Rechts und Links. Йозеф Рот

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Название Rechts und Links
Автор произведения Йозеф Рот
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750207370



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beschränkten Kälte wurde jetzt an Paul sichtbar. Niemals hätte er etwa vor einem älteren Beamten sein Unverständnis zugegeben. Schließlich hatte er noch die Ratschläge seiner Mutter zurückzuweisen und eines ihrer Brüder, mit denen der alte Bernheim immer im Streit gelebt hatte und die jetzt langsam auf dem Plan zu erscheinen begannen.

      In dieser unangenehmen Lage befand sich Paul, als der Krieg ihm zu Hilfe kam. Seine Begeisterung galt vom ersten Augenblick an dem Vaterland, den Pferden, den Dragonern. Frau Bernheim, die überzeugt war, daß der Tod nur die armen Infanteristen treffen werde, hatte wieder einen Anlaß, auf ihren Sohn stolz zu sein. Als er zum erstenmal in der Uniform vor ihr stand – denn er rückte schon in militärischen Kleidern ein, obwohl er noch nie Soldat gewesen war –, weinte sie: erstens vor Freude über Pauls männliche Schönheit; zweitens, weil ihr Mann ihn nicht mehr sehen konnte; drittens, weil sie der Anblick einer Uniform immer rührte. (Dies war ein Rückfall in ihre Mädchenzeit.) Der Tradition des Dragonerregiments getreu, die sich übrigens im Laufe der Zeiten und infolge des Krieges abgeschwächt hatte, ließ sich Paul ein kleines, bürstenartiges Schnurrbärtchen stehn. Er sah aktiver aus als die anderen Einjährig-Freiwilligen. Seine Reitkunst, seine Haltung, seine Gesinnung und seine Uniform hätten in einem Fremden den Eindruck erwecken können, daß Paul Bernheim aus einer alten kavalleristischen Familie stammte. Seinen bürgerlichen Stand machte er unter soviel Adel durch seine Haltung wett. Und seinen Namen unterschrieb er von nun an so undeutlich, daß es »von Bernheim« wie »Bernheim« heißen konnte.

      Trotzdem mußte er infolge einer Verfügung, die ihn ebenso erschreckte wie andere die Einberufung, die Kavallerie verlassen. Der Staat verlor dank seiner Vorurteile einen ausgezeichneten Offizier, einen Helden vielleicht. Denn es ist kein Zweifel, daß in Paul Bernheim die Eitelkeit die Quelle des patriotischen Heroismus gewesen wäre. Jener Verfügung zufolge aber mußte er Verpflegungsoffizier werden.

      Wie viele hätten gerne mit ihm getauscht! Er aber wurde fast in der Stunde, in der er die Dragoner verließ, ein erbitterter Kriegsgegner. Ein anderer Weg zur Bedeutung schien sich ihm zu öffnen. Er begann, mit Pazifisten zu verkehren, in kleinen, verbotenen und rebellierenden Blättern zu schreiben, in geheimen Versammlungen der Kriegsgegner zu sprechen. Und obwohl er weder ein begabter Journalist noch ein Redner war, erregte er in der Gesellschaft der kleinen Leute, der einfachen Soldaten, der Deserteure, der Revolutionäre ein gewisses Aufsehn dank seinem Offiziersgrad, seiner gutbürgerlichen Erscheinung, der sichtbaren Abkunft aus einem guten Hause. Der Glanz seiner Abzeichen, der Klang seiner Sporen – denn auch als Verpflegungsoffizier gehörte er zu den Berittenen –, die olivenfarbene Zartheit seines Teints, die weichen Bewegungen seiner Arme und Hüften faszinierten die Menschen; und da er die Portion Heroismus, die er dem Vaterland zugedacht hatte, den Kriegsgegnern schenkte, gehörte ihm die Dankbarkeit der Verfolgten. Sie wurden stolz auf ihn – – und dieser Stolz kam aus denselben Quellen, denen sonst ihr Haß gegen die andern Angehörigen der führenden Gesellschaftsklasse entsprang. Alle Überläufer werden überschätzt. Diesem Gesetz hatte Paul Bernheim seine Bedeutung in revolutionären Kreisen zu verdanken.

      Es war lehrreich zu beobachten, wie Pauls rebellische Gesinnung keineswegs den Glanz seiner äußeren Erscheinung zu vermindern imstande war. Klirrend und schimmernd ging er dahin. Die Koketterie des Heroismus machte er sich zu eigen wie die rebellische Gesinnung. Mehrere Plaketten an der Mütze, Schnüre an einer engen Litewka; einen kurzen Dolch statt eines Seitengewehrs an einem knarrenden, roten Ledergehänge, weiche, gelbe Stiefel und Reithosen von einer ungewöhnlichen Breite, so ging er dahin, ein Gott der Verpflegungsbranche. Sein Dienst bestand im Einkauf und in der Requisition von Vieh und Getreide und vollzog sich im Hinterland, in der Etappe und in besetzten Gebieten. Er fuhr durch Städte und Länder, aß und schlief bei Gutsbesitzern, die sich von ihrer Vaterlandsliebe nicht abhalten ließen, um eine Zubilligung übertriebener Preise bei Paul zu werben und um die Milderung der Requisitionen. Auf ihn übten die Freundlichkeiten seiner Opfer keine Wirkung. Der Staat hatte einen Helden verloren und einen unbestechlichen Verpflegungsoffizier gewonnen. Denn Paul requirierte und drückte die Preise mit dem Ressentiment eines Revolutionärs, seine Gesinnung unterstützte seine dienstliche Aufgabe, und die Furcht, mit der ihm seine Opfer begegneten, schmeichelte ihm ebensosehr wie die Schätzung, deren er sich bei den Kriegsgegnern erfreute. Im übrigen schätzte man auch seine dienstliche Gewissenhaftigkeit. Sie behütete ihn vor jedem Verdacht. Und also gelang ihm wie wenigen die Vereinigung militärischer Tugenden mit einer antimilitaristischen Gesinnung. Ebenso wie er einmal imstande gewesen war, vernünftige Bücher zu lesen, kluge Gespräche zu führen und dann in der Gesellschaft der Mädchen billige Torheiten zu sagen, so konnte er jetzt in Offizierskasinos und auf »Landsitzen« plaudern, Operettenschlager auf dem Klavier spielen und sich dem Tanz hingeben und gleichzeitig seinen nächsten Artikel zurechtlegen, über die Möglichkeiten einer Demonstration nachdenken, seine Rede vorbereiten. Verworren sind in den Herzen und Hirnen der Menschen Überzeugung und Leidenschaften, und es gibt keine psychologische Konsequenz.

      Eines Tages lernte Paul den Gutsverwalter Nikita Bezborodko kennen, ein paar Meilen südlich von Kiew. Bezborodko rühmte sich, einer alten Kosakenfamilie zu entstammen. Stark, unerschrocken, schlau und verwegen, hatte Nikita schon mehrere Requisitionen abgewehrt, Einkäufer der Armee um ansehnliche Summen betrogen, Befehle sabotiert, Lieferungen falsch ausgeführt, statt der assentierten gesunden Pferde kranke und erblindete der Armee zugeführt.

      Zum erstenmal stieß er bei Paul Bernheim auf einen Widerstand. Paul erstattete gegen den Kosaken die Anzeige. Aber es kam zu keiner Verhandlung. Einmal begegneten Paul und der Ukrainer einander auf dem Bahnhof in Shmerinka.

      »Guten Tag, Herr Leutnant!«, sagte der Kosak.

      »Sie sind nicht eingesperrt?«

      »Wie Sie sehen, Herr Leutnant! Ich habe meine Beziehungen.«

      Sie tranken ein paar Gläschen. Sie saßen in einer improvisierten Schenke, einer dunklen und kahlen Holzbaracke, durch deren winzige, offene Fensterluken der Wind strich und die Vögel flogen. Auf einmal sagte der Kosak:

      »Ich habe hier ein paar Flugzettel für Sie, Herr Leutnant!« »Ich lasse Sie verhaften«, erwiderte Bernheim und erhob sich. Der Kosak stand an der Tür, die er überwachte, ein breites Lächeln im Angesicht, in der Rechten ein Messer. »Hände hoch!«, rief er, das Lachen in der Stimme. Bernheim wußte nicht, ob der Ukrainer ein Spitzel war und im Dienst der militärischen Geheimpolizei stand, ob er ein Revolutionär war, ob er die Flugzettel nur durch einen Zufall bekommen hatte, ob er in der Besoffenheit sprach. Es wurde Abend, der Wind heulte, Paul Bernheim beschloß auf jeden Fall, die Flugzettel zu verlangen. Er konnte später immerhin sagen, daß er eine List angewandt hatte.

      Der Kosak warf ihm mit der linken Hand ein Bündel zu, immer noch an der Tür, das Messer gezückt in der Rechten. In der Dämmerung schien er größer zu werden. Ein silbriger Glanz ging von seinem sandgelben Mantel aus, seiner hellgrauen Pelzmütze, seinen gelben Stiefeln aus rohem Leder, seinen grauen Augen. Er erreichte die Decke der Baracke. Bernheim fühlte sich in dem Maß kleiner werden, in dem er sich einbildete, den anderen wachsen zu sehn. Eine Furcht, aufgestiegen aus längst vergessenen Kinderjahren, Erinnerung an Gespensterträume, an schaurige Phantasien in dunklen Zimmern, griff mit hunderttausend Armen nach dem erwachsenen Mann. Der Schnaps, den er sonst ohne Schaden zu trinken verstand, verwirrte ihn heute, weil er einen halben Tag nichts gegessen hatte. Weshalb bin ich nur mit dem Kerl hierhergegangen. Es war der einzige klare und ganze Satz, den er denken konnte. Sonst huschten nur halbe Sätze durch sein Hirn, und der Ausdruck »letzte Stunde« kehrte immer wieder, wie ein Schmerz, der für Augenblicke verschwindet, den man aber erwartet und den man begrüßt, weil die Qual des Wartens stärker ist als er.

      Plötzlich fiel Bernheim noch ein Wort ein. Ein Wort, dessen Torheit Pauls Entschluß in einer anderen Stunde nicht hätte bestimmen können. Eines jener leeren Worte, die als Bruchstücke traditioneller Leitsätze, pädagogischer Formeln, vorgeschriebener Lesebücher, für Kinder bearbeiteter Heldensagen sich für ein ganzes Leben in unseren Gehirnen einnisten, wie Fledermäuse reglos bleiben, solange wir wach sind, und nur die erste Dämmernis unseres Bewußtseins abwarten, um wieder in uns herumkreisen zu dürfen. Ein solches Wort fiel Bernheim ein, es hieß: schmähliches Ende. Eine Vorstellung, die, so kindisch sie sein mag, auch einen klügeren Mann veranlassen kann, das, was man Männlichkeit