Название | Angst im Systemwechsel - Die Psychologie der Coronazeit |
---|---|
Автор произведения | Jürgen Wächter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991311676 |
Genau diese basale Ur-Angst wird in Coronazeiten geschürt. Kein Wunder, dass die Menschen fluchtartig vor anderen weglaufen und sich in ihren vier Wänden erstarrt zurückziehen. Wie man die Angst vor dem Tod überwinden kann, schauen wir uns in Kapitel 10 an.
2. Sicherheitsbedürfnisse
Stabilität ist in der Coronazeit nicht mehr vorhanden. Jeden Tag gibt es neue Schreckensmeldungen, neue Gefahren, neue Regelungen, die beachtet werden sollen. Wie es weitergeht, ist unklar. Vieles, was seit Langem Bestand hat, kann nun wanken und stürzen. Ja, Instabilität ist derzeit das Kernmoment des weltweiten Politik- und Gesellschaftssystems. Dies ist ein typisches Phänomen, wenn ein solches System kollabiert und ein neues System im Entstehen ist. Man nennt dies einen Phasenübergang zwischen zwei stabilen Zuständen. Und solche Phasenübergänge sind immer chaotisch und unberechenbar. In ihnen geschieht nichts mehr nach Vernunft und vieles erfolgt plötzlich, unerwartet und unvorhersehbar. Instabilität vernichtet so das Alte und schafft etwas Neues. Und da stecken wir mittendrin. Näheres zum Systemwechsel werden wir uns in Kapitel 11 ansehen.
Sicherheit geht an allen Fronten verloren. Wird der Job morgen noch bestehen oder folgt Arbeitslosigkeit? Sterbe ich an Corona? Muss ich bald in Konkurs gehen? Kann ich mich im Supermarkt anstecken? Was wird, wenn ich mich infiziere? Bricht das Weltfinanzsystem zusammen? Sterbe ich an der Impfung? Kann ich mein Haus weiter abbezahlen? Und was ist mit meinem Ersparten und meiner Rente, mit Bekannten und Verwandten? Werde ich eingesperrt, wenn ich dagegen demonstriere? Sicherheit geht während eines Phasenübergangs stark verloren. Am sichersten ist es noch, sich zu Hause mit der Familie einzuigeln. Aber gibt es da nicht schon Gerüchte, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt werden soll?
Insgesamt ist das Grundbedürfnis auf Sicherheit erheblich tangiert. So wenig Sicherheit hatten wir seit 1945 nicht mehr. Das macht erhebliche Angst.
3. Soziale Bedürfnisse
Die sozialen Bedürfnisse sind in der Coronazeit ganz erheblich eingeschränkt worden. Öffentliche Veranstaltungen wurden verboten, ebenso wie Kinos, Gaststätten, Fitnessstudios, Stadtfeste, Weihnachtsmärkte und alles, wo sich sonst die Menschen treffen, um eine schöne Zeit miteinander zu verbringen.
Aber nicht nur das. Alte Menschen werden in Altenheimen und Krankenhäusern völlig isoliert, sodass sie leiden und am Alleinsein verzweifeln. Ein Herr schrieb dazu: „Besuch im Altenheim. Zwanzig Minuten auf Distanz unter Aufsicht, unter ständigen Belehrungen. Abstand halten (das schon panisch wiederholte Mantra des Personals), Zettel ausfüllen. Fragen nach meinem Gesundheitszustand, Fragen, ob Auslandsreisen stattfanden. Ob man müde, erkältet, fiebrig ist u. s. w., man bekommt einen Platz zugewiesen und dann wird der Angehörige hereingeführt. Als ich aufstand, wurde ich angeranzt: ‚Bleiben Sie doch sitzen!‘ Meine Angehörige, die immer fit war, die klar im Kopf war, erkannte ich kaum wieder. Es schnürte mir komplett die Kehle zu. Die Dame ist blass, hat massig abgenommen und ist komplett durcheinander. Der Besuch war wie eine Vorstellung im Knast. Nach zwanzig Minuten musste ich wieder gehen, meine Angehörige wurde widerstandslos ‚abgeführt‘. Es ist unmenschlich, was man mit den Alten macht. Der ‚Schutz‘ ist mehr Drangsal, Entmündigung und Angstmache, Isolation. Das muss aufhören.“62
Ebenso traurig ist es, wenn Väter bei der Geburt ihrer Kinder nicht anwesend sein dürfen oder Kinder nur noch mit einem Freund spielen sollen, wie es die deutsche Bundeskanzlerin forderte. Merkels Idee stieß allgemein auf große Entrüstung.63 Kinderärzte und Kinderschutzbund haben dies als „überflüssig und schädlich“ zurückgewiesen. Hein Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, sagte: „Da werden Kinder gezwungen, sich zwischen Freunden zu entscheiden. Es wird tränenreiche Zurückweisungen geben. Das ist unbarmherzig.“64
Selbst private Treffen werden erheblich eingeschränkt, sodass maximale Personenzahlen meist aus nur zwei Haushalten vorgeschrieben werden. Mit all diesen Maßnahmen werden die Menschen vereinzelt. Ihr Bedürfnis nach sozialer Nähe und sozialem Austausch wird völlig missachtet und hintertrieben. Vereinzelt man Menschen, lassen sie sich besser lenken und vernetzen sich nicht so leicht zur Rebellion.
4. Individualbedürfnisse
Die Individualbedürfnisse nach Freiheit und Unabhängigkeit sind ebenfalls ganz erheblich eingeschränkt. Reisen ist in vielen Fällen nicht mehr möglich, das Verlassen des Landes und eine Rückkehr werden erheblich erschwert. Ausgangssperren werden angeordnet und Demonstrationen verboten. Den Menschen wird seitens der Regierungen kein Respekt mehr gewährt, ihre Würde genommen und sie wie Gefangene behandelt. Bürger adé, nun sind es Untertanen, die zu gehorchen haben, und es meist auch tun. Ein CDU-Politiker forderte, bei Veranstaltungen nur noch geimpfte Leute einzulassen, sobald ausreichend Menschen geimpft sind.65 In manchen Kreisen gilt bei erhöhten Inzidenzwerten neben nächtlicher Ausgangssperre eine Aufenthaltspflicht in einen 15-Kilometerradius um den Haushalt. Die Freiheit wird somit immer weiter eingeschränkt.
5. Selbstverwirklichung
Da die Menschen mit den vier unteren Stufen der Bedürfnispyramide beschäftigt sind, ist ein tiefes Erleben des Bedürfnisses nach Selbstverwirklichung derzeit kaum möglich.
Insgesamt werden die Bedürfnisse nicht mehr befriedigt. Die ehemals freien Bürger dürfen lediglich noch arbeiten und ihre überlebensnotwendigen Grundbedürfnisse decken. Auf allen Stufen haben sie deutliche Verluste. Das allein führt zu Angst. Und man kann auf diesen Stufen noch mehr verlieren, was noch mehr Angst erzeugt. So werden die Menschen in ihr Erstarrungsverhalten gebracht und weitgehend dort gehalten. So sind sie ruhig und lehnen sich nicht auf. Grundbedürfnisse decken, alle anderen wegnehmen, ist eine Strategie, die immer wieder in der Geschichte funktioniert hat. Das ist weniger als im Alten Rom, wo es neben dem Brot wenigstens noch die Spiele gab.
Insgesamt zeigt sich so die traurige Logik, warum im Moment so viele Menschen in Angst und Erstarrung versinken. Das alles geschieht nicht aus Gründen der Vernunft, sondern allein durch die Angst. Ein Herr schrieb uns drei Erlebnisse:
„Heute habe ich jemanden gefragt, warum er eine Maske aufsetzt und damit ins Gasthaus geht. Er wusste keine Antwort, aber nach langer Überlegung sagte er, weil es so verlangt werde. Tragisch, dass gerade junge Leute keine Eigenverantwortung kennen und nicht in der Lage sind, für sich selber zu denken. So kann man sich leicht vorstellen, was passiert, wenn morgen jemand sagt, Sie müssen ab sofort auf allen vieren und Maske zur Arbeit gehen. Wäre es nicht an der Zeit, dass Erwachsene und Erfahrene solche Menschen aufklären und ihnen ein wenig helfen?“66
„War beim Einkaufen ohne Maske. Fährt mich der Verkäufer an: ‚Junger Mann, haben Sie eine Maske?‘ ‚Haben Sie eine, die schützt?‘, frage ich zurück. ‚Spielt keine Rolle, es ist Pflicht.‘ Was willst du da doch sagen?“67
„Unfassbare Situation! Meine Arbeitskollegen wurden angewiesen, eine Mund-Nasen-Bedeckung und Handschuhe anzuziehen, um ein KFZ in die Werkstatt zu fahren, weil sich die Besitzerin in Quarantäne befindet. Die Vorgehensweise wurde aus reiner Vorsicht aufgrund des Infektionsgeschehens begründet. Habe heute unseren Chef daraufhin konfrontiert und gefragt: 1. Was hat das Fahrzeug mit der in Quarantäne befindlichen Person zu tun? 2. Warum befindet sich die Person in Quarantäne? 3. Bitte um Erklärung und Bedeutung des PCR-Testes. Antwort: ‚Keine Ahnung!‘ So viel dazu.“68
Wir haben definiert: „Angst ist das subjektive Gefühl der Möglichkeit eines Verlustes von erreichten Positionen auf der Skala der Bedürfnisbefriedigung.“ Diese Verluste sind derzeit auf fast allen Stufen der Bedürfnisse zu verzeichnen oder zu erwarten. Da ist es doch kein Wunder, dass die Menschen von Angst ergriffen werden.
Doch wir haben jedoch längst noch nicht sämtliche Aspekte der Angst betrachtet. Zunächst tritt noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu, nämlich die sozialen Ängste. Und die haben einige Besonderheiten.
46 Vgl. OFENSTEIN 2014: 21.
47 MÜLLER 2020.