Название | Kettenwerk |
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Автор произведения | Georgian J. Peters |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991075400 |
In Berlin kannte er ja sowieso niemanden.
Würde ihn irgendjemand vermissen?
Und noch während Ebling seine Wunden im Hospital leckte, endeten die Kämpfe draußen im Berliner Zeitungsviertel mit dem eindeutigen Sieg der Regierungstruppen. Mutige Vorkämpfer wie der Spartakisten-Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden festgenommen und auf grausame Weise getötet, um, wie es hieß, ein abschreckendes Exempel zu statuieren.
Ebling kannte die beiden flüchtig. Er hatte für sie gearbeitet.
Ihr Tod ging ihm nahe. Nur war er dadurch noch entschlossener, diesem erbarmungslosen Berlin den Rücken zu kehren.
Jedenfalls sobald es ihm möglich war.
Zu jener Zeit konnte er nicht ahnen, dass auch ein junger Mann den Entschluss gefasst hatte, nach München zu reisen, um auf einer der Mitgliederversammlungen dieser neuen Partei seine demagogischen Thesen vorzutragen. Ein zutiefst hassender Fanatiker. Klein und schmächtig, dunkelhaarig und blass. Ein Österreicher mit dem verhängnisvollen Hang zum Größenwahn und zu cholerischen Anfällen. Ein Träumer, aber auch ein Visionär und absolut gesegnet mit dem Geschick für öffentliche Dramatik.
Diesem schwarzhaarigen Jungmann sollte Ebling schon bald gegenüberstehen … dem jungen Adolf Hitler.
Doch zuvor ging er ein zweites Mal unfreiwillig ins Hospital.
Ein Schlüsselbeinbruch war verantwortlich dafür, da er sich einmal mehr zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt. Wieder geriet er in einen Straßenkampf.
Wie ein Zahnstocher zerbrach sein Schlüsselbein auf der linken Seite.
Der Bruch wurde ambulant behandelt, was eine optimale Genesung nicht gerade gewährleistete. Einige Wochen später war ihm klar, dass ein ewig pochender Schmerz bleiben würde, ganz besonders an nasskalten Tagen … und dieses Pochen würde sein künftiges Leben beherrschen.
Jetzt, an seinem 22. Geburtstag, saß Ebling niedergeschlagen auf den nassen Steinstufen, dort, wo seine politische Karriere begann. In Berlin. Die Schulter schmerzte erbärmlich und er tat sich schwer, das Pochen als seinen ständigen Weggefährten zu akzeptieren. Sein verbittertes Gesicht glich einer klaffenden Wunde. Und es schien, als wollte die Wunde nicht mehr abheilen in dieser Stadt. Sein bisschen Hab und Gut trug er in einem grauen Leinenbeutel bei sich und im Grunde stand nichts mehr dagegen, den Aufbruch nach Bayern gleich jetzt in die Tat umzusetzen.
Auf dubiosen Umwegen durch das brodelnde Ruhrgebiet erreichte er im April die Tore Münchens.
Sofort wurde er von politischen Ereignissen überschüttet, was ihn die pochende Schulter im Nu vergessen ließ. Gerade war die Räterepublik ausgerufen worden. Wohl die Reaktion darauf, dass man den Kurt Eisner erschossen hatte, vermutete Ebling, und weitere, ungeheuerliche Erschießungen folgten und sorgten für Schlagzeilen.
Sie sollten abschrecken.
Bis die unfassbare Gräueltat im Luitpold Gymnasium geschah, mitten im Herzen Münchens und auf ausdrücklichem Befehl der Räteregierung. Ob das wieder ein Exempel sein sollte? Eine organisierte Massenhinrichtung von 20 Geiseln? Vor Empörung lief sein Fass über. Diese Schreckensherrschaft durfte nicht länger Bestand haben, auch nicht im Freistaat Bayern.
Nur hatte Ebling zunächst grundlegendere Sorgen. Er brauchte Geld.
Am Fuße der Isar, im Stadtteil Giesing, fand er wie durch einen Zufall Arbeit in der Buchhandlung-Weishaupt.
Er hatte Glück.
Mit dem Lohn, den er an jedem Wochenende bekam, konnte er sich genügend Alkohol und Zigaretten kaufen. Aber das Geld allein war nicht der Grund für sein Bleiben. Vielmehr war es die geistig zurückgebliebene Tochter des Hauses, die warme Schlafstätte und die geregelten Mahlzeiten.
Irene hatte den Geist einer Zehnjährigen, wenngleich sie 28 war. Sie war wirklich nicht schön … schweinsfarbene Haut und fett – und ihre dünnen, dunkelblonden Haare fielen ihr strähnig auf den ansatzlosen Nacken. Aber gerade die Dankbarkeit, die Irene ihm entgegenbrachte, sagte ihm zu. Er begehrte ihr mächtiges Hinterteil und ihre noch mächtigeren Fleischbrüste.
Hier wollte er sich von den langen Strapazen erholen.
Irene sprach nicht viel, und sie war willig … was wollte er mehr. Tagsüber half er unten in der Buchhandlung aus und abends trank er Bier und vergnügte sich ausgiebig mit Irene.
Doch dann spitzten sich die politischen Ereignisse zu, drängten ihn unbarmherzig in die Wirklichkeit zurück. Es war September und eine Mitgliederversammlung der Partei stand an. Zusammen mit dem Buchhändler Weishaupt, der bereits Mitglied war, nahm Ebling daran teil. Die Euphorie, die ihm im kleinen Saal des Hofbräuhauses entgegenschlug, war überwältigend und nicht eine Sekunde zögerte er, sich als Mitglied einzuschreiben.
Die Partei hatte sich zur Aufgabe gemacht, systematisch die keimende Brut von rechtsradikalen Strömungen im Land zu ebnen und sie mit allen erdenklichen Mitteln zu fördern. Es kam ihm vor wie ein Geheimbund, der aufklärerische Grundsätze verbreiten wollte, und er war von frühester Stunde an dabei, um wirkliche Pionierarbeit zu leisten.
Ein Rädelsführer der sich zuvor mit der Mitgliedsnummer 7 ins Parteibuch eingetragen hatte, kam an diesem Versammlungsabend ein weiteres Mal zu Wort. Mit seinen radikalen Thesen eroberte er alle 111 Personen, die an diesem Abend in dem von bläulichem Zigarettenqualm geschwängerten Festsaal saßen, in frenetischem Jubelsturm.
Ebling war endlich einer von ihnen.
Der junge Mann, ein Bildungsoffizier, der nun hinter das Rednerpult trat, verkaufte sich und seine Thesen mit einer unvergleichlich faszinierenden Art.
Er stellte sich als Adolf Hitler vor.
Dieser Schmächtling hatte etwas Fesselndes, etwas Mitreißendes.
In Ebling rief er sofort den gewünschten, großen Bruder wach.
Voller Ehrfurcht hingen seine Ohren an diesen allesdurchdringenden Stimmbändern. Er tankte tiefes, neues Bewusstsein und ihm war fast so, als würde er ein zweites Mal geboren.
An diesem Abend hielt Hitler einen Vortrag über Das Versailler Diktat. Es sollte später als eine der Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik in die Geschichtsbücher eingehen.
Anbetung vor dem Throne Gottes
Danach sah ich, und siehe, eine Tür aufgetan
im Himmel; und die erste Stimme, die ich
gehört hatte mit mir reden wie eine Posaune,
die sprach: Steig her, ich will dir zeigen,
was nach diesem geschehen soll.
Und alsobald war ich im Geist. Und siehe, ein
Stuhl war gesetzt im Himmel, und auf dem Stuhl
saß einer; und der besaß, war gleich anzusehen
wie der Stein Jaspis und Sarder; und ein
Regenbogen war um den Stuhl, gleich anzusehen
wie ein Smaragd.
Und von dem Stuhl gingen aus Blitze,
Donner und Stimmen; und sieben Fackeln mit
Feuer brannten vor dem Stuhl, welches sind
die sieben Geister Gottes
Die Offenbarung des Johannes
„Offenbarung der Majestät Gottes und
die feierliche Anbetung vor seinem Throne“
Kapitel 4. Vers 1/2 und 5.
Im Arbeitszimmer II.
22. Mai 1976