Liegestütz zu kommen, aber die zwei auf seinem Rücken sind zu schwer. Er zieht die Knie an, um den Unterkörper anzuheben. Da holt der Dritte aus und knallt ihm die flache Hand auf das gespannte Gesäß. Ruckartig streckt Hans seine Beine aus und sein Peiniger hockt sich wieder auf seine Kniekehlen. Er macht es sich gemütlich, holt aus und peng landet die Hand wieder auf der gleichen Stelle. Auch die beiden auf seinem Rücken finden Gefallen an dem Geräusch. Schließlich soll auch die andere Seite nicht zu kurz kommen. Also wechseln sie sich ab.
Den ersten Schlag findet Hans nicht so schlimm. Auch den ersten auf der anderen Seite nicht. Er nimmt das Gefühl auf seiner Haut eher interessiert wahr. Sein Gesicht hat noch den Ausdruck von wütendem Grinsen. Auch beim zweiten Schlag ist er noch stark. Er erwartet ihn auf der anderen Seite mit mutiger Genugtuung. Aber dann fängt es langsam an ungemütlich zu werden. Je öfter eine Hand laut klatschend auf seinem Hintern landet, umso stärker wird das Brennen. Hans hat nur noch wenig Bewegungsfreiheit. Er rudert mit den Armen und seine Füße wedeln in der Luft.
„Ah! Hört auf! Ah!“
„Na gut“, sagt der unten Hockende und macht eine Pause. Er ist der Größte von ihnen. Seine Hand streicht über die Backe, für die er sich zuständig fühlt. Er scheint Gefallen daran zu haben und lässt seine Hand über die Rundung wandern. Sein Gesicht bekommt einen freudigen Ausdruck.
„Wir machen nur noch eine kleine Verlängerung, zur Schonung, aber nur eine Hälfte.“ Er grinst erwartungsvoll und zeigt seinen beiden Kumpanen seine Seite an. „Mit Erholung. Immer schön langsam.“
Und nun fangen sie doch tatsächlich wieder an. Peng! Pause. Immer nur auf eine Seite. Peng. Pause. Peng.
„Ah! Aah! Aah! Nicht!“ Hans biegt sich immer mehr, versucht die brennende Seite, so weit es geht, wegzudrehen. Er bietet die andere Hälfte geradezu an. Aber sie wird nicht angenommen.
„Hört auf! Lasst ihn los!“, donnert eine Mädchenstimme. „Ihr sollt ihn loslassen! Ihr seid gemein! Feiglinge! Zu dritt!“
Einen Augenblick wendet sich das Interesse dem Mädchen zu. Das genügt Hans. Die vom Schmerz angestaute Energie verleiht ihm die nötige Kraft. Mit einem Ruck dreht er sich zur anderen Seite, wirft einen Reiter ab und springt auf. Aber er läuft nicht weg. Er sieht das Mädchen an, mit weit offenen Augen. Er atmet heftig, mit etwas geöffnetem Mund, in dem die zusammengebissenen Zähne zu sehen sind, die Mundwinkel auseinander gezogen. Beim Blick auf das Mädchen ändert sich das. Mit auf die Unterlippe beißenden Zähnen und dem sympathischen Bemühen, den Schmerz zu verbergen, schaut er sie an. Die anderen trollen sich.
„Danke“, sagt Hans schließlich, „ich geh baden“, und dreht sich weg. „Bin ja ganz dreckig von dem Gras“, fügt er noch erklärend hinzu.
Ich weiß, er hätte gern etwas netter zu seiner Retterin sein können, aber aus verständlichen Gründen drängt es ihn in das kühlende Nass. Aber ich glaube, da kann noch was draus werden. Aus diesem Erlebnis wächst etwas. Zunächst sein Ärger, dass ein Mädchen ihn aus einer derart erniedrigenden Situation befreit hat. Dieses Bild, das er da abgegeben hat, strampelnd und wimmernd, und das vor einem Mädchen, passt überhaupt nicht zu seinem Selbstgefühl. Aber das ändert sich schnell. Das kühlende Wasser hilft etwas dabei. Aber auch das Mädchen. Es ist getroffen. Es hat in das sympathische Gesicht des Jungen gesehen, in ein Gesicht, das angestrengt den Schmerz vor ihr zu verbergen suchte, und in seine blauen Augen. Ein kleiner Pfeil hat sich in ihr festgesetzt und sie ist lebenstüchtig genug, die Situation nicht ungenutzt zu lassen. Sie geht auch baden.
Und so fing es an. Ich weiß natürlich, wie es weiterging, was daraus wurde und wie es endete. Aber weil es eine so schöne Geschichte ist, lass ich sie nicht einfach ausfallen, sondern will sie sehen, noch einmal miterleben. Wenn sich nur nicht diese typisch penetrante, weibliche Neugier wieder dazwischendrängeln würde. Zugegeben, die ist auch bei dem Mädchen mit am Werk, aber das ist eine unbewusste, aus einer ganz kleinen Sehnsucht erwachende, jetzt, wie sie da zum Beckenrand schlendert, ohne bemühtes Suchen.
Aber jene Neugier, die die Putze dort treibt und mir damit den Blick auf das Schwimmbad Kupfermühle verwässert, und noch mehr die von Schwester Angela, die wieder einmal den menschlichen Schutzzaun nicht respektiert, diese Neugier ist es, die mir diese kleine Freude verdirbt. Typisch Frauen!
Musste sie mich denn ausgerechnet gleichzeitig sauber machen? Gerade zu der Zeit, meine ich, als die Reinigungskraft sich über den Ajaxglanz des Bodens freute? Dieses aufdringliche Bild zeigt deutlich, wie makellos, ohne jede Gebrauchsspuren der Belag des Krankenzimmers schillert. Die Frau hat offensichtlich Erfahrung mit menschlichen Resten. Ihr Blick schweift wohl auch deshalb zu den Verrichtungen Angelas. Die Bettdecke hat die schon neben das Bett geworfen. Das verstehe ich. Sie hat mir eine neue mitgebracht. Dass ich ihr nicht behilflich sein kann, weiß sie inzwischen auch. Mit geübten Griffen hat sie die Bereiche an mir freigelegt, die ihrer Bearbeitung bedürfen. Ich könnte ja jetzt auf „zurück“ klicken, aber der mürrische Ausdruck in ihrem Gesicht, die fahrige, fast unwirsche Behandlung meines Unterkörpers fällt mir auf.
Da musste etwas vorgefallen sein, dass Angela ihre sonst stets vorbildliche, glatte Art vorübergehend abgelegt hatte. Wahrscheinlich wieder Ewald! Natürlich wegen Ewald, was sonst! Seine schlechte Laune hatte sich wieder auf sie übertragen. Wahrscheinlich wegen einer übergeordneten Anweisung. Dergleichen mag Herr Mohr gar nicht.
Gerade deshalb kann ich mir das sehr gut, ja geradezu bildhaft vorstellen, seine Reaktion, wie er mit der Mail der „Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben“ konfrontiert wurde.
Ausgerechnet von der Verwaltung hatte Angela die Kopie erhalten, die sie mir unwirsch aufs Bett geworfen hatte. Wäre sie vom ärztlichen Direktor über den Chefarzt an ihn gegangen, den normalen Weg also, der dem medizinischen Sachverstand vorbehalten ist, hätte man sich über notwendige oder nicht notwendige Reaktionen abstimmen können. Aber hier hatte der Assistent der Verwaltungsleitung eine Kopie an Herrn Dr. Mohr weitergeleitet, mit der Bitte um Kenntnisnahme. Ein Kaufmann also, der für Bürotätigkeit zuständig ist. Und der greift in den Heilungsprozess ein!
„Das